Sonntag, Oktober 6

In den letzten Jahren hat die Wirtschaft bei Abstimmungen mehr Mühe, die Bevölkerung zu erreichen. Unternehmer in den sozialen Netzwerken sollen das ändern.

Man könnte meinen, man sei in einem Kampagnen-Workshop der Linken gelandet. Vorne im sonnenhellen Sitzungszimmer erklärt eine junge Kommunikationsberaterin, wie man auf Tiktok gut ankommt: «Die Leute wollen unterhalten werden, nicht beworben.» Danach führen zwei Experten vor, wie man mithilfe künstlicher Intelligenz «knackige Slogans» formuliert und «freche» Kampagnenbilder generiert.

Doch bei den Zuhörern handelt es sich nicht um tätowierte, nasenberingte Klimabewegte, sondern um Unternehmer und Manager in Anzug und Krawatte. Am Mittwochabend hat Economiesuisse zum Botschafter-Apéro eingeladen. Das Thema: «Wie erreichen wir Leute, du und ich?» Das Ziel: den Botschaftern zu zeigen, wie man über soziale Netzwerke ein Publikum für Anliegen aus der Wirtschaft erreicht.

Insgesamt haben sich bereits 1000 Personen aus der Wirtschaft in die Botschafterliste eingetragen. Letztes Jahr waren es noch 390. Am Mittwoch durften 90 Personen an den Apéro kommen, die Warteliste war ebenfalls voll. Die Stimmung beim Wirtschaftsverband ist entsprechend gut: «Wir hätten nicht gedacht, dass sich so viele Menschen melden», sagt der Präsident Christoph Mäder in seiner Ansprache. Und auch die Direktorin Monika Rühl scheint gutgelaunt zu sein.

Endlich vorwärts

Die Stimmung im Sitzungszimmer der Swisscom an der Maschinenstrasse ist gut, die Verbandsführung sichtlich entspannt. In letzter Zeit hat der Verband vor allem negative Presse bekommen. Nach der verlorenen Abstimmung zur 13. AHV-Rente warf man der Wirtschaft vor, die Bodenhaftung verloren zu haben. Die meiste Kritik bekam Economiesuisse ab, obwohl auch der Arbeitgeberverband und die bürgerlichen Parteien in der Verantwortung standen.

Die Bevölkerung habe nach den Diskussionen über Managerlöhne, CS-Rettung oder Konzernverantwortung das Vertrauen in die Unternehmen verloren, analysierten Politbeobachter. Und es half auch nicht, dass Tamedia im Mai schrieb, Economiesuisse wolle ihr Kampagnenbudget auf bis zu 20 Millionen Franken verdoppeln, um der Gesellschaft die Bedeutung der Wirtschaft näherzubringen. Der Verband wolle das Problem «wieder einmal mit Geld lösen», hiess es.

Das erhöhte Budget ist bis heute nicht beschlossen. Dafür haben Rühl und Mäder das Botschafterprojekt vorangetrieben. Der Verband hatte die Kampagne im Jahr 2022 gestartet. Die Idee: Statt Funktionäre sollen Unternehmer und Manager die Realitäten der Schweizer Unternehmen aufzeigen und der Bevölkerung die Wichtigkeit guter Rahmenbedingungen erklären. Dies insbesondere in den sozialen Netzwerken.

Linke können es besser

Früher reichte es, wenn ein Unternehmer wie Andreas Burckhardt, ehemaliger Verwaltungsratspräsident der Baloise, vor wichtigen Abstimmungen in den grossen Zeitungen ein Interview gab und die Position der Wirtschaft darlegte, dazu kamen Plakate und Inserate. Heute werden Abstimmungen auch in den sozialen Netzwerken entschieden. Und hier haben Linke häufig die Oberhand.

In Kampagnen-Workshops lernen Aktivisten, wie man Aufmerksamkeit erzeugt. Die Communitys sind gross, reagieren blitzschnell, und sie haben aufgrund von Spenden, Verbänden und Stiftungsbeiträgen auch grössere Geldbeträge zur Verfügung als früher. Bei der Konzernverantwortungsinitiative hatten die Initianten gemäss Schätzungen ein Millionenbudget.

