Sonntag, November 24

Kaum ist der Grand Prix von Las Vegas fertig, werden 1400 Tonnen Material zusammengepackt und der ganze Zirkus über elf Zeitzonen nach Katar verfrachtet. Dabei geraten nicht nur die Mechaniker an ihre Grenzen.

Die Neonsonne geht zwar nie richtig unter, aber in den frühen Morgenstunden dimmt selbst die Glitzermetropole Las Vegas die Lichter etwas runter. Umso mehr fällt dann ein gleissendes Stück Asphalt nicht weit vom berühmten Strip auf. Dort herrscht noch Hochbetrieb, wenn das Formel-1-Rennen längst zu Ende ist. Und nun stehen plötzlich die im Rampenlicht, ohne die nichts gehen würde in der längsten Saison der Grand-Prix-Geschichte: die Menschen aus den Frachtabteilungen. Sie tun alles dafür, den permanenten Wettlauf gegen die Zeit nie zu verlieren. Einpacken, auspacken, umpacken.

Auf der langen Geraden von Las Vegas fahren Gabelstapler Slalom, die Pole-Position wird von quer parkierten Containern verdeckt, am Strassenrand türmen sich Kabelrollen, in den Garagen klappern Schlagbohrer in Metallkisten. Dazwischen jonglieren junge Frauen Tabletts mit Sandwiches und Teebechern, beim fliegenden Wechsel zwischen Las Vegas und Katar bleibt den Mechanikern kaum Zeit, sich zum Essen hinzusetzen. Sie bestreiten das Rennen zwischen den Rennen.

Zollformalitäten für 20 000 Einzelteile – pro Team

Es sind 1400 Tonnen Fracht, die aus dem Westen der USA in den Mittleren Osten geschafft werden müssen. 50 Experten des Frachtunternehmens DHL sorgen vor Ort dafür, dass richtig verladen wird. Bei 20 000 Einzelteilen, die jedes Team im Gepäck hat, lässt sich der immense Aufwand für die Zollformalitäten leicht erahnen. Immer wieder aufs Neue muss ein gigantisches Puzzle gelöst werden. Es ist eben ein riesiger Unterschied, ob Skifahrer oder Tennisspieler rund ums Jahr unterwegs sind und ihr Material einfach in grossen Taschen transportieren können – oder ob 20 Rennwagen um die Erdkugel reisen.

Die Königsklasse des Motorsports schwört in technischen Dingen auf die aufwendige Rolle als Selbstversorger. Alles, was an sperriger oder nicht dringender Fracht benötigt wird – wie Servietten, Stellwände, Aggregate –, geht häufig schon Monate vorher per Schiff auf die weitesten Reisen. Nicht alles in diesem Sport mag Logik sein, aber das allermeiste ist Logistik. Zwischen Bremsklötzen, Felgen und Schraubstöcken finden sich bei italienischen Rennställen auch einmal eine Espressomaschine und Parmaschinken. Material, das gut ist für die Moral.

Das schöne Bild vom Grand-Prix-Zirkus, hier stimmt es wirklich. Erst Anfang der Woche hat die Karawane in Las Vegas das Fahrerlager aufgebaut, nun zieht sie weiter in eine andere Wüstenstadt, nach Katar – 13 000 Kilometer und über 20 Flugstunden entfernt. Es sind irre Strapazen für alle Mitreisenden, zumal der Zeitdruck gross ist. Zum zweiten Mal seit Mitte Oktober werden drei Rennen an drei Wochenenden hintereinander ausgetragen. Gegen die Schlussoffensive, die am übernächsten Sonntag in Abu Dhabi endet, war selbst der letzte der sogenannten «Triple-Header» fast ein Spaziergang, es ging ja nur von Texas weiter nach Mexiko und Brasilien. Aber jetzt machen nicht nur die elf Zeitzonen Material und Menschen Probleme, hinzu kommen auch über dreissig Grad Temperaturunterschied. Chronische Übermüdung und Infektionskrankheiten sind kaum zu vermeiden, die Mitreisenden selbst bezeichnen sich als Zombies. Und das ist nur halb im Spass gemeint.

Es ist der Preis für die Gewinnmaximierung. Die Weltmeisterschaft wird im Zickzackkurs über den Erdball ausgetragen, da jeder Veranstalter auf einem bestimmten Termin besteht, zum Teil sogar ein überhöhtes Startgeld für den Wunsch bezahlt. So kommt es, dass der Kalender wie zum Ende der Mammutsaison gedrängt ist, zwischendrin aber immer wieder einmal wochenlange Pausen eingelegt werden. Ein Problem nicht nur fürs Betriebsklima, sondern vor allem fürs Weltklima. Was nützen 2026 die Umstellung auf Biosprit und zusätzliche Elektromotoren, wenn der ökologische Fussabdruck durch den enormen Reiseaufwand wieder grösser wird?

