Samstag, März 15

Wer nach dem Pandemie-Ausbruch die Laborhypothese diskutieren wollte, wurde als Verschwörungstheoretiker abgetan. Das haben auch namhafte Wissenschafter zu verantworten. Ein Blick zurück.

Woher das neue Coronavirus, Sars-CoV-2, stammt, ist selbst fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie offen. Ist das Virus von einem Tier auf den Menschen übergesprungen? Oder ist ein zuvor manipuliertes oder aber aus der Natur entnommenes Virus aus einem Bio-Labor entwichen?

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Die Antwort liegt in China. Die ersten Corona-Fälle sollen auf einem Tiermarkt im chinesischen Wuhan aufgetreten sein; eine Zoonose hätte hier jederzeit passieren können. In unmittelbarer Nähe wurde gleichzeitig an einem namhaften Institut, dem Wuhan Institute of Virology (WIV), an Viren geforscht; ein Laborunfall hätte auch dort die Pandemie auslösen können.

Dass es noch heute keine Antwort gibt, liegt massgeblich an der mangelnden Kooperationsbereitschaft von China. Umfangreiche Untersuchungen von unabhängigen Experten hat das Land bis heute nicht zugelassen.

Kritiker hatten es schwer, sich Gehör zu verschaffen

Doch selbst in demokratischen Ländern war es schwierig, dem Ursprung der Infektionskrankheit Covid-19 vorbehaltlos auf den Grund zu gehen: Eine Reihe von einflussreichen Wissenschaftern hat eine unvoreingenommene Aufklärung zunächst verhindert, indem sie frühzeitig und ohne entsprechende Evidenz die Zoonose-Hypothese für die richtige erklärte.

Und die andere verwarf: All jene, die auch einen Laborunfall für möglich hielten, wurden zugleich in die Verschwörungsecke gestellt und hatten es daraufhin schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Diese Einschränkung einer offenen Debatte ist umso erschreckender, als zu jenem Zeitpunkt die deutsche Regierung hinter geschlossenen Türen die Laborhypothese nicht nur diskutierte, sondern sie wohl sogar für wahrscheinlich hielt. Das zeigen zumindest jüngste Recherchen von «Die Zeit» gemeinsam mit der «Süddeutschen Zeitung».

Zoonose-Hypothese wurde als alternativlos dargestellt

Ein Blick zurück in die Anfangsphase der Pandemie zeigt, wie Wissenschafter und Institutionen des Wissenschafts- und Gesundheitsbetriebs die Zoonose-Hypothese als alternativlos präsentierten.

Den Anstoss zu dieser Entwicklung gaben zwei Artikel, die in hochrangigen Wissenschaftsjournalen publiziert wurden und daher viel Aufmerksamkeit erhielten.

Einer davon entstammte der Feder von 27 Forschern aus aller Welt, unter ihnen der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin. Erschienen am 18. Februar 2020 im Fachblatt «Lancet», heisst es im Artikel: «Die rasche, offene und transparente Weitergabe von Daten zu diesem Ausbruch wird nun durch Gerüchte und Fehlinformationen über seinen Ursprung bedroht. Wir stehen gemeinsam dafür ein, Verschwörungstheorien, die behaupten, dass Covid-19 keinen natürlichen Ursprung habe, entschieden zu verurteilen.»

Die Autoren belassen es zudem nicht bei der Verunglimpfung von Zoonose-Zweiflern, sie fordern die wissenschaftliche Gemeinschaft obendrein dazu auf, ihr Statement zu unterschreiben.

Glaubwürdigkeit verleihen sie ihrer Aussage dabei mit dem Verweis auf genetische Untersuchungen: «Wissenschafter aus mehreren Ländern haben das Genom des Erregers (Sars-CoV-2) veröffentlicht und analysiert. Die überwältigende Mehrheit kommt dabei zum Schluss, dass dieses Coronavirus aus Wildtieren stammt, so wie viele andere neu auftretende Krankheitserreger.»

