Montag, November 25

Der amerikanische Architekt gilt als Meister der Raumkunst und der gerahmten Ausblicke. Sein grösster Auftrag war das Getty Center in den Hügeln von Los Angeles. Jetzt wird er neunzig.

Gleich am Bahnhof SBB in Basel sticht ein strahlendes, gleissend weisses Geschäftshaus aus dem Baublock an der Viaduktstrasse hervor. Das Euregio genannte Bürogebäude von 1996 ist das Werk des amerikanischen Meisterarchitekten Richard Meier. Es ist sein erster Bau in der Schweiz und bildet zu den Gleisen hin einen runden, trommelartigen Turm aus. Derartige pure geometrische Baukörper und weisse Flächen aus Putz oder Email sind das Markenzeichen des New Yorker Architekten.

Dem Formenkanon der klassischen Moderne ist Meier auch bei seinem zweiten Werk in der Schweiz treu geblieben: Die Villa Montagnola in Lugano dient der Familie eines Kunstsammlers und verbindet Kunst, Architektur und Landschaft auf einzigartige Weise miteinander.

An einem steilen Westhang gelegen, findet die weisse Villa visuelle Bezüge zur umgebenden Landschaft am See und zur Sonne. Die schlohweissen Interieurs werden allein von dem «Wetter und dem Licht animiert», wie Meier es nennt. Die beiden rechteckigen Flügel der Villa hat Meier parallel zueinander angeordnet und durch eine grosse Loggia im Erdgeschoss verbunden, die einmalige Blicke auf den Luganersee freigibt.

Ein hauseigenes Spa öffnet sich zu Garten, Sonnendeck und Pool. Jede Ebene der Villa hat Zugang zum Garten und Terrassen mit ganz unterschiedlichen Ausblicken. Innen- und Aussentreppen ermöglichen es Bewohnern und ihren Besuchern, den Raum als Prozession durch eine Reihe modulierter Räume zu erleben, die von aussen nach innen und wieder nach draussen führt. Meiers lebenslanges Vorbild, der Schweizer Architekt Le Corbusier, hatte eine derartige Promenade architecturale erstmals bei der weltbekannten Villa Savoye überzeugend inszeniert und zu einem nahezu cineastischen Erlebnis gemacht.

Preisgekrönte Raumkunst

Der 1934 in Newark, New Jersey, geborene Richard Meier begann seine Karriere mit dem Bau exklusiver Villen im Hinterland von New York. Seinen Durchbruch als weltweit geschätzter Architekt erlebte er Mitte der siebziger Jahre als Museumsarchitekt – zunächst mit dem Bau des Atheneums (1979) in New Harmony im Gliedstaat Indiana. Für seine Raumkunst wurde Meier 1984 der renommierte Pritzker-Preis verliehen. Begonnen hatte Meiers Karriere vor der eigenen Bürogründung allerdings in New York 1963 bei dem Bauhaus-Meister Marcel Breuer, bei dem er wichtige Anregungen bekam.

Mit John Hejduk, Charles Gwathmey, Michael Graves und Peter Eisenman zusammen wurde Meier in den siebziger Jahren zu den «New York Five» gezählt. Dieses Entwerfer-Quintett orientierte sich stilistisch an der klassischen europäischen Moderne. Die Architektengruppe nahm die Baukunst der zwanziger und dreissiger Jahre zu ihrem Ausgangspunkt. Gemeinsames Kennzeichen der Gruppe war die Vorliebe für Weiss.

Unter den «New York Five»-Architekten war Meier derjenige, der mit seinen elegant ineinandergreifenden Räumen und der geschickten Rahmung von Ausblicken eine exquisite Eleganz entwickelte, sich aber kaum intellektuell positionierte. Meier war lediglich mit dem Anspruch angetreten, der Vulgärmoderne der Nachkriegszeit die Qualitäten der weissen Moderne gegenüberzustellen.

In Europa entwarf Meier vor allem öffentliche Gebäude wie das Museum für zeitgenössische Kunst in der Altstadt von Barcelona, die Stadthäuser in Den Haag und Ulm (Stadthaus am Münsterplatz, 1994) und die Kirche Dio Padre Misericordioso in Rom. Die Reihe seiner spektakulären Museumsentwürfe reicht von Frankfurt am Main (Museum für Angewandte Kunst, 1985) bis Atlanta, Georgia, und fand im Getty Center in den Bergen über Los Angeles 1988 ihren Höhepunkt.

Der Bau des Getty Campus war der grösste Privatauftrag in der Welt der Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Deutschland gestaltete Meier das Museum von Frieder Burda in Baden-Baden (2004) und das Arp-Museum im romantischen Rheintal bei Bonn. Für Unternehmen wie Alessi oder Knoll entwarf er Möbel, Uhren und Geschirr, mit denen er seine Bauten im Sinn eines gestalterischen Gesamtkunstwerks ganzheitlich ausstatten konnte.

Unrühmliches Ende

Ein derartiges Bijou ist auch der kleine, aber feine ehemalige Hauptsitz der Firma Swissair Nordamerika, den Meier in Melville, New York, entwarf. Hier musste er einer schnöden Lage in einem Gewerbegebiet mitten in Suburbia bauliche Qualitäten abringen. Dies gelang ihm, indem er das skulpturale Swissair-Bürogebäude im Terrain einbettete. Die Interaktion zwischen dem Gebäude und der bewegten Topografie schuf einladende Aussenräume für die amerikanischen Mitarbeiter der Schweizer Airline.

Die Baukörper-Komposition wirkt von der Strasse aus flach, weil Konferenzzentren und Restaurant geschickt unter der Erde versteckt wurden. Böschungen schützen das Gebäude vor dem Verkehrslärm einer nahen Autobahn. Fenster, die sich öffnen lassen, und ein Atrium versorgen die Mitarbeiter mit Tageslicht und frischer Luft.

Meiers Karriere nahm ein unrühmliches Ende: Im Jahr 2018 berichtete die «New York Times» über Vorwürfe von Mitarbeiterinnen, dass Meier sie sexuell belästigt habe. Meier liess sich zunächst für sechs Monate beurlauben. Dann liess er bekanntgeben, dass sein Rücktritt von der Leitung des erfolgreichen Architekturbüros endgültig sei.

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