Samstag, November 30

Fleischimitate sollten die Welt verändern, doch sie leiden unter ihrem schlechten Ruf. Haben sie eine Zukunft?

Was lässt sich aus Algen, Erbsen und einer Konjakwurzel herstellen? Richtig: ein veganer Shrimp. Oder genauer: ein «Vrimp», wie ihn Nestlé vor drei Jahren am Markt testete.

Damals versprach man sich viel – alles! – von den veganen Ersatzprodukten. Plötzlich schien es denkbar, dass Abermillionen Menschen auf Fleisch und Fisch verzichten und stattdessen zu Erbsenprotein und Jackfrucht greifen würden. Die Hersteller von Fleischersatzprodukten wie Impossible Foods und Beyond Meat wurden als Schrittmacher einer veganen und nachhaltigen Zukunft gefeiert, der Microsoft-Gründer Bill Gates und der Schauspieler Leonardo DiCaprio investierten in die Pflanzenburger.

Natürlich wollte da auch Nestlé, der grösste Lebensmittelkonzern der Welt, vorne mit dabei sein. Vor dem Vrimp hatte das Unternehmen den Vuna lanciert, den veganen Thunfisch, und später sollte die Voie gras folgen, die vegane Gänseleber. In Vevey schien man überzeugt: Veganer Fleischersatz wird «the next big thing».

Doch heute, nur drei Jahre später, ist alles anders. Der Vrimp? Hat es nie über die Testphase hinausgeschafft. Beyond Meat? Kämpft ums Überleben. Und der Boom der Fleischersatzprodukte? Er ist höchstens noch ein Boomchen.

Beyond Meat schreibt rote Zahlen

Der Markt stagniert. Zwar ist der Umsatz mit Fleischersatzprodukten in den vergangenen sechs Jahren stark gewachsen, er macht mit 87 Millionen Franken den zweitgrössten Anteil des Schweizer Ersatzproduktmarktes aus (Molkereiersatz: 134 Millionen Franken). Doch seit zwei Jahren gehen die Verkäufe zurück. Laut dem Institut Nielsen ist der Umsatz mit Fleischimitaten im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent gesunken. Auch die Detailhändler Coop und Migros teilen mit, dass die Produktkategorie nach Jahren des Aufstiegs nur noch wenig wächst.

Katastrophal schlecht läuft es der einstigen Pionierin der Branche, Beyond Meat. Das Unternehmen aus Kalifornien, das für seine Erbsenburger bekannt wurde, schreibt Quartal für Quartal rote Zahlen. Und auch die milliardenschweren Börsenbewertungen sind längst Vergangenheit. Die Aktie ist vom Höchststand von 234 Dollar im Juli 2019 auf 5 Dollar zusammengeschrumpft.

Das Unternehmen hat hohe Ausgaben. Es muss viel in die Forschung, die Weiterentwicklung und die Herstellung seiner fleischlosen Hamburger und Würste investieren. Gleichzeitig kaufen die Konsumenten weniger ein. Vor allem im Heimmarkt Amerika schauen die inflationsgeplagten Haushalte verstärkt aufs Geld. McDonald’s hat den Beyond-Burger nach einer zweijährigen Testphase in den USA wieder aus dem Sortiment genommen.

Das erklärt aber nicht alles. Denn die weltweiten Gesamtumsätze mit veganen Ersatzprodukten, zu denen auch Milchersatzgetränke wie Soja- oder Hafermilch gehören, nehmen laut dem Good Food Institute weiter zu. Wie geht das zusammen?

Fragwürdige Inhaltsstoffe und eine starke Lobby

Kevin Hegg ist Dozent für Lebensmittelmarketing an der Fachhochschule Bern. Er sagt: «Der Ruf der Fleischersatzprodukte hat in den vergangenen Jahren ziemlichen Schaden genommen.» Hegg sieht dafür drei Gründe.

Grund Nummer eins: die Inhaltsstoffe. Fleischersatzprodukte sind in der Regel hochverarbeitet. Viele vegane Würstchen, Burger und Nuggets enthalten Emulgatoren, Konservierungsstoffe und Farbstoffe. Die Nährwerttabelle zeigt zudem, dass die Produkte mit ihren tierischen Originalen nicht immer mithalten können. So enthält ein durchschnittlicher Beyond-Burger ähnlich viele Kalorien wie ein Rindfleischburger, hat aber weniger Eiweiss.

Das macht es den Kritikern der Vegi-Alternativen leicht. Sie verschmähen Erbsen- und Sojaburger in der Öffentlichkeit gerne als chemische Retortenprodukte. Gerne geht vergessen, dass auch viele Fleischprodukte hochverarbeitet sind: Das, was man unter einer bodenständigen Wurst versteht, ist nichts anderes als zermalmtes Fleisch, das man in einen Tierdarm steckt und mit verschiedenen Zusatzstoffen schmackhaft und haltbar macht.

Der CEO von Beyond Meat, Ethan Brown, spricht von einem «Klima der Desinformation»: Lobbygruppen liessen kaum eine Gelegenheit aus, sich an den Fleischersatzprodukten abzuarbeiten, sagt Brown. Das amerikanische Center for Consumer Freedom etwa wurde dafür bekannt, dass es die Inhaltsstoffe eines Beyond-Burgers mit Hundefutter verglich.