In Wahrheit enthalten die erwähnten Forschungsarbeiten allerdings keine Indizien, geschweige denn Belege für eine natürliche Abstammung von Sars-CoV-2. Angesichts der geringen Evidenz für ihre Aussagen stellt sich die Frage, weshalb die 27 Autoren derart vehement ausschliessen, dass Sars-CoV-2 aus einem virologischen Forschungslabor der zentralchinesischen Stadt Wuhan entkommen sein könnte.

Erhebliche Interessenkonflikte des Zoologen Peter Daszak

Wie inzwischen bekannt ist, hatte wenigstens einer der Unterzeichnenden massive Interessenkonflikte; diese hatte er – anders als explizit von solchen wissenschaftlichen Publikationen gefordert – im «Lancet»-Artikel allerdings nicht angegeben. Die Rede ist von dem Zoonose-Forscher Peter Daszak, dem ehemaligen Direktor der amerikanischen Nichtregierungsorganisation EcoHealth Alliances.

Daszak hatte am WIV potenziell gefährliche «Gain of Function»-Forschung an Coronaviren unterstützt und daher gute Gründe, von seinen mit amerikanischen Steuergeldern finanzierten Tätigkeiten abzulenken.

Seine Verstrickung in Forschung, die das Gefahrenpotenzial von Coronaviren erhöht, erklärt auch die mangelnde Bereitschaft des Zoonose-Forschers, dem mit der Aufarbeitung der Corona-Krise beauftragten Untersuchungsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses Rede und Antwort zu stehen.

Über die Motive der Autoren des «Lancet»-Artikels lässt sich nur spekulieren. Der Titel des Artikels legt nahe, dass sie sich mit ihren Forscherkollegen in China solidarisieren und diese aus der Schusslinie nehmen wollten. Bewogen haben könnten sie dazu polemische Äusserungen des politischen Diskurses des US-Präsidenten Donald Trump, der das Virus früh «China-Virus» nannte. Denkbar ist allerdings auch, dass sie sich vor den Karren des Viren-Forschers Peter Daszak, eines der Co-Autoren des «Lancet»-Artikels, spannen liessen.

Bewirkt haben sie mit ihrem Artikel aber vor allem eines: Der eigentlich notwendige öffentliche und vor allem wissenschaftliche Diskurs wurde gerade von jenen unterbunden, die qua ihrer Funktion einen solchen hätten fördern müssen.

Die Möglichkeit eines Laborunfalls wird herausredigiert

Etwaige Zweifel an einer Zoonose zu zerstreuen, war auch das Ziel der Autoren des zweiten vielbeachteten Fachbeitrags im Journal «Nature Medicine», das gleich zu Beginn der Pandemie erschien. Mehrere renommierte Forscher verwarfen darin den Verdacht, die Auffälligkeiten im Genom von Sars-CoV-2 seien von Menschenhand erschaffen worden.

Ganz so sicher waren sich die Autoren ihrer Sache aber nicht. Das geht aus ihrem digitalen Schriftverkehr, den sie dem Prüfungskomitee des amerikanischen Repräsentantenhauses offenlegen mussten, klar hervor. In der bei «Nature» eingereichten ersten Version ihres Artikels hatten sie die Möglichkeit eines Laborunfalls auch noch weniger kategorisch verworfen. Das war offenbar einer der Gründe, weshalb der Beitrag abgelehnt wurde. Dafür spricht die vor dem US-Repräsentantenhaus offengelegte Kommunikation der Autoren mit dem Fachjournal.

Die redigierte und somit endgültige Fassung, die schliesslich am 17. März 2020 im medizinischen Spezialheft des renommierten Fachblatts («Nature Medicine») erschien, enthielt dann keine derartigen Zweifel mehr: «Unsere Analysen zeigen eindeutig, dass Sars-CoV-2 kein im Labor konstruiertes oder absichtlich manipuliertes Virus ist», steht darin.

