Freitag, Oktober 25

Dem Vater komme eine einzigartige Rolle im Leben seiner Kinder zu, sagt die Forscherin Anna Machin. Sie erklärt, wie wichtig Väter für die schulische Leistung sind – und warum sie mehr mit ihren Kindern raufen sollten.

Es begann mit einer schwierigen Geburt. Als Anna Machin ihr erstes Kind bekam, blieb sie traumatisiert zurück. Aber während sie zahlreiche Hilfsangebote erhielt, um das Erlebte zu verarbeiten, bekam ihr Partner gar nichts. Er habe das auch gar nicht erwartet, erzählt sie rückblickend. Wichtiger sei es, dass es Mutter und Kind gut gehe, glaubte er damals. Als Vater sei er nun einmal der sekundäre Elternteil.

Als Machin, eine Anthropologin, wieder als Professorin an die Oxford-Universität zurückkehrte, wollte sie herausfinden, was die Forschung über Väter weiss. Sie stellte fest: Es ist ziemlich wenig. Zwar gab es viele Studien über abwesende Väter, aber was war mit jenen Vätern, die mit ihren Kindern spielen, ihnen vorlesen und sie zur Schule bringen? Die letzten 15 Jahre hat Anna Machin daran gearbeitet, diese Lücke zu schliessen. Sie wurde zu einer der ersten «Dad-Forscherinnen».

Anna Machin, wir leben in einer Zeit, in der Familien immer diverser werden und in der traditionelle Geschlechterrollen neu ausgehandelt werden. Was ist überhaupt ein Vater?

Nun, ich definiere «Dad» nicht als jemand, der in die Empfängnis involviert ist. Im Westen haben wir eine eigenartige Besessenheit mit dem biologischen Vater. Ich höre oft, der biologische Vater sei doch aber der «richtige» Vater.

Und?

Ist er nicht unbedingt, vor allem nicht, wenn er nicht da ist. «Dad» ist ein Titel, den man bekommt, wenn man die Aufgabe eines Vaters erfüllt, also seine Rolle übernimmt. Viele Kulturen kennen soziale Väter; sie sind Onkel, Grossväter, ältere Brüder, Lehrer oder Freunde der Mutter. Manche Kinder haben ein ganzes Team von Vätern. Bei alleinerziehenden Müttern hört man oft: Es gibt keinen Vater. Wenn man genauer nachfragt, stellt man jedoch fest: Es gibt fast immer einen oder mehrere Männer im Leben der Kinder, welche die Aufgabe des «Dad» übernommen haben. Wir bezeichnen sie bloss nicht so.

Sie selbst sind mit einem traditionellen Vater aufgewachsen. Welches Erlebnis kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Ihre Kindheit mit ihm denken?

Oh, wow – das ist ziemlich emotional. Mein Vater ist vergangene Weihnachten gestorben, und ich habe so viele schöne Erinnerungen mit ihm. Mein Dad war Architekt. Seine Eltern hatten das so gewollt, er aber wäre lieber Baumeister geworden. Also hat er zu Hause immer irgendwelche Dinge gebaut, und ich durfte seine Assistentin sein. Ich stand neben ihm und hielt die Nägel oder den Hammer. Er hat mir auch gezeigt, wie man Backsteine legt, so dass ich einmal selbst ein Haus bauen könnte.

Warum ist ausgerechnet diese Erinnerung so wichtig für Sie?

Es war Eins-zu-eins-Zeit mit meinem Vater, das gab mir das Gefühl, besonders zu sein. Und er hat mir gewissermassen die Arbeitswelt gezeigt: Ich habe im Kleinen gelernt, was ein Job ist. Er hat mir also etwas Konkretes beigebracht – und wir wissen heute, dass das etwas vom Wichtigsten ist, was Väter für ihre Kinder tun können.

Das könnten Mütter doch auch?

