Mittwoch, Januar 29

Die Abstimmungsvorlage für den 9. Februar setzt enorm hohe Ziele. Für die Umsetzung würde es Brachialgewalt brauchen. Ob das Volk dies akzeptieren würde, ist höchst zweifelhaft.

Eine Volksinitiative muss «umsetzbar» sein. Das ist eine der zentralen Bedingungen, damit ein solcher Vorstoss überhaupt an die Urne kommen kann. Eine Initiative zur Abschaffung des Wetters oder der Schwerkraft wäre nicht umsetzbar. Eine Initiative zur Abschaffung der Armee, der AHV oder der Kantone wäre dagegen umsetzbar.

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Die Initiative zur Umweltverantwortung, über die das Volk am 9. Februar abstimmt, verlangt massiv mehr Umweltschutz. Laut der Initiative darf der Konsum in der Schweiz hochgerechnet auf die Weltbevölkerung die Belastungsgrenzen der Erde ab 2035 nicht mehr überschreiten. Der Initiativtext nennt «namentlich» die Bereiche Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag.

Je nach Kriterium und Berechnungsart müsste die Umweltbelastung des Schweizer Konsums innert zehn Jahren um 50 bis über 90 Prozent sinken – im Mittel vielleicht etwa um zwei Drittel bis drei Viertel. Im Visier wären besonders die Bereiche Wohnen, Verkehr und Ernährung, die zusammen etwa zwei Drittel der Umweltbelastung des Konsums ausmachen.

Theoretisch ginge es schon

Praktisch wäre die Initiative kaum umsetzbar, sagte jüngst Katrin Schneeberger, Chefin des Bundesamts für Umwelt. Immerhin: Theoretisch wäre die Initiative wahrscheinlich umsetzbar – zum Beispiel mit Verboten oder enormer Verteuerung von Fleischkonsum, Ölheizungen, benzinbetriebenen Fahrzeugen und manchem mehr. Ob das Volk solche Massnahmen für die Umsetzung akzeptieren würde, ist eine ganz andere Frage.

Das Volk gibt sich in der Schweiz in Umfragen zwar gerne umweltbewusst, doch solche Gratis-Aussagen sind wenig wert. Auch das klare Volks-Ja von 2023 zur Verankerung eines Netto-null-Ziels für den Ausstoss von Treibhausgasen für 2050 war demokratiepolitisch fast nichts wert. Denn die Vorlage sagte nichts über die Kosten, und sie versprach sogar noch Milliardensubventionen.

Viel aussagekräftiger ist das persönliche Verhalten der Menschen. Im privaten Autoverkehr zum Beispiel ist in den Daten keine klare Einschränkung sichtbar. Laut den Bundesstatistikern entfielen 2023 auf inländische motorisierte Personenwagen total knapp 76 Milliarden Personenkilometer – im Mittel rund 23 Kilometer pro Einwohner und Tag. 1995 waren es ebenfalls etwa 23 Kilometer.

Viel Luft nach oben für E-Autos

Immerhin legen die im Vergleich zu «Benzinern» weniger umweltbelastenden E-Autos zu. 2019 waren erst 4 Prozent der neu in Verkehr gesetzten Personenwagen in der Schweiz E-Autos, 2024 waren es 19 Prozent. Zählt man noch die hybriden Steckerfahrzeuge dazu, lag der Marktanteil der relativ umweltfreundlichen Neuwagen bei 28 Prozent.

Das heisst aber auch: Eine grosse Mehrheit zieht immer noch stärker umweltbelastende Autos vor (mit traditionellen Antrieben oder hybride Fahrzeuge ohne externe Lademöglichkeit). 2024 verloren die E-Autos erstmals bei den Neufahrzeugen im Vorjahresvergleich an Marktanteil; ein wesentlicher Faktor dürfte der Wegfall der Befreiung der E-Autos von der Automobilsteuer von 4 Prozent auf Anfang 2024 gewesen sein. Diese Episode ist bezeichnend: Man gibt sich zwar gerne umweltfreundlich, aber nur solange es nicht viel kostet und auch sonst keine grossen Umstände macht.

Konstanter Fleischkonsum

Der Luftverkehr ab Schweizer Flughäfen wies bis 2019 ein stetiges Wachstum aus. Dann folgte der Einbruch durch die Pandemie; bis 2023 war dieser Einbruch aber weitgehend wieder aufgeholt. Der Fleischkonsum in der Schweiz beläuft sich derweil seit Ende der 1990er Jahre ziemlich konstant auf ungefähr 50 Kilo pro Einwohner und Jahr. Und dies, obwohl sich längst herumgesprochen haben dürfte, dass Fleisch eher ungesund ist, die Umwelt relativ stark belastet und energetisch im Vergleich zu pflanzlichen Produkten viel weniger effizient ist.

