Die desaströsen Regenfälle in der Schweiz haben die Frage aufgeworfen, welchen Einfluss die Erderwärmung gehabt hat. Warme Luft speichere mehr Wasser, sagen Wissenschafter. Doch das ist nicht der einzige Effekt, auf den es ankommt.

Es ist ein Sommer des Wassers, des Schlamms und des Gerölls. Misox, Mattertal, Saastal und Maggiatal – dort vor allem, aber längst nicht nur dort haben die Elemente getobt und Tote und Verwüstung hinterlassen. Mehrfach rauschten innerhalb weniger Stunden riesige Mengen Regenwasser vom Himmel. Sie rissen Erde und Steine mit sich und zerstörten in den Tälern Gebäude und Strassen.

Rekorde wurden durch die Regenfälle zwar keine gebrochen. Doch weil sich die katastrophalen Unwetter in diesem Sommer häufen, liegt die Frage auf der Hand, welche Rolle der Klimawandel dabei spielt.

Der Regen kann intensiver werden als früher

Dem Klimaforscher Erich Fischer von der ETH Zürich gehen die Ereignisse persönlich nahe. Das ebenfalls betroffene Binntal und das Gebiet am Simplonpass kennt er seit seiner Jugend – er hat dort oft Ferien auf dem Maiensäss von Verwandten gemacht.

Die Region sei für die hohe Intensität der Regenfälle bekannt, ebenso wie das Tessin, sagt Fischer. «Aber was in diesem Sommer passiert, ist schon besorgniserregend.» Es passe in das Bild, das man sich von den Veränderungen durch den Klimawandel mache. Niederschläge könnten noch intensiver werden und in noch höheren Lagen als Regen fallen, als das früher möglich war.

Bei einem Extremwetterereignis müssten alle Zutaten zusammenpassen, erläutert Olivia Romppainen-Martius vom Mobiliar Lab der Universität Bern, wo sie eine Gruppe zum Thema Klimafolgenforschung leitet. Für extreme Niederschläge brauche es eine feuchte Atmosphäre und die Anhebung von Luft, zum Beispiel durch Gewitter. Für grosse Regenmengen sei eine hohe Regenintensität nötig, oder die Gewitter müssten über längere Zeit in einem Gebiet bleiben. Oder aber es gebe eine ganze Serie von Gewittern.

Die Wissenschaft könne eine Antwort auf die Frage geben, wie der Klimawandel all diese Faktoren beeinflusse, sagt Romppainen-Martius. Ein Punkt sei dabei ganz zentral: Physikalische Grundprinzipien besagten, dass Luft umso mehr Feuchtigkeit aufnehmen könne, je wärmer sie sei. Entsprechend sei dann mehr Feuchtigkeit da, die ausregnen könne.

Seit dem 19. Jahrhundert ist der Zusammenhang bekannt

Die naturwissenschaftlichen Grundlagen dieses Zusammenhangs erkannten Wissenschafter bereits im 19. Jahrhundert. Der französische Physiker Émile Clapeyron untersuchte damals, wie die Menge an gasförmigem Wasser im Zylinder von Dampfmaschinen von der Temperatur kontrolliert wird. Der deutsche Physiker Rudolf Clausius verfeinerte die physikalische Gleichung später. Heute ist sie darum als Clausius-Clapeyron-Gleichung bekannt.

In Zahlen ausgedrückt: Pro ein Grad Celsius Erwärmung kann die Luft ungefähr 7 Prozent mehr gasförmiges Wasser aufnehmen. Dadurch können extreme Regenfälle um denselben Prozentsatz intensiver werden. Das gilt nicht nur in der Theorie. Untersuchungen weltumspannender Messdaten hätten diesen Zusammenhang bestätigt, sagt Erich Fischer. Mit globalen Klimamodellen sei man ebenfalls auf das gleiche Ergebnis gekommen.

Im weltweiten Durchschnitt ist die Temperatur an der Erdoberfläche heute ungefähr um 1,3 Grad Celsius höher als zu Beginn der Industrialisierung. Doch weil die Schweiz mitten im europäischen Kontinent und fernab von Meeren liegt, hat sie sich schon stärker erwärmt: um mehr als 2 Grad. Darum können hier extreme Regenfälle inzwischen um 15 bis 20 Prozent stärker werden als noch im 19. Jahrhundert.