Ja, auch Mütter bringen ihren Kindern viel bei. Aber wir haben festgestellt, dass Väter das in einer speziellen Form tun – und zwar alle Väter, unabhängig davon, wo und in welchem kulturellen Kontext sie leben: Sie rüsten ihre Kinder für die Welt ausserhalb der Familie, und sie unterstützen sie dabei, diese zu betreten. Wir nennen das «Scaffolding» (deutsch: rüsten). Und das hat auch mein Vater getan.

In Ihrer Forschung betonen Sie, dass dem Vater eine einzigartige Rolle zukommt. Meinen Sie damit dieses «Scaffolding»?

Genau. Wir bezeichnen den Vater als den «sozialen Elternteil»: Er ist derjenige, der seinen Kindern sagt: Du musst dich den Herausforderungen der Welt da draussen stellen, und ich bin derjenige, der dir die Fähigkeiten mitgibt, um darin erfolgreich zu sein. Der Vater zeigt, wie man selbständig und unabhängig wird. Das ist seine einzigartige Rolle, und sie zieht sich durch sämtliche Kulturen weltweit.

Väter können ihre Kinder besser für «die Welt da draussen» rüsten als Mütter?

Die Mutter-Kind-Beziehung scheint sich tatsächlich kategorisch von jener zwischen Vater und Kind zu unterscheiden: Das Forscherpaar Karin und Klaus Grossmann beispielsweise hat bemerkenswerte Langzeitstudien zur Bindung geliefert. Sie zeigen, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind eher die Sicherheit in Beziehungen gefördert hat und jene zwischen Vater und Kind die Sicherheit, Neues zu erkunden.

Wie zeigt sich das?

Zum Beispiel, wenn das Kind in den Kindergarten oder in die Schule geht. Der Bindungsforscher Daniel Paquette hat bei Kindern, die eine neue und ungewohnte Umgebung betreten, ihre Beziehung zum Vater untersucht. Es zeigte sich: Jene Kinder mit einer engen Bindung zum Vater hatten eher den Mut, diese neue Welt zu entdecken, initiativ und selbstsicher in der Nähe von fremden Personen zu sein. Wenn das Kind erstmals in den Kindergarten geht, ist es zum ersten Mal ein Individuum in einer neuen sozialen Umgebung, ausserhalb seiner Familie. Kinder, die eine sichere Bindung zu ihrem Vater haben, kommen also nachweislich besser in dieser Situation zurecht.

Und Mütter haben keinen Einfluss darauf?

Wir sehen den Zusammenhang bei Müttern in diesen Situationen weniger. Die bisherige Studienlage zeigt: Väter sind der entscheidende Elternteil, wenn es um emotionale Resilienz geht.

Wie kommt das?

Wenn Väter ihre Kinder für die Welt fernab der Familie rüsten wollen, müssen sie sie mit Herausforderungen konfrontieren und sie ermutigen, physische und emotionale Risiken einzugehen. Das ist es, was Resilienz ausmacht. Die chinesische Psychologin Baoshan Zhang und ihr Team haben Hunderte Oberstufenschüler zu ihren Vätern befragt, und das Resultat war faszinierend: Teenager, die ihren Vater als warmherzig beschrieben haben, wiesen eine deutlich höhere Resilienz auf als jene, die ihren Vater als bestrafend bezeichneten. Studien weltweit kamen zu einem ähnlichen Ergebnis. Das zeigt: Es ist wirklich global anwendbar.

Das Verhalten eines Vaters hat also Folgen für die geistige Gesundheit seiner Kinder?

Ja, wir können die psychische Gesundheit von Jugendlichen anhand ihrer Beziehung zu ihren Vätern ziemlich gut voraussagen: Kinder, die eine sichere Bindung zu ihrem Vater haben, haben ein geringeres Risiko, später Angstzustände oder Depressionen zu erleiden. Wenn Kinder einen sensiblen und involvierten Vater haben, entwickeln sie einen höheren Selbstwert und können besser mit Stress umgehen.

