Auf den letzten Metern will die Biden-Regierung Russland mit neuen Sanktionen empfindlich treffen. Doch was passiert, wenn Trump das Ruder übernimmt?
(dpa)/amü. Die scheidende US-Regierung von Präsident Joe Biden verhängt die laut eigenen Angaben bis anhin schärfsten Sanktionen gegen Russlands Energiesektor. Die Massnahmen zielen auf zwei der grössten russischen Ölkonzerne, Gazprom Neft und Surgutneftegas, teilte das Finanzministerium am Freitag in Washington mit.
Mit Sanktionen belegt werden auch 183 Schiffe, die die US-Regierung zum Grossteil zur sogenannten russischen Schattenflotte zählt. Das sind Tanker und Frachtschiffe, die Russland nutzt, um bestehende Sanktionen beim Öltransport zu umgehen. Betroffen seien auch spezifische Projekte und die Infrastruktur für verflüssigtes Erdgas (LNG) sowie Subunternehmen, Dienstleister, Händler und maritime Versicherer.
Grossbritannien werde sich anschliessen
Mit den neuen Massnahmen will die US-Regierung die Produktions- und Lieferketten der russischen Energiewirtschaft treffen und damit das Gefüge schwächen, das der Kreml zur Finanzierung seines Angriffskriegs gegen die Ukraine nutzt. «Unsere Sanktionen wirken wie Sand im Getriebe der russischen Kriegsmaschinerie», hiess es. Grossbritannien werde sich den Sanktionen anschliessen. «Wir gehen davon aus, dass unsere Massnahmen Russland jeden Monat mehrere Milliarden Dollar kosten werden.»
Die US-Regierung hofft, so die russische Währung weiter zu schwächen, die Inflation anzuheizen und die russische Zentralbank dazu zu bringen, den Leitzins noch weiter anzuheben. Dieser hat bereits ein Rekordniveau erreicht. Das wiederum könnte die finanzielle Lage russischer Unternehmen weiter verschlechtern.
Die USA wählten indes einen massvollen Ansatz und vermieden es, auch den grössten russischen Ölproduzenten, Rosneft, zu sanktionieren. Gemäss dem «Wall Street Journal» wurden auch zentrale Figuren im Schattenhandel mit russischem Erdöl verschont.
Washington sieht veränderte Situation auf Energiemärkten
Den Zeitpunkt der Sanktionen begründete Washington mit einer veränderten Situation auf den globalen Energiemärkten. «Zu Beginn des Krieges (im Februar 2022) waren die Energiemärkte sehr angespannt, und wir hatten Sorge, dass Massnahmen gegen Russlands Ölexporte die Preise so stark in die Höhe treiben könnten, dass Russland trotz geringeren Verkaufsmengen am Ende sogar mehr verdient», hiess es. Die gegenwärtige Marktsituation mit erhöhten Produktionskapazitäten – etwa in den USA, Kanada und Brasilien – lasse nun eine härtere Gangart zu, ohne den globalen Ölmarkt zu destabilisieren.
Die Biden-Administration beschloss die neuen Sanktionen wohl auch aus innenpolitischen Gründen erst jetzt. Vor November eingeführt, hätten sie die Benzinpreise vor den Wahlen nach oben getrieben und den Demokraten schaden können. Jetzt muss Bidens Nachfolger Donald Trump mit den Folgen umgehen: Tatsächlich hat sich Erdöl der Sorten Brent und WTI am Freitag nach der Ankündigung im Welthandel um mehrere Prozent verteuert.
In gewisser Hinsicht profitiert Trump indes von den Sanktionen seines Vorgängers. Er erhält neue Trumpfkarten für Verhandlungen mit Russlands Präsident Wladimir Putin, ohne dass er selbst dafür verantwortlich gemacht werden kann.
Mit dem Amtsantritt des Republikaners am 20. Januar könnte sich die Dynamik der US-Sanktionspolitik ändern. Trump betont regelmässig seine guten Beziehungen zu Putin. Im Wahlkampf hatte er mehrfach behauptet, er könne den Ukraine-Krieg innerhalb von 24 Stunden beenden – wie genau, liess er offen. In Kiew und anderen europäischen Hauptstädten besteht die Sorge, dass Trump die Unterstützung für die Ukraine kürzen könnte, um die dortige Regierung zu Verhandlungen mit Moskau zu drängen.
Es ist indes durchaus möglich, dass Trump auch gegenüber Putin auf seine liebste Verhandlungstaktik zurückgreift: zunächst Härte markieren und mit neuen Massnahmen drohen, um den Gegner zu Zugeständnissen zu bewegen, bevor man tatsächlich in die Verhandlung einsteigt.
Die Biden-Regierung bereitet Trump hierfür derzeit die Basis. Sie hat in ihren letzten Amtstagen daran gearbeitet, umfangreiche Militärhilfen an Kiew zu schicken, um die bereits vom Kongress genehmigten Mittel rechtzeitig zu nutzen. Die neuen Sanktionen ergänzen eine lange Reihe von Massnahmen, die die USA und Verbündete – darunter auch die Europäische Union – seit Beginn des Krieges eingeleitet haben, um Moskaus Einnahmen und militärische Kapazitäten zu schwächen.