Sonntag, Januar 19

Reto Ziegler ist der älteste Feldspieler, der je in der Super League auf dem Platz stand. Der Captain des FC Sion war bis 2014 Nationalspieler und in sechs Ländern aktiv. Nach überstandener Verletzungspause freut er sich wie ein Teenager auf die Rückrunde.

Als Reto Ziegler in der verschatteten Trainingsbaracke des FC Sion den Besprechungsraum betritt, kommt ein Stück Fussballgeschichte durch die Tür. Und Sonne: strahlend, munter, zugewandt. Ziegler verdankt die Gratulation zum stolzen Geburtstag am letzten Donnerstag, setzt sich an den Tisch und erzählt aus seinem langen Leben als Fussballprofi.

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Es gibt wenige Spieler, die mit fast 40 Jahren immer noch aktiv sind. Cristiano Ronaldo oder Luka Modric gehören zu diesen Ausnahmen, sie sind im gleichen Jahr geboren wie Ziegler. Die gleichaltrigen Kollegen, mit denen Ziegler im Schweizer Nationalteam gespielt hat, haben längst aufgehört. Philippe Senderos versucht sich seit längerem im Sportmanagement, Johan Djourou hilft im Nationalteam der Frauen, Tranquillo Barnetta ist zufriedener Vater und Hausmann. Ziegler ist noch immer Fussballprofi. Und er macht noch immer neue Erfahrungen.

Die erste Verletzung in 22 Jahren ist überwunden

Zum ersten Mal in all den Jahren hat er eine länger dauernde Verletzungspause überwunden. Im Sommer spürte er in einem Testspiel den Stich in der Leiste. Diagnose: Sehnenabriss und Muskelverletzung. «Es war unglücklich, vielleicht musste ich für die 46 Spiele in der Aufstiegssaison Tribut zollen», sagt Ziegler. Der Arzt eröffnete ihm, dass keine Operation nötig sei, nur Zeit und Geduld. Erleichtert machte sich Ziegler an die Arbeit.

«Natürlich hiess es, der ist alt und jetzt auch noch verletzt», sagt Ziegler, «aber ich wollte alles unternehmen, damit ich wieder spielen kann.» Ziegler gilt als Trainings- und Fitness-Maniac. Nach sechs Einsätzen seit Ende Oktober hat er nun die Gewissheit, dass er zurück ist.

Gab es keine Zweifel, keinen Gedanken an den Rücktritt? «Es gab neben der gesundheitlichen eine mentale Hürde, die ich übersprungen habe», beschreibt Ziegler die schwierigen Monate. Aufhören? Ziegler lacht. Im Juni werde er sehen, was die Zukunft bringe. Jetzt aber zähle nur die Vorfreude auf den nächsten Match, er werde «jede Minute auf dem Platz geniessen» und als Captain seinen Beitrag leisten, damit der FC Sion möglichst früh den Ligaerhalt schaffe.

Schon in jungen Jahren galt Ziegler als Spieler mit grossem physischem Potenzial. Er schöpfe seine athletischen Voraussetzungen hervorragend aus, charakterisierte ihn vor einem Vierteljahrhundert etwa Carlos Bernegger, einer von Zieglers Juniorentrainern bei den Grasshoppers. Doch das Geschenk idealer körperlicher Voraussetzungen will gepflegt sein, wenn man auch als 39-Jähriger dem Niveau der Super League genügen will. Worauf kommt es an – ausser auf das Glück, nie eine schwere Verletzung erlitten zu haben?

«Es ist die Summe von fast unendlich vielen Details», sagt Ziegler. Die Ernährung ist eines davon, die Erfahrung, die Vorbereitung im Kraftraum, die Arbeit mit den Physiotherapeuten vor und nach den Trainings, Erholung und Schlaf, auch der frühe Morgenspaziergang mit dem Hund gehört dazu. Seit Ziegler vor gut fünf Jahren in Dallas erstmals Vater geworden sei, habe sich sein Bewusstsein für die Gestaltung der Trainings und des ganzen Tagesablaufs nochmals geschärft. Seiner Frau, einer ehemaligen Skirennfahrerin, habe er auch mit Blick auf die lange Karriere viel zu verdanken, sagt er. Und: «Ich trainiere immer, auch in den Ferien.»