Bei Teenagern ist der Effekt besonders ausgeprägt, weil sie sich an der Schwelle zur Selbständigkeit befinden. Studien aus aller Welt sprechen eine klare Sprache: Die Beziehung zum Vater während der Teenagerjahre beeinflusst unsere geistige Gesundheit bis ins Erwachsenenleben. Wenn Sie also Vater von Teenagern sind: Verbringen Sie Zeit allein mit Ihrem Kind.

Schlägt sich das auch in den schulischen Leistungen nieder?

Interessanterweise ja. Der Pädagoge William Jeynes hat Tausende Daten weltweit verglichen. Er hat festgestellt, dass involvierte Väter einen markant höheren Einfluss auf schulische Leistungen ihrer Kinder hatten als Mütter. Das Erstaunliche daran war aber, was die Väter dazu beitrugen: nämlich, welche Einstellung zum Lernen das Kind aufbrachte. Väter, die gutes Benehmen und eine gesunde Haltung der Schule gegenüber förderten, legten demnach ein Fundament für gute Leistungen.

Die Botschaft an die Väter ist also: Wenn euer Kind sein Potenzial in der Schule ausschöpfen soll, dann baut eine unterstützende Beziehung zu ihm auf. Bringt euch im täglichen Schulleben mit ein, zeigt ihm eine gute Lerneinstellung und fördert die sozialen Fähigkeiten genauso wie die schulischen.

Sprechen wir über den Beginn einer Vaterschaft. Wenn eine Frau Mutter wird, macht ihr Körper eine riesige Veränderung durch. Beim Mann verändert sich erst einmal nicht viel. Was macht einen Mann überhaupt zum Vater?

Auch der Körper der Männer bereitet sich auf die neue Aufgabe vor. Die Neuroforscherin Pilyoung Kim von der Universität in Denver hat 2014 untersucht, wie sich das Gehirn von Männern in den ersten Wochen der Vaterschaft verändert. Es stellte sich heraus, dass jene Bereiche, die für Bindung und Zuwendung zuständig sind, gewachsen waren.

Man kannte dieses Phänomen schon bei Müttern.

Ja, aber es war komplett neu, dass sich auch männliche Gehirne mit der Elternschaft verändern. Und das ist nicht alles: Wir stellen auch einen drastischen Abfall von Testosteron bei Männern fest, wenn sie Väter werden – und zwar bis um ein Drittel. Das Level wird auch nie mehr auf jenes vor der Vaterschaft zurückkehren.

Männer geraten vermutlich in Panik, wenn sie das hören.

Das tun sie. Ich höre oft von Vätern: «Ich hoffe, das ist nicht wahr.» Insbesondere wenn sie gerne trainieren. An dieser Stelle: Tut mir leid, aber es ist wirklich wahr. Ich verstehe, dass das beängstigend ist. Aber es ist sehr wichtig.

Weshalb?

Testosteron ist kein gutes Elternschaftshormon. Es macht aggressiv, und es bewirkt, dass wir einen anderen Partner suchen möchten. Das ist nicht hilfreich, wenn man ein präsenter Vater sein will. Es reduziert ausserdem die Wirksamkeit von zwei sehr wichtigen Bindungshormonen: Dopamin und Oxytocin. Der tiefere Testosteronspiegel verschiebt den Fokus der Väter: weg von der Partnersuche, hin zum Nachwuchs.

Heisst das, ein Mann büsst physische Kraft ein, sobald er Vater wird?