An diese Agilität kommt der grosse Tanker Economiesuisse trotz finanziellen Ressourcen bis jetzt nicht heran. Es ist nicht so, als hätte der Verband geschlafen. Er experimentiert seit rund zehn Jahren mit digitalen Communitys, beispielsweise mit der Kampagne «Stark und vernetzt». Aber bislang kamen die Kampagnen nicht zum Fliegen.

Tiktok: schwierig

Die neuen rund 1000 Botschafter geben dem Verband Hoffnung. Bei Tiktok gibt es allerdings noch einige Berührungsängste, wie man am Mittwochabend sieht. Beim Apéro haben sich um einen Stehtisch unter anderem Matthias Halusa, Länderchef der BASF und Vorstandsmitglied von Economiesuisse, Marco Ziegler, Senior Partner bei McKinsey, und Laetitia Block vom Arbeitgeberverband Basel versammelt. Er engagiere sich gerne auf den sozialen Plattformen, sagt Ziegler, insbesondere auf Linkedin, aber mit Tiktok kenne er sich nicht aus. «Ich möchte nicht, dass meine Tochter sich fremdschämen muss», sagt er schmunzelnd.

Auch Matthias Halusa ist auf Linkedin aktiv, etwa zu geregelten Beziehungen zu Europa. Das ist nicht selbstverständlich. Ein Chef eines Schweizer Ablegers eines global tätigen Unternehmens kann sich heute kaum frei politisch äussern – entweder ist es nicht erwünscht, oder eine übermotivierte Kommunikationsabteilung schaltet sich dazwischen.

Das musste auch die NZZ feststellen. Vor dem Event bat sie einen Kadermitarbeiter eines amerikanischen Unternehmens um ein Gespräch. Es folgte ein längerer E-Mail-Wechsel, bei dem die PR-Abteilung zuerst um ein schriftliches Interview bat, bevor sie grünes Licht für einen mündlichen Austausch gab. Halusa kennt diese Schwierigkeit. Doch er sagt: «Ich nehme mir die Freiheit, mich zu äussern.» Allerdings nur zu Themen, welche die BASF betreffen.

Was Halusa beobachtet: Nicht alle Themen, die für die BASF relevant sind, eignen sich für Posts. «Je persönlicher ich werde, desto mehr Likes bekomme ich», sagt er. «Dabei soll es ja nicht um meine Person gehen, sondern um die Firma.» Im August schrieb Halusa beispielsweise, er plädiere dafür, die Diskussion um die laufenden Verhandlungen mit der EU zu «ent-emotionalisieren» und zu «ent-dogmatisieren». Dafür bekam er 74 Likes. Für einen Post zu seiner Aufnahme in den Vorstand der Deutschen Handelskammer in Österreich gab es 139 Likes. Ausserdem erreiche er auf Linkedin nur seine knapp 2000 Follower aus der Wirtschaft. «Wie kommen wir aus der Bubble raus?»

Ja, wie? Das ist das zentrale Thema des Abends. Die Botschafter möchten mehr «Leute wie dich und mich» erreichen, ebenso Junge. Doch diese berührt man vielleicht weniger mit vorformulierten politischen Posts der Economiesuisse als vielmehr mit persönlichen Botschaften aus dem Leben. In den USA erreichen Unternehmer, die von ihren Herausforderungen und, ja, auch Ängsten berichten, teilweise ein Millionenpublikum.

Doch das braucht Mut: Wer sich verletzlich zeigt, bekommt Reaktionen. Und es braucht Zeit. Diese haben Chefs, die ein Unternehmen führen, häufig nicht. In Zukunft wollen sich die Botschafter der Economiesuisse trotzdem mehr davon nehmen. Völlig unempfänglich scheint die Bevölkerung nicht zu sein. Das Vertrauen in die Unternehmen ist laut dem ETH-Sicherheitsbericht vom März 2024 nach wie vor gross – so gross wie das Vertrauen in Bundesräte.

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