Die Waadtländer Regierungsrätin hat das Vertrauen ihrer Kollegen verloren. Die Staatsanwaltschaft prüft Vorwürfe gegen sie, das Parlament will eine weitere Untersuchung. Es gibt nur einen Ausweg.
Wahrscheinlich war Valérie Dittli von Anfang an auf einer «mission impossible». 2022 wurde sie Waadtländer Finanzvorsteherin, obwohl sie nie ein politisches Amt ausgeübt hatte. Obwohl ihre Mitte-Partei keinen einzigen Kantonsparlamentarier stellt. Obwohl sie nur 29 Jahre jung war und erst während des Studiums von Zug in die Waadt gezogen war.
Bei allem Respekt: Warum sollte eine Person mit diesem Profil ein so zentrales Departement im drittgrössten Kanton der Schweiz führen? Dachten etwa die FDP und die SP, die seit Jahrzehnten gemeinsam die Waadt regieren, dass sie die unerfahrene Dittli wie eine Marionette würden steuern können, und alles bliebe beim Alten?
Anzeichen dafür gibt es: Im Dezember konnten sich Regierung und Parlament in Lausanne nicht auf eine Senkung der Einkommens- und Vermögenssteuern einigen, welche einer entsprechenden Volksinitiative den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Wer regelte das Problem?
Die Waadtländer Ständeräte Pascal Broulis (FDP) und Pierre-Yves Maillard (SP) in Bern. Die beiden hatten zuvor 15 Jahre lang gemeinsam in der Waadt regiert. Offenbar tun sie das noch immer, wenn es darauf ankommt. Wie soll so eine Finanzvorsteherin regieren? Wie soll sie Steuerpläne und ein Budget durchs Parlament bringen?
FDP und SP müssen sich hinterfragen
Solche Grundsatzfragen müssen mittelfristig FDP und SP beantworten. Es geht um nichts weniger als die Regierbarkeit der Waadt, um die Transparenz des politischen Prozesses, um die Rechenschaft gegenüber den Wählern.
Akut geht es jetzt um eine spezifischere Frage: Wie will Valérie Dittli zusammen mit den anderen Staatsräten weiterregieren? Denn wenn Dittli wahrscheinlich von Anfang an auf einer «mission impossible» war, dann ist sie es spätestens seit ein paar Tagen definitiv.
Am Freitag vor einer Woche hatten sie und der Rest der Regierung sich fast zwei Stunden lang öffentlich gestritten. Die Regierung präsentierte an einer Medienkonferenz in corpore eine externe Untersuchung: Dittli soll illegalerweise die Annullierung gültiger Steuerveranlagungen angeordnet sowie möglicherweise ihr Amtsgeheimnis verletzt haben. Die restliche Regierung entzog ihr das Finanzdepartement und liess ihr vorerst nur die Landwirtschaft.
Dittli wies die Vorwürfe weitgehend zurück. Sie machte ihrerseits dem Autor der Untersuchung – die sie selbst initiiert hatte – und ihren Kollegen heftige Vorwürfe. Falls es in dieser Regierung einmal eine vertrauensvolle, kollegiale Zusammenarbeit gegeben hatte, so war diese klar beendet.
Es kam noch schlimmer: Am vergangenen Dienstag beschloss das Waadtländer Parlament einstimmig, eine zweite Untersuchung einzuleiten. Die erste Untersuchung liegt derweil bei der Staatsanwaltschaft, die womöglich gegen Dittli ermitteln wird. Am Mittwoch schliesslich verliess Dittli vorzeitig eine Sitzung, an der die Regierung endlich die neue Ressortverteilung abschliessen wollte.
Dittlis Rücktritt scheint unausweichlich
Zwangsläufig stellte sich schon vor einer Woche die Frage, ob Dittli zurücktritt. Nein, antwortete sie an der Medienkonferenz entschieden und wiederholte das am Mittwoch. Sie sei vom Volk gewählt und diesem verpflichtet.
Dieser Satz stimmt natürlich, nur deutet Dittli ihn falsch. Sie wurde sicherlich als Person gewählt, als erfrischende Aussenseiterin. Sie wurde aber auch als Kandidatin einer Allianz aus FDP, SVP und Mitte gewählt. Diese Allianz existiert in der Regierung nicht mehr, und auch auf Ebene der Parteien bröckelt sie. Ausserdem ist fraglich, ob das Volk eine Einzelkämpferin in einer Konsensregierung will.
Kurzum: Nur wenn die Regierung sich plötzlich versöhnte, die Staatsanwaltschaft bei Dittli kein illegales Verhalten erkennte und das Parlament seine geplante Untersuchung stoppte – nur dann kann Dittli, vielleicht, in Ruhe mit ihren Kollegen weiterregieren. Andernfalls kann ihre Verpflichtung gegenüber dem Volk nur eines bedeuten: den Rücktritt.