Nein, es hat keinen drastischen Einfluss auf die Kraft eines Vaters. Es kann aber dazu führen, dass Väter emotionaler und empathischer sind als zuvor, dass es zum Beispiel plötzlich mehr in ihnen auslöst, wenn sie schreckliche Nachrichten in der Zeitung lesen. Im Gegenzug ermöglicht diese Veränderung, dass der Vater eine gute Bindung zu seinem Baby aufbauen kann. Es gab dieses Experiment, bei dem Männern mit unterschiedlichen Testosteron-Levels Aufnahmen von weinenden Babys abgespielt wurden. Es zeigte sich: Je tiefer der Testosteronspiegel eines Mannes war – egal ob Vater oder nicht –, desto eher hatte er den Drang, sich um das Kind zu kümmern.

Wann beginnt diese Umstellung bei werdenden Vätern?

Wir wissen noch nicht, ob die Veränderung beim Mann schon während der Schwangerschaft einsetzt. Aber klar ist: Viele wichtige Veränderungen im Gehirn passieren erst, nachdem der Vater mit seinem Kind interagiert hat – und das ist eine gute Nachricht.

Warum?

Das bedeutet, dass man nicht der biologische Elternteil des Kindes sein muss, damit das passiert. Diese Veränderungen passieren also auch, wenn man ein Adoptivvater ist und sein Kind erst später kennenlernt.

Sie waren vor über 15 Jahren eine der Ersten, die begannen, über Väter zu forschen. Wie kommt es, dass wir so wenig über Väter wissen?

Die Antwort ist ziemlich einfach: Man hielt Väter lange einfach nicht für besonders wichtig. Man glaubte nicht, dass ihnen eine besondere Rolle zukommt. Bis heute herrscht teilweise das Bild vor, dass die Mutter im Grunde alles macht, was für die Entwicklung des Kindes wichtig ist, und der Vater einfach der sekundäre Elternteil ist, der die Mutter höchstens imitieren kann.

Das liegt wohl auch daran, dass Mütter noch diejenigen sind, die am meisten Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Mütter sind grossartig, ich bin selbst eine. Aber weil ein grosser Teil der Gesellschaft meint, dass Mütter einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben, glauben sie auch, dass die Mutter eine stärkere Bindung zum Kind aufbaut. Selbst berühmte Forscher vertraten diese Haltung: John Bowlby etwa, der Vater der Bindungstheorie. Er war ein grossartiger Psychiater, doch auch er sagte in den 1950er Jahren, dass Babys keine Bindung zu ihrem Vater aufbauen würden. Väter seien einfach nicht so wichtig.

. . . was laut Ihnen falsch ist.

Äusserungen wie jene von Bowlby führten dazu, dass viele Forscher sich nie die Mühe machten, das zu überprüfen.

In Ihrem Buch «The Life of Dad» schreiben Sie: «Der bevorzugte Partner, um zu spielen, ist Dad, der bevorzugte Partner, um umsorgt zu werden, ist Mom.» Das klingt ziemlich stereotypisch.

Es ist sehr stereotypisch. Wir können nicht verhindern, dass die Wissenschaft Stereotype unterstützt, denn manchmal sind sie wahr. Oft höre ich Mütter sagen: «Die Kinder kommen zu mir, um geknuddelt zu werden, und zum Papa, um Spass zu haben.» Das ist nicht einfach so dahingesagt. Dieses Verhalten ist gesteuert von Neurochemie.

Das müssen Sie erklären.

Dieses fürsorgliche Verhalten der Mutter ist ein evolutionäres Überbleibsel: Mütter kümmern sich seit Millionen von Jahren um ihre Kinder. Damals gab es keine Väter, die in die Erziehung involviert waren. Und dieser Umstand zeigt sich noch heute im Hormonspiegel, vor allem in der Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin: Bei der Mutter erreicht das Hormon den Höhepunkt, wenn sie ihr Baby liebevoll umsorgt, wenn sie es also umarmt, streichelt oder sanft mit ihm spricht – und bei ihrem Kind ist es genau gleich. Zwar wird auch Oxytocin ausgeschüttet, wenn die Mutter mit ihm spielt, aber es ist viel weniger, als wenn sie es knuddelt.

