Dienstag, November 26

Europäische Aktien sind relativ zu US-Titeln so tief bewertet wie seit 20 Jahren nicht. Der Rücksetzer bei US-Techwerten hat Hoffnung auf den Favoritenwechsel geschürt. Doch die schlechte Entwicklung deutscher und auch Schweizer Unternehmen spricht gegen Europa.

Seit dem 10. Juli ist an den Finanzmärkten ein deutlicher Favoritenwechsel zu beobachten. Die glorreichen Sieben der grossen US-Tech-Aktien haben mehr als 10% an Börsenwert verloren. Dagegen sind die kleineren US-Aktien im viel zitierten Nebenwerteindex Russell 2000 kräftig gestiegen. The Market hat die Entwicklung bereits ausführlich beschrieben.

Das Comeback der US-Nebenwerte gilt als gutes Zeichen für eine anhaltende Aufwärtsbewegung. Denn eine Hausse gilt als stabiler und nachhaltiger, wenn nicht nur ein gutes halbes Dutzend grosser Aktien steigt, sondern ein möglichst breiter Teil des Aktienmarkts.

Nicht nur kleinere US-Unternehmen waren jahrelang hinter den glorreichen Sieben zurückgeblieben. Noch schlechter als die US-Small-Caps hatten sich internationale Aktien entwickelt. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis waren europäische Aktien Anfang Juli 37% niedriger bewertet als US-Aktien, haben die Investmentstrategen von Morgan Stanley errechnet. Das ist der grösste Bewertungsabschlag seit mindestens 20 Jahren.

Der Rücksetzer bei den Glorreichen Sieben und die Aufholjagd der US-Small-Caps wecken auf dem Alten Kontinent die Hoffnung, dass es auch für hiesige Aktien bei der Bewertung nun aufwärts gehen könnte, auch im Vergleich zu den US-Large-Caps. Dagegen sprechen jedoch die Kennzahlen der europäischen Unternehmen im Vergleich zu ihren Rivalen jenseits des Atlantiks, wie Investmentstratege Michael Cembalest von JP Morgan Ende Juli argumentiert hat. Small Caps, Value-Aktien und auch Aktien ausserhalb der USA seien aus einem nachvollziehbaren Grund auf dem niedrigsten Bewertungsstand seit 20 Jahren, sagt Cembalest: Das Gewinnwachstum sei schwächer als bei den US-Standardwerten.

Blicken wir zunächst auf die Entwicklung des Umsatzes in der vergangenen Dekade. Das Bild ist aus europäischer Sicht erschütternd. Der europäische Stoxx 600 und besonders der deutsche Leitindex Dax zeigen ein Bild der Stagnation. Binnen zehn Jahren ist der Umsatz der grössten deutschen Börsenunternehmen gerade einmal um 12% gewachsen. Die Unternehmen im S&P 500 schafften zusammen ein zehn Mal so starkes Wachstum. Die Mitglieder des SMI erzielten immerhin ein Umsatzplus von 54%.

Etwas besser sieht es bei den Gewinnen aus. Die Dax-Mitglieder steigerten die Profite immerhin um fast die Hälfte. Da die Umsatzzuwächse, wie oben gezeigt, bescheiden ausfielen, muss der Löwenanteil der Gewinnsteigerung also aus Sparmassnahmen und Effizienzgewinnen stammen.

Die Mitglieder des Schweizer Leitindex erhöhten die Gewinne immerhin um zwei Drittel. Doch die Unternehmen im S&P 500 steigerten sie in derselben Periode um das Anderthalbfache.

Wachstumswüste Europa

«Unternehmen ausserhalb der USA waren eine Gewinnwüste in der vergangenen Dekade», urteilt JP-Morgan-Stratege Cembalest. Und es fällt angesichts der Daten schwer, ihm zu widersprechen.

Aktien ausserhalb der USA bildeten zusammen mit Value-Aktien und US-Small-Caps «die unheilige Dreifaltigkeit der Underperformance», so das harte, aber faire Urteil des US-Strategen.

Cembalest sieht keine Anzeichen dafür, dass sich dies ändere. «Die schlechten Gewinnkennzahlen sprechen gegen eine längere Outperformance im Vergleich zu US-Standardwerten.» Am ehesten hätten noch US-Small-Caps Aufholpotenzial.

Die Unternehmensdaten legen ganz klar eine Erkenntnis nahe: Wenn die Europäer eine bessere Börsenentwicklung erreichen wollen, müssen zuerst die Unternehmen mehr Wachstum schaffen. Gern auch unterstützt von einer wachstumsfördernden Wirtschaftspolitik.

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