Enttäuscht, wenn es nicht nach Fleisch schmeckt

Das nächste Problem ist der Geschmack. Der Lebensmittelexperte Kevin Hegg sagt dazu: «Fleischersatzprodukte wollen rüberkommen wie Fleisch, aber sie schmecken weder so, noch sehen sie so aus.» Viele Konsumenten erwarteten von einem Sojawürstchen, dass es genauso schmecke wie eine Bratwurst, und seien enttäuscht, wenn dem nicht so sei.

Auch der neue Nestlé-Chef Laurent Freixe gibt zu, dass es in diesem Punkt ein Problem gibt. Er sagte vergangene Woche an einem Gespräch mit Journalisten: «Wenn der Geschmack nicht gut ist, kaufen die Kunden das Produkt kein zweites Mal.» Nestlé hat damit Erfahrung gemacht. In Grossbritannien musste das Unternehmen seine Fleischersatzlinie Garden Gourmet bereits zweimal vom Markt nehmen.

Dabei ist die Ausgangslage eigentlich günstig. Laut dem diesjährigen «Plant Based Food Report» von Coop verzichten 58 Prozent der Schweizer Bevölkerung mehrmals im Monat bewusst auf tierische Lebensmittel. Zudem isst jede vierte Person in der Schweiz mehrmals im Monat vegane Ersatzprodukte, die das tierische Original nachahmen.

Entsprechend gross ist das Angebot. Ob Garden Gourmet, Beyond Meat, Green Mountain, V-Love oder Planted – Konsumenten finden mittlerweile eine stattliche Auswahl an Fleischersatzprodukten in den Regalen. Coop führt mehr als hundert vegane Fleisch- und Fischalternativen, bei der Migros sind es zweihundert.

Trotzdem bleibt der Markt eine Nische: Fleischimitate machen in der Schweiz bis jetzt nur zwei bis drei Prozent des milliardenschweren Fleischmarktes aus.

Fleischwirtschaft wird subventioniert

Das letzte Problem ist der Preis. Fleischersatzprodukte sind in vielen Fällen teurer als die tierische Variante. Das liegt vor allem an der Forschung und der Herstellung. Viele vegane Produkte müssen zuerst entwickelt werden. In der Fleischwirtschaft sind die Strukturen hingegen meist etabliert, die Betriebe grösser. Sie profitieren von Skaleneffekten.

Auch in der Vermarktung haben die veganen Ersatzprodukte einen Nachteil. So subventioniert der Bund Werbung, die den Fleischkonsum fördern soll, mit mehreren Millionen Franken pro Jahr. Zudem wäre die Fleisch- und Milchwirtschaft in der Schweiz ohne Grenzschutz und Direktzahlungen nicht konkurrenzfähig.

Trotz den oft fragwürdigen Inhaltsstoffen, dem fehlenden Geschmack und den hohen Preisen will Kevin Hegg die Fleischersatzprodukte nicht ganz abschreiben. Seiner Meinung nach müssten die Produkte anders vermarktet werden. «Heute betonen die meisten Hersteller den Gesundheitsaspekt, den sie aber nicht immer einlösen können», sagt Hegg. «Vielleicht wären sie erfolgreicher, wenn sie die Themen Umweltschutz und Tierwohl stärker ins Zentrum stellen würden.»

Denn wer Fleisch isst, vergrössert seinen ökologischen Fussabdruck. In der Schweiz ist die Erzeugung tierischer Produkte laut dem Bundesamt für Umwelt für etwa zehn Prozent der nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Doch ein Teil der Wahrheit ist auch: Eine fleischlose Ernährung muss man sich leisten können. Vegetarismus ist besonders bei jüngeren, gutverdienenden, urbanen Menschen ein Thema. Das schreibt das Bundesamt für Landwirtschaft in seinem Fleischersatz-Report aus dem Jahr 2021. Umgekehrt sei die Nachfrage nach Fleischersatzprodukten in ländlichen Gebieten und bei Haushalten mit geringen Einkommen tiefer. Es bleibt fraglich, ob die Hersteller diese Konsumenten mit Themen wie Umweltschutz und Tierwohl überzeugen könnten.

Planted baut aus

Bleiben die Vegi-Alternativen also eine vielbeachtete Nische – oder schaffen sie den Durchbruch doch noch? Kevin Hegg sagt: «Solange es keinen technologischen Fortschritt gibt und die Produkte nicht mit weniger oder keinen Zusatzstoffen auskommen, wird der Markt wohl kaum mehr wachsen können.»

Doch nicht allen Herstellern läuft es so schlecht wie Beyond Meat. Das Schweizer Vegi-Startup Planted etwa eröffnet nächstes Jahr eine Fabrik in Bayern, die mehrheitlich Produkte für den deutschen Markt herstellen soll. Bereits heute beliefert Planted neben Deutschland, der Schweiz und Österreich auch die Benelux-Länder, Frankreich und Grossbritannien.

Bleibt die Frage, was der Nestlé-Konzern in Zukunft mit seinen Fleischersatzprodukten vorhat. Für den Konzernchef Laurent Freixe haben sie offenbar nicht mehr die höchste Wichtigkeit. Man halte den Bereich zwar weiterhin für «vielversprechend und wachsend», sagte er vergangene Woche. Aber man werde ihn neu ausrichten müssen.

Diesen Frühling hat Nestlé eine neue Fabrik für die Herstellung von Produkten aus der Garden-Gourmet-Linie eröffnet. Produziert wird in Serbien, dem Land der Fleischliebhaber.

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