Und beim Vater?

Hier stellen wir den Höhepunkt fest, wenn er mit seinem Kind spielt. Aus evolutionärer Sicht macht das durchaus Sinn: Die menschliche Vaterschaft ist höchstens 500 000 Jahre alt. Dad kam also viel später dazu, und dann war es seine Aufgabe, die älteren Kinder unter seine Fittiche zu nehmen, damit sich die Mutter um das Neugeborene kümmern konnte. Und auch hier gilt: Natürlich umsorgen und knuddeln auch Väter ihre Kinder, aber sie schütten dabei weniger Oxytocin aus.

In ihrer Forschung stiessen sie auf viele Männer, die sich in den ersten Monaten als Väter ausgeschlossen, ja sogar nutzlos fühlten. Ist das der Grund dafür?

Absolut, ja. Väter bauen oft erst verspätet eine Bindung zu ihrem Kind auf. Das liegt auch daran, dass die Mutter einen immensen Vorsprung bekommt: Die Geburt ist ein regelrechter Tsunami an Bindungshormonen.

Kann der Vater das überhaupt aufholen?

Damit der Vater diese Hormone überhaupt ausschütten kann, muss er mit seinem Kind interagieren. Doch menschliche Babys sind in den ersten sechs Monaten nicht besonders gut darin, der Vater bekommt kaum eine Reaktion. Gleichzeitig kann die Mutter ihre Bindung laufend vertiefen, insbesondere, wenn sie stillt. Das kann sehr beängstigend sein. Ich habe viele Väter getroffen, die in den ersten Monaten das Gefühl hatten, zu versagen, oder die glaubten, ihr Kind möge sie nicht. Dabei steckt dahinter einfach ein sehr dominanter, neurochemischer Grund.

Er muss also einfach durchhalten?

Ja. Nach ein paar Monaten beginnt das Baby zu lachen und zu plappern, und es zeigt seine Freude, wenn es seinen Papa sieht. Fast alle Väter, die ich nach sechs Monaten interviewt habe, sagten: «Ich liebe mein Baby. Aber die ersten Monate waren sehr schwierig, als ob wir keine richtige Bindung gehabt hätten.» Wir müssen Väter besser auf dieses Gefühl vorbereiten. Wir müssen ihnen versichern: Es ist nichts falsch mit dir.

Daraus könnte man schliessen: Väter sind in den ersten Monaten also doch nicht so wichtig.

Natürlich sind sie das! Väter sind nicht einfach männliche Mütter. Und sie sind sogar wichtig, bevor das Baby überhaupt geboren ist. Väter können bereits in der Schwangerschaft eine Bindung zu ihrem Kind herstellen.

Wie macht man das?

Das beinhaltet viele Dinge, die viele Väter ein wenig merkwürdig finden, zu tun: mit dem Baby reden oder den Bauch berühren, wenn das Kind sich darin bewegt. Und tagträumen.

Tagträumen?

Genau. Wir haben festgestellt: Je mehr sich ein Vater bereits während der Schwangerschaft ausgemalt hat, wer sein Kind sein würde, was er mit ihm unternehmen würde oder was für ein Vater er sein würde, desto fortgeschrittener ist die Bindung, wenn das Kind zur Welt kommt. Der Vater fühlt sich dadurch nicht nur weniger ausgeschlossen, es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind eine sichere Bindung zu ihm entwickelt. Und bei der Geburt zeigen die Zahlen: Sie endet sowohl für die Mutter als auch für das Kind besser, wenn der Vater dabei ist. Es gibt weniger Todesfälle, und Frauen, bei denen der Partner anwesend war, berichten von einer weniger stressigen Geburt. Der Vater ist also enorm wichtig.

Nach der Geburt wird er das Baby trotzdem nicht stillen können.

