Sonntag, April 20

Die Chancen steigen, dass Spitzenpolitiker wie Biden auf dem Bürgenstock über den Frieden sprechen. Das grosse Fragezeichen ist China.

Seit Monaten weibelt die Schweiz für eine Friedenskonferenz zur Ukraine. Nun wird diese konkreter. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat mitgeteilt, dass er und Bundespräsidentin Viola Amherd in den nächsten Tagen das Datum festlegen wollten. Das sagte Selenski vor kurzem in einem Interview mit den von mehreren Fernsehsendern produzierten «ukrainischen Einheitsnachrichten». Anschliessend würden die Einladungen an Spitzenpolitiker in aller Welt verschickt. Erwartet würden die Vertreter von 80 bis 100 Ländern, aus Europa, Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten. Gemäss einem Bericht der Agentur Bloomberg soll die Konferenz am 16. und 17. Juni stattfinden.

Eine Schlüsselrolle spielen die USA, der wichtigste Verbündete der Ukraine. Wie die NZZ aus mehreren zuverlässigen Quellen erfahren hat, soll der amerikanische Präsident Joe Biden an der Konferenz teilnehmen. Eine definitive Zusage erfolgt in der Regel erst kurzfristig, zumal die Schweiz und die Ukraine die Einladungen noch gar nicht verschickt haben. Präsident Biden habe seine Teilnahme in der US-Delegation nicht bestätigt, sagte eine Sprecherin der amerikanischen Botschaft in Bern denn auch auf Anfrage. Doch die Chancen, dass Biden kommt, sind gestiegen. Unmittelbar vor der geplanten Ukraine-Konferenz soll er am Gipfel der G-7-Staaten in Italien teilnehmen.

Erfolg für die Schweiz

Das Interesse der USA ist für die Schweizer Diplomatie ein Erfolg. Lange hatte sich Washington geziert. Spitzenpolitiker wie Biden haben kein Interesse, bloss in die Schweiz zu reisen, um ein paar Hände zu schütteln. Doch Bern hat es offenkundig geschafft, mit Gesprächen mehr Substanz in die Diskussion zu bringen. Beobachter hoffen, dass die Schweiz nun zahlreiche weitere Staatschefs zur Teilnahme bewegen kann.

Das Aussendepartement (EDA) steht auch in engem Kontakt mit China, Indien, Brasilien, Südafrika und Saudiarabien. Der globale Süden spielt gemäss dem EDA eine wichtige Rolle, um am Ende Russland in den Prozess einzubeziehen. Namentlich eine Teilnahme von Peking, Moskaus wichtigstem Partner, wäre wichtig. Selenski wich im TV-Interview dieser Frage aus. Es gebe keine spezifische Liste von teilnehmenden Ländern, sagte er. China hatte am Treffen der Berater für nationale Sicherheit von 83 Staaten im Januar in Davos nicht teilgenommen, aber in den letzten Wochen positive Signale ausgesendet. Doch nun steht seine Unterstützung offenkundig in der Schwebe.

Viola Amherd hatte den Friedensgipfel bei Selenskis Besuch in Bern im Januar gross angekündigt – auf Anfrage der Ukraine. Das war für die Guten Dienste der Schweiz unüblich, da diese in der Regel diskret erfolgen. Inzwischen gibt sich Bern zurückhaltend. Die Vorbereitungen seien im Gang, sagte ein Sprecher des EDA auf Anfrage lediglich. Das Datum, der Konferenzort und die Teilnehmerstaaten würden zu gegebener Zeit bekanntgegeben. Der Bund spricht nicht mehr von einem Gipfel, sondern von einer hochrangigen Konferenz. Der Bundesrat soll diese Woche entscheiden, ob und wann diese stattfindet, wie Aussenminister Ignazio Cassis gegenüber der NZZ angetönt hat.

Schauplatz wichtiger Konferenzen

Die Schweiz steht vor einem Kraftakt, falls mehrere Spitzenpolitiker wie Biden teilnehmen. Es gibt nur wenige Orte, die für eine derartige Konferenz infrage kommen. Die Zeitungen der TX Group berichteten am Dienstag, der Bürgenstock stehe als Austragungsort im Vordergrund. Gemäss Informationen der NZZ hat sich der Bundesrat bereits im März für das Luxusresort als Tagungsort entschieden.

Die Hotelanlage ist mit dem Helikopter einfach zu erreichen und liegt in unmittelbarer Nähe des früheren Militärflugplatzes Buochs. Im Gegensatz zu Konferenzorten in Genf oder Davos liegt das Luxusresort zudem nicht in bewohntem Gebiet. Vor allem lässt es sich sicherheitstechnisch leicht abriegeln. Für den umfangreichen Schutz, der für einen US-Präsidenten gewährleistet werden muss, ist dies wichtig.

Auf Anfrage wollte Karin Kayser-Frutschi, die Sicherheitsdirektorin des Kantons Nidwalden, auf dessen Territorium das Luxusresort will keine Stellung nehmen. Sie deutete aber an, dass in den kommenden Tagen mit näheren Informationen zur Konferenz zu rechnen ist. Die Hotelanlage, die in den letzten Jahre erneurt und teilweise neu gebaut worden ist, dürfte somit Mitte Juni im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stehen.

Ohne Russland

Die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock entspricht nicht der reinen Lehre. Die Methode unterscheidet sich von einer typischen Vermittlung zwischen zwei Kriegsparteien. Mit Russland dürfte die eine Seite vorderhand gar nicht am Tisch sitzen. Moskau hat mit seinem Angriff auf die Ukraine gegen jegliche völkerrechtliche Regeln verstossen. Im besten Fall einigen sich aber gegen 100 Staaten auf die Prinzipien für einen Friedensprozess. Als Grundlage sollen die Eckwerte der Uno-Charta dienen.

Die Friedenskonferenz wäre nicht die erste, die auf dem Bürgenstock stattfindet. Im Jahr 2004 organisierte die Schweiz bereits eine hochrangige Zypernkonferenz. Im Jahr 2002 half sie den USA, einen Waffenstillstand für die Nuba-Berge zwischen der sudanesischen Regierung und den Rebellen im heutigen Südsudan auszuhandeln. Die Konfliktparteien einigten sich, Truppen zu entflechten, ausländische Beobachter zuzulassen und frei zugängliche Zonen einzurichten, um die Zivilbevölkerung zu versorgen. Das Waffenstillstandsabkommen mündete einige Jahre später in ein Friedensabkommen.

Die Ukraine und Russland sind noch weit von einem Waffenstillstand entfernt. Kiew hofft jedoch, dass die Friedenskonferenz in der Schweiz zumindest den Weg bereitet, um Ende Jahr mit einer zweiten Konferenz einen Waffenstillstand zu besiegeln. Selbst wenn es so weit kommt, ist mit Rückschlägen zu rechnen, wie das Beispiel des Sudans zeigt. Der Frieden ist bis heute fragil geblieben.

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