Mittwoch, November 12

Das höchste Gericht der Vereinigten Staaten hat entschieden, dass Abtreibungen im Gliedstaat Idaho erlaubt sind, wenn schwangere Frauen sich in einer medizinischen Notlage befinden. Der darunterliegende Rechtsstreit ist jedoch nicht gelöst.

Der Supreme Court drückt sich um eine klare Positionierung in einem Abtreibungs-Streitfall und zieht sich auf Formaljuristisches zurück. Am Donnerstag hat er sich in einem Fall aus Idaho für nicht zuständig erklärt, was de facto bedeutet, dass Schwangerschaftsabbrüche im Gliedstaat Idaho vorläufig wieder erlaubt sind, wenn die Gesundheit der Patientin in Gefahr ist. Das konservative Idaho gehört zu den sechs Gliedstaaten mit den strengsten Abtreibungsverboten der USA, die auch keine Ausnahmen zum Schutz der Gesundheit schwangerer Frauen vorsehen. Ein Schwangerschaftsabbruch war dort bisher nur erlaubt, wenn er für die Patientin überlebensnotwendig war.

Der Supreme Court betrachtet sich als nicht zuständig

Gegen diese Regelung hatte die Biden-Regierung geklagt, weil sie im Widerspruch steht zu einem anderen Gesetz, dem Emergency Medical Treatment and Labor Act (Emtala). Das Gesetz stellt sicher, dass Patienten in Spitälern, die Mittel aus dem Bundesprogramm Medicare erhalten, was auf praktisch alle zutrifft, eine Notfallversorgung erhalten können. Eine untere Instanz gab der Bundesregierung recht: Falls das gliedstaatliche und das nationale Gesetz in Konflikt miteinander stehen, ist das landesweite Emtala-Gesetz übergeordnet und entscheidend. Das heisst, ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht nur erlaubt, wenn es für die Patientin um Leben und Tod geht, sondern auch im Falle einer medizinischen Notlage, also wenn die längerfristige Gesundheit der Frau auf dem Spiel steht.

Das Oberste Gericht hat nun in einer 6:3-Entscheidung den Fall abgewiesen, was bedeutet, dass die Entscheidung der unteren Instanz zumindest vorläufig wieder in Kraft tritt. Der Grund für die Abweisung liegt darin, dass eine Instanz – das Berufungsgericht – übersprungen wurde, was unüblich ist. Also dominierte die Ansicht, der Fall müsse zuerst vor diese tiefere Instanz kommen und der Supreme Court sei – noch – nicht zuständig.

Keine Regelung auf nationaler Ebene

Das ist eine gute Nachricht für die Befürworter des Rechts auf Abtreibung in Idaho. Aber die Verteidiger eines landesweiten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch hatten gehofft, dass die Richter zumindest bei medizinischen Notlagen grünes Licht für Abtreibungen auf nationaler Ebene geben würden. Damit wäre festgehalten gewesen, dass das Emtala-Gesetz landesweit und immer Vorrang vor gliedstaatlichen Regelungen hat. Das ist nun nicht der Fall. Bis zu einer nationalen Entscheidung kann es noch Jahre dauern.

Das juristische Tauziehen geht somit in die nächste Runde. Das ist umso problematischer, als dieser Konflikt zwischen dem gliedstaatlichen und dem nationalen Recht in anderen Gliedstaaten ebenfalls besteht. Damit bleibt auch eine juristische Unsicherheit für viele behandelnde Ärzte in der Frage, wann es sich um eine Notsituation handle, bei der eine Abtreibung legal ist. In Idaho riskierten Mediziner im Falle eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs bis zu fünf Jahre Haft.

Die Entscheidung des Gerichts besteht lediglich aus einem einzeiligen, nicht unterschriebenen Statement. Ein Entwurf war irrtümlicherweise bereits am Donnerstag kurz auf der Supreme-Court-Website publiziert worden.

Mehrheit der Amerikaner befürwortet Notfall-Abtreibungen

Die Bevölkerung hat übrigens eine klare Meinung zu dieser Frage. Laut einer landesweiten Erhebung von Scotus Poll vom April dieses Jahres sind 82 Prozent der Amerikaner der Ansicht, Spitäler müssten im Falle einer medizinischen Notsituation eine Abtreibung durchführen können. Bei den Demokraten sind es 90 Prozent, bei den Republikanern 73,5 Prozent. Es zeigt sich, dass die Republikanische Partei mit ihrer Ablehnung des Rechts auf Abtreibung nicht mit dem Gros ihrer Wählerschaft übereinstimmt.

Am 13. Juni hatte der Supreme Court einen anderen Fall zum Thema Abtreibung beurteilt. In der Auseinandersetzung um die Abtreibungspille Mifepristone entschied er, dass sie weiterhin zugelassen sei, allerdings lediglich aus prozeduralen Gründen. Da die Kläger das Medikament nicht selber verwendet und keinen Schaden erlitten hätten, seien sie in dieser Sache nicht beschwerdeberechtigt, urteilte das Oberste Gericht. Auch hier ging der Supreme Court also einer inhaltlichen Stellungnahme aus dem Weg.

Seit der Supreme Court im Juni 2022 nach fünfzig Jahren das nationale Recht auf Abtreibung («Roe v. Wade») aufgehoben und die entsprechende Gesetzgebung den Gliedstaaten überlassen hat, ist ein rechtlicher Flickenteppich entstanden. Die Diskussion um Abtreibung ist eines der beherrschenden Themen in den USA und auch zentral für die Präsidentschaftswahlen im November.

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