Sie wollte dem Alltag entfliehen und Europa bereisen. Dazu baute eine Zürcher Primarlehrerin einen ausgedienten Quartierbus um. Was sie fand, war eine langsamere Welt, in der das Internet eine entscheidende Rolle spielt.
Die Sonne brennt vom Himmel, und es ist so still, wie es nur an einem Sommerwochenende sein kann, an dem sich keiner weiter bewegt als nötig. Isabelle Baudet sitzt im spärlichen Schatten ihres Postautos im thurgauischen Neukirch und strickt. Ihr Hund legt seine Schnauze auf ihre Füsse. Neben ihnen zerren die noch nicht reifen Äpfel an den Ästen der Bäume, vor ihnen: gelbe Kornfelder und Wälder.
Es ist genau das, was Isabelle Baudet am Campieren so mag. Alleine in der Natur zu sein. Weit weg vom Alltag. Und obwohl sich hinter den Apfelbäumen das Bauernhaus der Familie Stacher versteckt, zu dem dieser Stellplatz gehört, ist das hier eine andere Welt als jene in den Städten, in denen der Verkehr nie zum Stehen kommt und der Blick in die Weite durchs nächste Haus verdeckt ist. Seit fünf Jahren hat Isabelle Baudet nun ihren «Fridolin», wie sie ihr Postauto nennt. Und damit das Fahrzeug in diese andere Welt. «Ich kann los, wann immer ich möchte», sagt die heute 31-Jährige. Zumindest fast.
Angefangen hat alles mit dem Wunsch nach einem Tiny House. Die Idee, den Wohnraum zu verkleinern und sich aufs Nötigste zu beschränken, faszinierte Isabelle Baudet. Aber sie fühlte sich zu jung, um sich an einen Ort zu binden. Also wurde aus dem Tiny House ein Kleinbus. Ein temporärer Wohnort auf vier Rädern für Auszeiten.
Umbauzeit: 2 Monate und 26 Wochenenden
Fast ein Jahr lang durchforstete sie Online-Anzeigen auf Autoverkaufsseiten und fuhr durch die Schweiz, um kleine Busse anzuschauen. «Am Anfang wusste ich nichts über Autos», sagt sie. Die meisten Kleinbusse waren ehemalige Handwerkerautos. Wenig gepflegt und wenig gefahren, was Autos nicht guttut, wie Isabelle Baudet heute weiss. Also wartete sie zu. Bis sie das kleine Postauto in Saland (ZH) entdeckte, in dessen Schatten sie nun auf einem Campingstuhl strickt. Obwohl der Tacho bereits 280 000 Kilometer anzeigte, hatte sie ein gutes Gefühl, bezahlte die verlangten 8400 Franken und machte sich an den Umbau, der nochmals ähnlich viel kosten sollte.
2 Monate Vollzeit und 26 Wochenenden brauchte es, bis ihr Bus bewohnbar wurde. Als Erstes mussten die vierzehn Sitze raus. Das war nicht einfach, die Schrauben hatten sich im Rost festgebissen. Eine Stahlsäge half. Danach isolierte sie den Bus. Klebte eine Schicht Holzfasern ans innere Busdach und täferte ausgemistete Holzleisten aus dem elterlichen Ferienhaus darüber. Im hinteren Teil des Busses bohrte sie Stützen in den Boden, die heute das Bett tragen; in den vorderen Teil kam eine Küchenzeile mit Kühlschrank und Frischwassertank.
Es sieht gemütlich aus im Postauto. Auf dem Bett liegt ein geblümtes Duvet, am Boden ein bunter Flickenteppich. In den Holzregalen über dem Gasherd steht der Glückstee neben einem Döschen Kurkuma und einer angebrochenen Packung Mehl. In der Sitzbank befindet sich das Kompost-WC. Dieses sowie das fliessende Wasser ermöglichen es ihr, fast überall haltzumachen.
Solarzellen fürs Smartphone
Isabelle Baudet hat in Zürich die Rudolf-Steiner-Schule besucht. «Das ist wohl der Grund, weshalb ich mir diesen Umbau zutraute», sagt sie. Der Werkunterricht hatte einen hohen Stellenwert. Zudem hätten sie in der dritten Klasse ein kleines Haus gebaut, was handwerkliche Erfahrung mitbrachte. Daneben waren es Youtube-Videos, die sie beim Ausbau unterstützten. Von anderen, die ausrangierte Transporter zu fahrenden Wohnkabinen umgebaut hatten. Und doch kam auch Isabelle Baudet an den Punkt, an dem sie nicht mehr weiterwusste. «Zum Glück habe ich einen Freund, der mir mit der Elektronik helfen konnte», sagt sie. Sie öffnet den Kofferraum ihres Postautos und zeigt auf die vielen Kabel, die sich ineinander verschlingen.