Begonnen hatte die lange Karriere mit Tränen. Sie flossen, als der erst 14-jährige Reto Genf verliess, nach Zürich zu den Grasshoppers wechselte und Fussballer werden wollte. «Es war schwer, aber es hat sich gelohnt», sagt Ziegler. Seine Familie habe ihm als Kleinstem in der legendären Höngger Wohngemeinschaft viel geholfen, mit anderen jungen Spielern wie Stephan Lichtsteiner, Mattia Croci-Torti, Carlos Da Silva oder Baykal zurechtzukommen.

Mit dem Töffli fuhr er ins Training auf dem Hardturm und in die Schule. Die Ausbildung sei für ihn und seine gutschweizerische Familie ein Spagat gewesen. Er zeichnete gerne. Als er mit seiner Klasse einmal unter der Hardbrücke den Escher-Wyss-Platz abzeichnete, kamen die grossen Kollegen der ersten Mannschaft vorbei. Sie lachten den Kleinen aus. «Danach habe ich aufgehört mit dem Zeichnen», sagt Ziegler, «eigentlich schade – ich mochte immer Kunst und Bilder; wenn ich heute mit meinen Mädchen ein Tier oder eine Figur male, fragen sie immer, warum ich das so gut kann.» Ziegler strahlt.

Bei den Grossen in der ersten Mannschaft wurde der Kleine nicht lange ausgelacht. Zieglers Weg ging steil nach oben. Er nennt den heutigen FCZ-Cheftrainer Ricardo Moniz einen wichtigen Förderer, auch Bernegger. Und natürlich den damaligen GC-Chefcoach Marcel Koller, der ihn im März 2003 debütieren liess. Als GC Ende Mai auf dem alten Neufeld in Bern gegen YB die Meisterschaft gewann, verteidigte auf der linken Seite Ziegler. Die Mitspieler hiessen Christoph Spycher, Ricardo Cabanas, Boris Smiljanic, Stephan Lichtsteiner, Mladen Petric oder Richard Nuñez. Eine völlig andere Zeit. Auch Ziegler muss kurz staunen, wie lange das her ist.

Shooting-Star in der Premier League

Ziegler wechselte als 18-Jähriger in die Premier League zu Tottenham Hotspur. Im Oktober 2004 wird er in Liverpool gegen Everton eingewechselt. An Weihnachten wird er zum besten Nachwuchsspieler der Premier League gewählt. Normalerweise sei ein 18-Jähriger nach zwei Jahren bereit, sagte damals Tottenhams Sportchef Frank Arnesen, «Reto hat dafür zehn Tage gebraucht». Doch nach dem Schnellstart wird es schwierig. Ziegler wird ausgeliehen, in die Bundesliga zum HSV, nach Wigan, in die Serie A zu Sampdoria. In Genua findet Ziegler sein Fussballerglück.

Der Trainer Luigi Del Neri habe ihm erklärt, dass er sich auf die Aufgabe des Linksverteidigers konzentrieren müsse, sagt Ziegler. «Die italienische Liebe zum Verteidigen, das kluge Positionsspiel, die Schlauheit und mein linker Fuss als Stärke – Del Neri hat mir geholfen, ein besserer Spieler zu werden», sagt Ziegler.

Er ist längst Nationalspieler, als ihn Del Neri später zu Juventus Turin holt. Als ein neuer Trainer kommt, hat Ziegler keine Perspektive, aber er will auch nicht «auf der Ersatzbank sitzen und ohne Einsätze Titel sammeln», wie er sagt. Er lässt sich ausleihen, es ist eine wilde Zeit mit einem kurzen Abstecher in die Tristesse bei Lok Moskau, in der Türkei gewinnt er mit Fenerbahce zwei Mal den Cup und soll bei den Fans noch heute als Legende gelten.

Für Ziegler ist klar, dass er auch nach dem Rücktritt im Fussball bleibt. Das C-Diplom hat er bereits gemacht, die Arbeit mit den Jungen bereite ihm Freude. «Manchmal ist es, als würde ich meinem 15-jährigen Ich zuschauen», sagt er.