Dass sich die Wissenschafter derart weit aus dem Fenster lehnten, obwohl zumindest einige von ihnen durchaus Zweifel an der Zoonose-Hypothese hegten, hatte unterschiedliche Gründe. So ging es gemäss den vom Untersuchungsausschuss ausgewerteten Dokumenten einigen darum, den Weltfrieden nicht zu gefährden, während andere verhindern wollten, dass ein etwaiger Laborunfall dem Ansehen der Wissenschaft schadet oder zu stärkeren Regulierungen der Virenforschung führt.

Letzteres galt mindestens für einen der Mitautoren, den niederländischen Virologen Ron Fouchier, der im Jahr 2011 für Aufruhr sorgte, weil er ein tödliches Vogelgrippevirus genetisch oder durch Tier-zu-Tier-Experimente so modifiziert hatte, dass es leicht zwischen Säugetieren übertragen werden konnte. Damit wäre auch in dem Fall die Möglichkeit eines Sprungs auf den Menschen nicht mehr weit entfernt gewesen.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zu Beginn der Pandemie die Debatte stark eingeschränkt, indem sie den Fokus auf die Zoonose-Hypothese lenkte. In ihrem Untersuchungsbericht, verfasst nach einer neuntägigen Fact-Finding-Mission in China im Februar 2020, schreibt die WHO: «Das Virus ist zoonotischen Ursprungs.»

Ihre Einschätzung änderte die WHO auch nicht nach ihrer zweiten China-Mission im Januar 2021. Und das, obwohl die Organisation nur sehr eingeschränkten Zugang zum Wuhan-Labor erhalten hatte. Von Beginn an zeigte China nur wenig Interesse an Untersuchungen, die das Risiko bargen, unangenehme Wahrheiten ans Licht zu bringen. An der Mission hatte im Übrigen auch der Virenforscher Peter Daszak teilgenommen. Dessen langjährige Arbeitsbeziehungen zum Wuhan-Labor sollten wohl helfen, dort Türen zu öffnen. Allerdings war er gerade wegen dieser langjährigen Arbeitsbeziehungen befangen und hatte, wie mittlerweile bekannt ist, aus dem Grund massive Interessenkonflikte.

Eine offene Debatte stärkt das Vertrauen in die Wissenschaft

Wie auch immer das neue Coronavirus entstanden sein mag: Dem Erkenntnisdrang unbeirrbarer Wissenschafter ist es letztlich zu verdanken, dass die Schwächen der Zoonose-Hypothese ans Licht kamen und ein wie auch immer gearteter Laborunfall seit kurzem nicht mehr als Hirngespinst von Verschwörungstheoretikern verteufelt wird.

Selbst wenn es auch dann nicht gelungen wäre, den Ursprung des neuen Coronavirus in Erfahrung zu bringen: Eine offene Debatte über die Entstehung der Pandemie hätte das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft gestärkt. Die öffentliche Ächtung von Personen, die auch unliebsamen Hypothesen nachgehen wollten, hat diesem hingegen nachhaltig geschadet.

Zu den wenigen, die sich von Anfang an für eine vorbehaltlose Aufklärung eingesetzt haben, zählt der Genetiker Günter Theissen von der Universität Jena. Er bezeichnet in seinem 2022 erschienenen Buch «Das Virus» die Absprache der Experten, die keine Zweifel an der Zoonose-Hypothese aufkommen lassen wollten, als die eigentliche Verschwörung.

Was den Ursprung von Sars-CoV-2 angeht, legt er sich dennoch nicht fest: «Ich hoffe inständig, dass es nicht Wissenschafter waren, die ein tödliches Virus möglicherweise erst konstruierten, entkommen liessen und es dann vertuschten. Doch die Welt ist kein Wunschkonzert – je mehr Details über die Umstände des Ausbruchs in Wuhan bekanntwerden, desto schwerer fällt es mir, an eine reine Naturkatastrophe zu glauben.»

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