Die Solarzellen auf dem Busdach liefern heute genügend Strom für Laptop und Smartphone. Sie ermöglichen es Isabelle Baudet, mit der Welt in Kontakt zu bleiben, wenn sie unterwegs ist. Das ist wichtig, wenn man alleine reist. In der Natur arbeiten möchte, so wie es ihr Lebenspartner oft tut. Und auch, um Campingplätze und Stellplätze zu buchen. Denn diese findet man auf Plattformen wie etwa Nomady, Park4night, Swiss-Hosts oder über die App StayFree. So ist es heute auch die moderne Technik, die das Ausbrechen in die Natur möglich macht.
In den ersten Jahren war Isabelle Baudet oft alleine unterwegs. Einmal reiste sie einen Monat durch Frankreich. Einsam fühlt sie sich dabei nicht. Das liegt auch daran, dass ihre Romanfiguren sie stets begleiten. Abends montiert sie die Tischplatte im Bus und beginnt zu schreiben. «Die wechselnde Kulisse inspiriert mich», sagt Isabelle Baudet. Irgendwann möchte sie ihr erstes Buch veröffentlichen.
Sobald die Dunkelheit sich über die Landschaft senkt, holt sie manchmal aber auch die Angst ein. «Wenn die Leute sehen, dass eine Frau alleine anzufahren kommt, dann merken sie sich das», sagt Isabelle Baudet, die eigentlich so unerschrocken wirkt, als hätten solche Überlegungen keinen Platz in ihren Gedanken. Also entwickelte sie Strategien gegen diese Angst: Sie schliesst den Bus immer ab. Auch dann, wenn es angenehm wäre, bei offener Türe zu schlafen. Und sie baute keine Wand zwischen Fahrersitz und Wohnraum ein: «So könnte ich nachts zu jeder Zeit sofort abfahren.»
Gut vernetzt mit anderen Reisenden
Neben der Angst gibt es noch etwas Zweites, das sie am Alleine-unterwegs-Sein stört. Dass sie die Erinnerungen danach mit niemandem teilen kann. Das erklärt, weshalb sie in diesen ersten Jahren ihr Instagram-Profil sowie den Youtube-Kanal regelmässig mit Bildern und Filmen fütterte. Auf einem spricht sie übers Alleine-Reisen, auf einem sieht man sie in einer Schneelandschaft Geige spielen, auf einem bastelt sie im Glanz einer Lichterkette an ihrem Postauto. Dabei ging es ihr nicht darum, sich selber darzustellen. Es ist vielmehr der Ursprungsgedanke des Internets, der sie im Kopf hat. Sie sagt: «Ich habe so viel profitiert von den Ratschlägen anderer Reisender, dass ich etwas zurückgeben möchte.»
Zudem lernte sie durch die sozialen Netzwerke eine Vielzahl von Menschen kennen. Andere Reisende, die alleine unterwegs sind und mit denen sie ihre Erinnerungen teilen kann. Dabei ist eine Youtube-Reise-Community entstanden, die sogar einmal zu einem Kongress in der echten Welt nach Amsterdam eingeladen wurde.
Internetbekanntschaften sind es auch, die Isabelle Baudet bei der Namenssuche für ihr Postauto berieten. Sie fragte ihre Follower auf Instagram, wie sie ihren Bus nennen soll. «Fridolin», meinten diese, als hätten sie gewusst, dass ihr selber genau dieser Name vorschwebte. Weil sie schon als Kind mit Fridolin auf Reisen war. Mit dem Dackel aus dem bekannten Kinderbuch von Franz Caspar, der auf der Suche nach seinem verlorenen roten Halsband so manches Abenteuer erlebt. «Der rote Streifen auf dem Postauto erinnerte mich gleich an das rote Halsband in diesem Kinderbuch», sagt sie.
Eine Woche vor der Auszeit im Thurgau sitzt Isabelle Baudet in ihrem Lieblingscafé Kafi Freud im Zürcher Kreis 6. Vor den Fenstern brausen Autos und Trams vorbei. Pausenlos. Drinnen ist jeder Platz besetzt. Die einen schlürfen aus Glasstrohhalmen Eistee, andere stürzen das Feierabendbier in einem Zug hinunter. Das Klappern der Kaffeemaschine mischt sich mit den Stimmen, die stetig lauter werden. Isabelle Baudet nippt an einem Eiskaffee mit Hafermilch. Sie sitzt still da und wartet die nächste Frage ab, um sie dann in ruhigem Ton zu beantworten.