Noch aber schaut er am liebsten sich selber zu. Ziegler steht auf, er muss sein Geburtstagsessen zum 39. für die Mannschaft organisieren. «Eigentlich sollte ich es nicht sagen – aber ich will nicht nur der älteste Super-League-Spieler sein», sagt er. Sondern? «Der älteste, der ein Tor schiesst.» Er lacht wie ein Teenager.


Europameister, WM-Teilnehmer, Cup-Sieger

Nationalmannschaft (2005–2014): Ziegler debütierte mit Philippe Senderos im März 2005 beim 0:0 im WM-Qualifikationsspiel gegen Frankreich im Stade de France. Für die WM 2006 und die EM 2008 bekam Ziegler von Kuhn kein Aufgebot. Erst Ottmar Hitzfeld setzte wieder auf Ziegler als Linksverteidiger, an der WM in Südafrika absolvierte er alle drei Gruppenspiele. An der WM in Brasilien war er im Aufgebot, aber an Ricardo Rodriguez gab es kein Vorbeikommen. «Ich hoffte, wenigstens nach dem 3:0 gegen Honduras, als die Achtelfinalqualifikation feststand, ein paar Minuten zu bekommen, und sagte das auch nach der WM in einer kleinen Zeitung – das war wohl ein Fehler», sagt Ziegler heute. Von Hitzfelds Nachfolger Vladimir Petkovic bekam Ziegler kein Aufgebot. Er spielte 35 Mal für die Nationalmannschaft, 27 Einsätze hatte er in der Startformation.

Grasshoppers (2000–2004): GC war der beste Klub in der Schweiz, als Ziegler in Zürich anfing. «Ich lernte, was es bedeutet, wenn nur der Sieg zählt», sagt Ziegler, «ich war später immer am liebsten in Klubs, die um Titel spielten.» Mit der U 17 wurde Ziegler 2002 Europameister. Er zog die Aufmerksamkeit der europäischen Grossklubs auf sich. Als bei den Grasshoppers 2004 der Niedergang einsetzte, wechselte Ziegler fast ein Jahr früher als geplant in die Premier League. Tottenham soll knapp eine Million Franken überwiesen haben.

Tottenham Hotspur (2004–2007): Robbie Keane, Ledley King oder Timothée Atouba sind Teamkollegen von Ziegler, der Shooting-Star spielt gegen Paul Scholes, Cristiano Ronaldo oder Rio Ferdinand von Alex Fergusons Manchester United. Ende Saison gibt es trotz 30 Einsätzen im Kader der flamboyanten Spurs wenig Aussicht auf künftige Einsätze. Die Bundesliga ruft.

Hamburger SV (2005, Leihe): Die Zeit in Hamburg ist kurz. Nach einer halben Saison lässt sich Ziegler zurück nach England holen.

Wigan Athletic (2006, Leihe): Beim Neuling in der Premier League hilft Ziegler beim Ligaerhalt und erreicht den Final im Liga-Cup – 0:4 gegen Manchester United.

Sampdoria Genua (2007–2011): Der Trainer Luigi Del Neri fördert Ziegler und übernimmt den Leihspieler. Antonio Cassano ist der Verrückte im Team, «ein lustiger Typ, der sich neben dem Platz viel herausgenommen, aber auf dem Platz immer geliefert hat», sagt Ziegler. Mit Sampdoria erreicht er den Cup-Final und spielte im Europacup.

Juventus Turin (2011–2014): Ziegler spielte nie für Juventus. «Für die Nationalmannschaft brauchte ich Einsatzminuten – das war ein wichtiger Grund, weshalb ich mich damals ausleihen liess», sagt Ziegler.

Fenerbahce Istanbul (2011–2012, 2012–2013, Leihe): Die Zeit am Bosporus, unterbrochen vom Abstecher nach Moskau, hat Ziegler in bester Erinnerung. «Wird Fener nicht Meister, ist das eine Katastrophe – aber immerhin gewannen wir zwei Mal den Cup», sagt er über die heissblütigen Fans in Istanbul.

Die weiteren Stationen: Lok Moskau (2012, Leihe). Sassuolo Calcio (2013–2014, Leihe). FC Sion (2015–2017, Cup-Sieg 2015). FC Luzern (2017). FC Dallas (2018–2021): FC Lugano (2021–2022, Cup-Sieg 2022): FC Sion (2023–?)

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