Der Anteil der Vegetarier und Veganer nimmt zu, ist aber mit total etwa 6 Prozent 2024 immer noch gering. Auch der Anteil der mutmasslich relativ umweltfreundlichen Bioprodukte bei den Lebensmitteln ist gewachsen (von 6 Prozent 2011 auf knapp 12 Prozent 2023), aber noch stark ausbaufähig.

Ohne Verbote und/oder massive Änderungen der Anreize ist die Vorgabe der Volksinitiative nicht zu erreichen. Eine gute Nachricht lieferte im vergangenen Jahr die Beratungsfirma Wüest Partner zum Schweizer Gebäudepark: Gemessen am geltenden Ziel, den Ausstoss der Treibhausgase aus den Gebäudeheizungen bis 2050 auf netto null zu senken, sei die Schweiz derzeit auf Kurs.

Bei gleichbleibendem Tempo der Heizungsumstellungen von Öl und Gas auf Wärmepumpen, Fernwärme oder Holzschnitzelheizungen wäre das Ziel erreichbar. Laut einer separaten Analyse von Wüest Partner sind bei umfassenden Sanierungen (Austausch Heizung plus Sanierung Fassade und Dach zur Senkung des Energieverbrauchs) Investitionen bis 2050 von total rund 230 Milliarden Franken erforderlich – was sich aber für die betroffenen Hauseigentümer längst nicht in allen Fällen rechne.

Noch ein weit grösseres Kaliber wäre die Umstellung des Gebäudeparks bis 2035. Angesichts einer typischen Lebensdauer von 20 Jahren für Ölheizungen, 25 Jahren für Fenster und 30 bis 35 Jahren für Dach und Fassaden wären bei viel schnellerem Umstellungstempo hohe Abschreibungsverluste programmiert. Der Bund könnte ein solches Tempo im Prinzip verordnen, allenfalls versüsst durch teure Subventionen. Und falls es an personellen Kapazitäten für den Vollzug der viel schnelleren Umstellung fehlen würde, wären deutlich höhere Preise und/oder eine stärkere Einwanderung die wahrscheinlichen Folgen. Populär wäre beides nicht.

Stromverbrauch steigt stark

Die viel raschere Abkehr von fossilen Brenn- und Treibstoffen würde zudem einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien erfordern. Die jüngste Aufdatierung der Studie «Energiezukunft 2050» des Verbands der schweizerischen Elektrizitätsunternehmen von diesem Monat erinnerte daran, dass schon das Erreichen des gesetzlich verankerten Ziels der Klimaneutralität bis 2050 eine grosse Herausforderung ist. Der laufende Umbau etwa bei den Gebäuden und im Verkehr senkt zwar die Umweltbelastung und den Energiebedarf, doch die Folge ist ein erhöhter Stromverbrauch.

Die besagte Studie rechnet mit einer Zunahme des Stromverbrauchs bis 2050 um etwa 50 Prozent. Zur Begrenzung der Auslandabhängigkeit brauche es damit einen starken Ausbau der inländischen Stromproduktion, was durch den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie noch verstärkt werde. Wasserkraft, Photovoltaik und Windenergie sind zentrale Stichworte. Zur Begrenzung der Winterstromlücke braucht es zudem laut der Analyse etwa eine Verdreifachung der Speicherkapazitäten.

Programmierte Referenden

Eine Realisierung des geforderten Ausbaus schon bis 2035 statt bis 2050 wäre laut Beobachtern in der Praxis kaum machbar – ausser vielleicht, der Staat beglückt potenzielle Investoren mit riesigen Subventionen und drückt Ausbauprojekte durch Aushebelung ausgedehnter Einsprachemöglichkeiten durch. Zielkonflikte zwischen Klimapolitik und anderen Umweltanliegen werden dabei kaum zu vermeiden sein.

Die Umsetzung der Volksinitiative würde diverse Gesetzesänderungen erfordern. Angesichts der Schwere der notwendigen Eingriffe wären Referenden programmiert. Erst in den konkreten Abstimmungen über die Massnahmen zur Umsetzung würde sich zeigen, ob die Volksmehrheit im Namen des Umweltschutzes zu bedeutenden Kaufkrafteinbussen und damit auch zu einem starken Konsumverzicht bereit wäre. Bis jetzt ist eine solche Opferbereitschaft nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Weder an der Urne noch im wirklichen Leben.

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