Nein, aber er kann andere Aufgaben übernehmen, um die Bindung zu fördern. Wir raten den Vätern zum Beispiel dazu, ihr Baby zu baden oder ihnen Babymassagen zu geben. Diese Aufgaben beinhalten ebenfalls physischen Kontakt und Eins-zu-eins-Zeit.

Was macht denn nun einen Vater zu einem guten Vater?

Das kommt ganz darauf an, wo das Kind aufwächst. Robert LeVine, Entwicklungswissenschafter an der Harvard-Universität, vertritt die Theorie, dass letztlich alle Väter auf der Welt ihre wichtigste Aufgabe darin sehen, das Überleben und den zukünftigen Erfolg ihres Nachwuchses zu sichern. Aber wie sie diese Aufgabe ausführen, hängt davon ab, welches Risiko sie in ihrer Umgebung wahrnehmen.

Die Vaterrolle ist also getrieben von der grössten Gefahr?

Ja, am stärksten. Nehmen wir an, er lebt an einem Ort mit viel Gewalt. Dann ist das grösste Risiko für sein Kind, getötet zu werden. Und seine primäre Rolle ist es, hinauszugehen, zu kämpfen und sein Kind davor zu beschützen.

Nicht gerade das, was wir im Westen darunter verstehen.

Nein, aus westlicher Sicht sehen wir darin nicht unbedingt einen guten Vater: Er verbringt nicht viel Zeit mit seinem Kind, er umsorgt es nicht, füttert es nicht und liest ihm keine Geschichten vor. Aber in seiner Welt tut er genau das, was er tun sollte: Er geht raus und bekämpft, was auch immer sein Kind bedrohen könnte – seien es verfeindete Menschen oder gefährliche Tiere.

Nun ist bei uns die Chance, auf dem Schulweg von einem Tier gefressen zu werden, ziemlich gering.

Die grösste Gefahr für unsere Kinder ist, dass sie im Leben scheitern – zwischenmenschlich oder wirtschaftlich. Wenn Sie dies als Vater verhindern wollen, dann werden Sie ein fürsorglicher, bildender Vater sein, der sein Kind an die Hand nimmt und ihm die Welt erklärt. Wenn Sie befürchten, dass Ihr Kind beruflich nicht erfolgreich sein könnte, werden Sie versuchen, das nötige Geld für eine gute Ausbildung aufzubringen.

Heute gibt es Väter, die sich als «Ernährer» verstehen, morgens früh zur Arbeit gehen und erst spät wieder nach Hause kommen, und es gibt Hausmänner, die den grössten Teil der Kinderbetreuung abdecken. Beide sind überzeugt: Sie tun das Beste für ihre Kinder.

Beide tun, was sie glauben, tun zu müssen. Väter sind in einer schwierigen Position. Sie hören auf der einen Seite noch immer: «Du solltest das Geld für die Familie verdienen.» Auf der anderen Seite gibt es die neue Vorstellung vom Vatersein: Du musst involviert sein, du musst mit anpacken, du musst eine Bindung zu deinem Kind herstellen, du bist wichtig für die Entwicklung.

Eigentlich kann man nur scheitern.

Es ist zumindest eine konstante Spannung. Beide diese Väter erfüllen eine Aufgabe, welche die Gesellschaft ihnen aufgetragen hat. Vielleicht hat der «Ernährer»-Vater bei seinem Job gar nicht die Möglichkeit, öfter zu Hause zu bleiben – das ist häufig der Fall. Unsere Arbeitskultur ist noch immer sehr konservativ; es ist schwierig, einen Job zu finden, der sich gut mit dem Elternsein vereinbaren lässt.

Und wenn der Vater das gar nicht will?

Dann ist er womöglich einfach überzeugt vom Konzept, als Mann den Lebensunterhalt zu verdienen. Und das müssen wir nicht bewerten. Was wir aber als Gesellschaft tun sollten: Jene Väter, die beide Rollen erfüllen wollen, dabei unterstützen, dies tatsächlich tun zu können. Es ist sehr schwer, alles zu jonglieren – viele Mütter wissen das nur zu gut.