In der städtischen Welt lebt sie in einer Vier-Zimmer-Wohnung und ist Lehrerin. «Eigentlich», sagt sie, «wollte ich nie Lehrerin werden.» Allein deshalb, weil ihre Eltern auch Lehrer sind. Also studierte sie Deutsch und Englisch. Nach zwei Semestern wurde es ihr zu eintönig, und sie meldete sich fürs Lehrerseminar an.
Sie ist gerne Lehrerin. In ihrem Arbeitsleben gibt die Uhr den Ton an. Dieses ist durchgetaktet; jede Stunde steht im Stundenplan, selbst die Pausen sind vorgeschrieben. Nicht so in ihrem umgebauten Postauto. Ist sie unterwegs, vergisst sie die Zeit. Sie steht mit der Sonne auf und geht mit der Sonne schlafen. Dieser eigene Rhythmus macht für sie diese zweite Welt aus. Er ist langsamer als jener im Alltag. Und gerade weil vieles länger dauert, dehnt sich die Zeit. So brauche sie zum Kochen doppelt so lange wie zu Hause, sagt sie. Weil es bedeutungslos sei, wann das Essen auf den Tisch komme. Das hat zur Folge, dass ihr ein Wochenende wie eine Woche Ferien erscheint.
Diesen Sommer wird sie sich auf den Alpenpässen tummeln, nachdem sie im vergangenen Jahr vier Wochen lang durch Skandinavien gereist ist. Ihr Ehemann wird sie begleiten. Er kann nur diagonal im Bett schlafen, weil er so lang und die Liege so kurz ist. Er war nicht eingeplant. «Daran habe ich nicht gedacht, als ich mein Bett zimmerte», sagt Isabelle Baudet. Sie freut sich auf die gemeinsame Reise. Auf die Zeit in der Natur, die sie irgendwann vergessen lassen wird, ob Montag oder Mittwoch ist. Und sollte es diesen Sommer irgendwann einmal richtig heiss werden, lässt Isabelle Baudet vielleicht sogar einmal die Türe in der Nacht offen stehen.
Klein und fein
Tipp: Online-Plattform Nomady
Bunte Lichtergirlanden in Kirschbäumen. Das Gackern der Hühner aus dem Stall. Und ein Feuer, über welchem Kinder Schlangenbrot backen. Es sind solche Orte, die man auf der Online-Plattform Nomady findet. Private Campingplätze in freier Natur, gut für einen Tapetenwechsel am Wochenende. Eine Übernachtung kostet zwischen 30 und 80 Franken. Zu den meisten Stellplätzen gehören eine Feuerstelle, ein Tisch, Bänke und einfache sanitäre Annehmlichkeiten wie etwa ein WC. Sowie ganz viel Ruhe abseits der grossen Campingplätze. So dass man sich irgendwann in den Schlafsack kuscheln kann, wo einem das sanfte Rauschen in den Bäumen fast sofort in den Schlaf wiegt. Zur Website
Tipp: Ein Campingplatz für Hochgefühle
Es fühlt sich an, als campiere man wild. Irgendwo in der freien Natur, ganz alleine. Der Campingplatz Morteratsch liegt zwischen türkisblauen Seen, Bergbächen und kleinen Wäldern und gibt den Blick auf massive Berge frei. Er ist so gross, dass man mit etwas Glück tatsächlich einen ungestörten Stellplatz nur für sich findet. Die Anlage ist das ganze Jahr über geöffnet und gilt als höchstgelegener Winter-Campingplatz Europas. Neben einem Restaurant und einem Laden bietet er auch einen Aufenthaltsraum mit Kaminfeuer und eine Sauna an. Sowie einen Camping-Butler zum Waschen und Entleeren der WC-Kassetten. Zur Website
Tipp: Campen mit eigener Terrasse
Eine private Sauna, ein Meditationsbett, Netflix und ein «outdoor nordic bath» – das alles bietet die «Timeless Suite» in Monthey (VS) im Whitepod Eco-Luxury Hotel auf 1400 Metern über Meer. Und mehr noch: Champagner, Frühstück und eine stilvolle Dusche. Wer also gerne abgeschieden in wilder Natur mit Blick auf die Walliser Berge campieren möchte, ohne auf allen vieren ins Zelt kriechen zu müssen, ist hier genau richtig. Und kann abschalten und sich auf der eigenen Terrasse in einen Roman vertiefen, dabei die frische Bergluft einatmen und für einmal alle Termine im Kalender vergessen. Zur Website