Die Verbrennungsmotoren fallen bei der Umweltbilanz kaum ins Gewicht, die Transportkosten machen lediglich 0,7 Prozent der Budgets aus. Die Logistik hingegen verschlingt mit 45 Prozent den grössten Batzen, vor den Reiseaufwendungen der Rennställe für Personal und Partner mit an die 30 Prozent.

Das hat auch damit zu tun, dass sich gegenüber der Jahrtausendwende das Programm dramatisch ausgeweitet hat. Fanden damals nur 4 von 16 Rennen in Übersee statt, sind es heute 15 von 24. Die Formel 1 ist von einer europäischen Sportart zu einer globalen Disziplin geworden, bald soll noch ein Rennen in Afrika hinzukommen, um dann auf allen Kontinenten präsent zu sein. Der Rennzirkus war allerdings auch die einzige Disziplin, die schon im ersten Jahr der Pandemie wieder dauerhaft unterwegs sein konnte, weil die Logistiker für alle Eventualitäten flexibel genug sind.

Über 200 000 Kilometer werden in der Rekordsaison 2024 zu Wasser, zu Lande und in der Luft zurückgelegt, das ist fünf Mal um die Welt. Trotzdem tut die Formel 1 tatsächlich, was sie kann, um die Umweltbelastungen zu reduzieren. Das Management hat das ehrgeizige Programm ausgerufen, 2030 CO2-neutral zu werden.

Das Potenzial, wenigstens ein bisschen grüner zu werden, wird schon genutzt. Das mobile Fernsehzentrum wurde so geschrumpft, dass nicht mehr drei Jumbo-Jets für den Transport notwendig sind. Statt der zehn schweren Boeing 747 werden jetzt sieben der verbrauchsgünstigeren 777 eingesetzt, das spart glatt 17 Prozent des Kerosinverbrauchs ein.

Die meisten LKW, die das Material in Europa transportieren, werden mittlerweile mit biologischen Kraftstoffen betrieben. Das ganze schwere Equipment wird schon Wochen vorher per Seefracht verschifft, weshalb jedes Team manches Teil in achtfacher Ausführung besitzt. Insgesamt gelang zwischen 2018 und 2022 trotz drei zusätzlicher Rennen eine Verringerung des CO2-Ausstosses um 13 Prozent.

Alles lässt sich beim besten Willen nicht verändern oder reduzieren. Der Sprit und die Reifen gehen ständig von Europa aus mit auf Reisen, alles Spezialmischungen. So kommt eins zum anderen. Die Rennwagen selbst reisen in eigens gefertigten Gestellen, die Flügel sind demontiert. Alles wird minuziös nach Checkliste verladen. Nur die beiden Kisten, die etwas verloren hinter einer Garage stehen, wollen nicht so recht passen zu den sonst so perfekt dimensionierten Containern. Sie haben keine Nummer, keinen Barcode. Aber sie müssen trotzdem mit – enthalten sie doch die wichtigsten Ersatzteile in diesem Geschäft: die Siegerpokale.

Zuerst schuften und sich dann in die Holzklasse quetschen

«Wir dürfen das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren», sagt der kanadische Rennfahrer Lance Stroll mit Blick auf diejenigen, die nicht wie er im Privatjet anreisen, sondern sich in den nächsten Tagen quer über die halbe Welt hinweg in der Holzklasse wiederfinden. Und sofort nach der Ankunft wieder alles aufbauen müssen.

Stroll fordert deshalb: «Es braucht schon vom Rennkalender her die richtige Balance für alle, die hier arbeiten.» Im kommenden Jahr wird es trotzdem erneut von Las Vegas in die Emirate gehen, da Las Vegas sich den Samstagstermin in der Woche vor Thanksgiving hat festschreiben lassen. Die Evolution der Saisonplanung erfolgt erst 2026, wenn sogar der Klassiker von Monte Carlo aus Gründen der besseren Planung und der Vernunft seinen angestammten Termin verlieren wird.

Die Boxengaragen sind der Ort, an dem sich die glamouröse Grand-Prix-Welt in harte Arbeit auflöst. Die Einzelsportart Formel 1 ist dann reiner Mannschaftssport. «Das meiste, was im Hintergrund passiert, um dieses ganze Rennspektakel überhaupt möglich zu machen, sieht niemand», sagt der Teammanager Peter Crolla vom Haas-Rennstall. Es ist die herausragende Choreografie der Unermüdlichen.

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