Man würde annehmen, dass jener Vater, der mehr zu Hause ist, auch die besseren Chancen hat, eine starke Bindung zu seinen Kindern aufzubauen. Stimmt das?

Nein, das stimmt nicht. Man muss sich auch bewusst sein: Hausmann und Familienvater zu sein, kann sehr stressig sein. Und unter Stress ist es schwieriger, eine Bindung aufzubauen. Ein arbeitender Vater wird eine andere Beziehung zu seinen Kindern haben, aber er kann eine genauso gute Bindung herstellen wie einer, der zu Hause bleibt. Es ist weniger entscheidend, wie viel Zeit der Vater mit dem Kind verbringt, als vielmehr, was er mit ihm macht.

Was sollte er denn mit dem Kind machen?

Spielen!

Das klingt fast zu einfach.

Unsere Forschung zeigt: Spielen ist enorm wichtig für die Entwicklung des Kindes. Und Väter haben eine sehr eigene Art, das zu tun: Wir nennen es «rough and tumble play», raues und stürmisches Spielen. Das ist zum Beispiel, wenn Väter ihre Kinder in die Luft werfen, mit ihnen raufen und toben, wenn das Kind vor Freude kreischend mit dem Vater herumrennt. Meist beginnt diese Art des Spielens etwa, wenn das Kind sechs Monate alt ist. Und wir wissen heute, dass es bei der Bindung von Vätern mit ihren Kindern absolut entscheidend ist.

Warum?

Einerseits, weil die Kinder Resilienz aufbauen, wenn sie mit ihren Vätern spielen: Diese Art des Spielens ist herausfordernd und manchmal vielleicht auch ein wenig beängstigend. Andererseits ist es sehr effizient: Es ist schnell, es beinhaltet viel Berührung und Lachen – und das alles sorgt dafür, dass in kürzester Zeit sehr viele Bindungshormone ausgeschüttet werden. Und zwar deutlich mehr, als wenn Mütter das tun. Es ist also eine brillante Art für Väter, eine Bindung zu seinem Kind herzustellen, wenn er wenig Zeit hat. Wenn Sie also ein arbeitender Vater sind, der seine Kinder nur zehn Minuten sieht, bevor sie ins Bett müssen, dann ist dieses raue und stürmische Spielen das Beste, was Sie für eine richtig gute Beziehung tun können.

Nicht alle Väter in der Welt spielen mit ihren Kindern.

Interessanterweise spielen fast alle Väter mit ihren Kindern, aber es kommt auf die Kultur an, was damit gemeint ist. Dieses raue und stürmische Spielen ist tatsächlich etwas, was vor allem westliche Väter tun. Wir gehen davon aus, dass dies so entstanden ist, weil die Männer im Westen vergleichsweise wenig Zeit haben. Es ist einfach sehr effizient.

Haben Väter in anderen Kulturen deswegen eine schlechtere Bindung zu ihren Kindern?

Überhaupt nicht. Väter in nicht-industrialisierten Kulturen zum Beispiel verbringen viel mehr Zeit mit ihren Kindern, und sie haben dabei auch viel physischen Kontakt: Sie tragen ihre Kinder herum oder lassen sie auf dem Schoss sitzen, wenn sie mit jemandem sprechen. Auch sie spielen mit ihren Kindern, aber es basiert eher darauf, Geschichten zu erzählen, es ist ein sanfteres Spiel. Nehmen wir die Väter der Aka, eines Stammes in Kongo: Sie gelten als die involviertesten Väter weltweit. Durchschnittlich verbringen sie 47 Prozent des Tages im physischen Kontakt mit ihren Kindern. Sie erreichen dieselbe Ausschüttung der Hormone, aber es muss viel weniger effizient sein.

