Freitag, September 19

Mit dem Kinofilm «Sew Torn» liefert der 24-jährige Freddy Macdonald ein verblüffendes Debüt ab: Nähkunst mit Thrill.

Das Leben ist kurz, kurven- und wendungsreich. Und manchmal blickt man auf schicksalhafte Momente zurück und fragt sich, was aus einem geworden wäre, wenn man sich damals anders entschieden hätte.

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In so eine Situation gerät die junge Schneiderin Barbara, als sie im himmelblauen alten Fiat Cinquecento auf einer gottverlassenen Landstrasse im Taminatal zufällig auf den blutigen Schauplatz eines geplatzten Drogendeals trifft: Auf dem Asphalt liegen zwei schwerverletzte Motorradfahrer, zwei Pistolen – und ein nach viel Geld riechender Koffer.

Barbara (Eve Connolly) sieht drei Möglichkeiten: mittels eines perfekten Verbrechens ihre akuten Finanzsorgen loszuwerden, die Ordnungshüter zu rufen oder unverrichteter Dinge weiterzufahren. Diese Optionen spielt der Neo-Film-noir «Sew Torn» in drei Kapiteln durch, bizarr und gleichzeitig geschliffen. Die Protagonistin, die für das Überleben des Nähateliers ihrer jüngst verstorbenen Mutter in einem Bergdorf und gegen die Einsamkeit kämpft, entwickelt dabei Superkräfte mit ihren Fäden. So entpuppt sie sich als eine weibliche Mischung aus Aschenputtel, tapferem Schneiderlein und Spider-Man.

Schlaflose Wochen

Verantwortlich für die amerikanisch-schweizerische Koproduktion – ein rarer Schulterschluss – zeichnet der 24-jährige Doppelbürger Freddy Macdonald. Der Enkel eines Schweizers ist in Los Angeles aufgewachsen, und als die Familie aus beruflichen Gründen vorübergehend nach Zürich zog, absolvierte er seine Gymnasialzeit an der Swiss International School in Adliswil.

Das erzählte der junge Regisseur letztes Jahr am Locarno Film Festival, wo «Sew Torn» spätnachts auf der Piazza Grande lief. Im Gespräch wirkte er wie ein properer Schulbub, er stiess Sätze aus wie «The whole thing is so exciting!» oder «I have to check this», wenn er sich bei einer Antwort nicht ganz sicher war. Und der Auftritt vor Tausenden Leuten auf der Piazza hatte ihn im Vorfeld nach eigenen Angaben wochenlang kaum schlafen lassen.

Doch in diesem fast überkorrekten jungen Mann, der schon als Wunderkind bezeichnet wurde, steckt ein Teufelskerl. Sein Vater Fred, ehemaliger Leiter eines Animationsstudios, hat ihm nicht nur seinen Vornamen vererbt, sondern auch die Liebe zum Filmhandwerk und brachte ihm als Knirps die Stop-Motion-Technik bei. Das «Sew Torn»-Drehbuch haben die beiden zusammen verfasst, auf der Basis eines Kurzfilms, mit dem sich der Sohn 2019 um die Aufnahme am American Film Institute beworben hatte. Er wurde aufgenommen, so jung wie kein anderer zuvor im Regiefach, wie er feststellt.

Als Produzent dieses Kurzfilms stieg Peter Spears («Nomadland») ein, was die Türen zum Kinovertrieb durch die renommierten Searchlight Pictures («Poor Things») öffnete. Dadurch wurde wiederum Joel Coen von dem Brüderpaar, dessen «No Country for Old Men» offenkundig eine Inspirationsquelle für den Stoff war, auf das Werk aufmerksam. Er traf Freddy zum Kaffee, wie dieser erzählt, und ermutigte ihn, das Ganze zum ausgewachsenen Spielfilm auszubauen. Vater und Sohn setzten diesen Plan um, in mühseliger Schreibarbeit mit Dutzenden Anläufen.

Der Regisseur, der als Kind Achterbahn-Ingenieur werden wollte, schickt das Publikum auf eine entsprechende Fahrt: Phasenweise sind die Cuts – er hat den Film selbst geschnitten – clipartig schnell, im Tempo der Nähmaschinen, die regelmässig rattern. Einflüsse von David Lynch bis Quentin Tarantino scheinen durch, die Grundidee erinnert an Tom Tykwers Kinohit «Lola rennt» (1998). Doch Macdonald ist auf bestem Weg, eine eigene Handschrift zu entwickeln, und schafft mit dem Schweizer Kameramann Sebastian Klinger einprägsame Bilder.

Wohl auch deshalb hat ein Trailer, in dem Barbara mit Nadel, Zwirn, Köpfchen und Motorkraft eine Lösung für ihr gewichtiges Problem findet, auf Social Media 37 Millionen Views gefunden. Der Filmemacher weist mit Stolz darauf hin und räumt ein, natürlich wünsche er sich ein grosses Publikum vor den Leinwänden. Doch entscheidend sei, dass seine Arbeit wahrgenommen werde, auf welchem Weg auch immer.

#short

Offene Türen

Die Ansiedlung des Plots in der Schweiz mag etwas aufgesetzt wirken, zumal englisch gesprochen wird, doch die Begeisterung des Regisseurs für seine zweite Heimat wirkt echt: Hier habe er viel Filmleidenschaft erfahren, beteuert er, mehr als in Los Angeles mit dessen «Millionen von Kameras». Im 400-Seelen-Dörfchen Vättis im Sarganserland, wo er nach dem Kurz- auch weite Teile des Langfilms gedreht hat, sei der Zuspruch riesig gewesen: «Die Bevölkerung öffnete uns ihre Türen, gab uns Geschenke und Freibier.»

Nun läuft der fast ausschliesslich privatwirtschaftlich finanzierte Film, zu dessen Sponsoren die traditionsreiche Toggenburger Nähmaschinenfabrik Bernina gehörte, nach einer Kinoauswertung in Amerika und Grossbritannien auch in Schweizer Sälen. Die Vorführung auf der Piazza Grande aber werde eine der prägenden Erfahrungen seines Lebens bleiben, sagt Macdonald heute; auch könnte diese Referenz ihm beim Aufgleisen seines nächsten Werks ziemlich helfen: Er hat gerade einen Psychothriller fertig geschrieben und will einen Grossteil wieder in der Schweiz filmen. Den Rest hält er bis auf weiteres geheim.

«Sew Torn»: im Kino.

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