In Messungen ist ein Trend oft schwer zu erkennen

Aber zeichnet sich diese Entwicklung auch in den Messdaten in der Schweiz ab? Da wird es etwas kompliziert, unter anderem wegen der räumlichen Schwankungen des Niederschlags. Oft sei die Regensumme an einem Ort viel höher als im Ort daneben, erläutert Fischer. Da müsste man an einzelnen Stationen lange messen, um einen zeitlichen Trend zu erkennen. Erst wenn man die Trends der intensiven Niederschläge an allen Stationen einer grösseren Region, also zum Beispiel in der Schweiz, zusammenfasse, ergebe sich ein klares Bild.

Victoria Bauer und Simon Scherrer von Meteo Schweiz haben die hiesigen Niederschlagsdaten in einer Studie unter die Lupe genommen, die im Mai in den «Atmospheric Science Letters» erschienen ist. Der Wetterdienst misst Niederschläge schon lange. Aber erst seit 1981 erfasst er Regensummen, die in sehr kurzer Zeit fallen.

Extreme sommerliche Regenmengen innerhalb von zehn Minuten, einer Stunde oder drei Stunden sind laut dieser Studie seit 1981 deutlich intensiver geworden. Extreme Regenmengen, die innerhalb eines Tages oder innerhalb von drei Tagen fallen, sind hingegen schwächer geworden.

Damit in wärmerer Luft so viel mehr Regen fallen kann, wie die Physik es nahelegt, muss allerdings eine weitere Bedingung erfüllt sein: Es muss genug Feuchtigkeit zur Verfügung stehen. Von den Ozeanen kann jederzeit genug Wasser verdunsten, auf Landflächen aber oft nicht, weil sie zu trocken sind. Nur wenn wochenlange Regenfälle die Böden gesättigt haben, steht genug Feuchtigkeit zur Verfügung. So gesehen war das nasse Frühjahr die perfekte Vorbereitung für die Unwetter der vergangenen Wochen.

Wie sich die Wetterlagen verändern werden, ist unklar

Schliesslich kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu. Im Zuge des Klimawandels wird die Atmosphäre nicht einfach nur wärmer. Der Klimawandel beeinflusst auch die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen. Für einzelne Extremereignisse sei die konkrete Wetterlage sehr wichtig, sagt Fischer. Die Unwetter vom vergangenen Wochenende seien zum Beispiel durch die Anströmung feuchtwarmer Luft aus Süden zustande gekommen.

Deshalb wäre es gut zu wissen, wie sich der Klimawandel auf die Häufigkeit von Wetterlagen auswirkt, die sommerlichen Sturzregen hervorrufen können. Werden Gewitter künftig öfter in Serie auftreten und an Ort und Stelle verharren? Oder etwa seltener? Werden sie häufiger aus Norden kommen oder häufiger aus Süden? Solche Fragen könne die Wissenschaft heute noch nicht beantworten, sagt Romppainen-Martius. Und Fischer winkt ebenfalls ab.

Die Klimamodelle haben in diesem Bereich noch Schwächen. Und die Beantwortung solcher Fragen wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen schon von Natur aus stark schwankt: Manchmal gibt es ein Jahrzehnt lang vermehrt sommerliche Hochdrucklagen im Alpenraum, dann folgt eine Reihe von Jahren mit vielen Tiefdrucklagen.

Es braucht zwingend Massnahmen zur Anpassung

Was folgt aus alledem? Man muss sich darauf einstellen, dass extreme Regenfälle im Sommer, wenn sie denn auftreten, noch intensiver werden als in der Vergangenheit. Dieser Effekt des Klimawandels lässt sich nicht wegdiskutieren.

Die Schweiz musste schon immer mit erheblichen Naturgefahren zurechtkommen, vor allem im Alpenraum. Jetzt bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich an eine Verschärfung der Gefahrenlage anzupassen. Schon heute werden die kantonalen Gefahrenkarten in gewissen Abständen aufdatiert. Auch der Schutz vor Hochwasser und Murgängen wird Schritt für Schritt ausgebaut. So ist die Diskussion um das Rhonetal gerade erst wieder aufgeflammt. Die Warnsysteme für Unwetter müssen immer wieder erneuert und erweitert werden. Und die Einsatzkräfte bei Katastrophen sollten für die Ereignisse, die in Zukunft auftreten können, ausreichend geschult werden.

Auf all diesen Gebieten sind die Dinge derzeit in Bewegung. «Man hinkt aber immer etwas hinterher», sagt Fischer. «Es muss stetig weitergehen.»

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