Sie haben bereits erwähnt, dass es nicht entscheidend sei, der biologische Vater zu sein. Wir sprechen nun aber trotzdem fast nur über die traditionelle Vaterrolle. Was ist mit Kindern, die mit zwei Vätern aufwachsen – oder gar keinem?

Das menschliche Gehirn ist unglaublich anpassungsfähig. Wenn ein Kind zwei Väter oder zwei Mütter hat, dann passt sich das Gehirn der primären Betreuungsperson an, so dass sie beide traditionellen Rollen annehmen kann. Nehmen wir ein schwules Elternpaar, bei dem einer der beiden Väter die Hauptbetreuung des Babys übernimmt. Er führt also den traditionellen Job der Mutter aus, wäre neurologisch gesehen aber eher auf die traditionelle Vaterrolle ausgerichtet. Wenn wir sein Gehirn im Scanner untersuchen, dann leuchten während Aktivitäten mit seinem Kind beide Regionen auf – jene, die typischerweise bei der Mutter aktiv sind, und jene, die beim Vater aktiv sind. Unser Gehirn stellt auf diese Weise sicher, dass das Kind alle Inputs erhält, die es braucht.

Passiert das Gleiche, wenn eine Mutter alleinerziehend ist?

Ja, das passiert auch, wenn ein Elternteil fehlt. Das ist mir wichtig zu betonen. Denn manche Kinder wachsen ohne biologischen Vater auf. Niemand soll denken, dass sie deswegen automatisch benachteiligt sind in der Entwicklung. Sie werden trotzdem Vaterfiguren in ihrem Leben haben, und das Gehirn ihrer Mutter passt sich an.

Väter sind also austauschbar, aber ihre Aufgabe unersetzlich?

Das kann man so sagen. Dasselbe gilt übrigens auch für Mütter. Menschliche Elternschaft ist ohnehin ein komplexes Konzept, und gerade bei uns im Westen werden die Familien noch komplexer. Adoptionen gab es schon immer, aber heute gibt es auch homosexuelle Paare, die adoptieren, es gibt Samenspende oder Leihmutterschaft. Nur weil man geboren hat oder bei der Empfängnis beteiligt war, macht es einen noch nicht zu Eltern. Aus Sicht der Forschung gibt es keinen Grund, biologische Väter zu privilegieren.

Die meisten heutigen Väter sind nicht mit involvierten Vätern aufgewachsen. Wie wird man trotzdem zu einem?

Erstens: Indem man glaubt, dass man für sein Kind wichtig ist und eine einzigartige Rolle in seinem Leben einnimmt. Zweitens: Indem man überzeugt ist, eine ebenso starke Bindung zu ihm aufbauen zu können wie die Mutter. Väter, glaubt der Wissenschaft, nicht den Mythen! Ihr seid biologisch genau so gemacht, Eltern zu sein, wie es die Mütter sind. Väter und Mütter sind beide instinktiv, beide gehen durch körperliche Veränderungen, und beide müssen lernen. Erst wenn Väter wirklich glauben, dass sie wichtig sind, werden sie involviert und präsent sein wollen.

Hat Ihre Forschung eigentlich beeinflusst, wie Ihr Mann seine Vaterrolle lebt?

Hm, das muss ich ihn einmal fragen. Ich weiss es nicht. Aber meine Arbeit hat auf jeden Fall verändert, wie ich mit ihm als Vater umgehe.

Wie denn?

Ich bin sehr unterstützend, wenn es um seine Beziehung zu unseren Kindern geht, und ermutige sie, Zeit zusammen zu verbringen. Und ich verstehe, dass er gewisse Dinge anders macht, als ich es täte. Manchmal hören wir Mütter darüber jammern, dass es die Väter nicht so machen, wie man es machen sollte. Dabei ist es für die Entwicklung des Kindes eben genau entscheidend, dass sie es anders machen.

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