Freitag, November 29

Fahren die «Strombarone» mit überhöhten Strompreisen amtlich bewilligte Millionengewinne ein? Nein, sagt Martin Schwab, Präsident des Verbands der Elektrizitätsunternehmen. Das Geld werde in den dringend notwendigen Netzausbau investiert.

«Die Strombarone kassieren ab.» So und ähnlich lauteten in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen in den Medien. Was löst das bei Ihnen aus?

Solche Aussagen sind nicht korrekt. Es wird suggeriert, unsere Branche bereichere sich auf Kosten der Allgemeinheit. Doch das ist falsch. Die Unternehmen sind von den europäischen Marktpreisen abhängig. Weil diese in den letzten Jahren sehr hoch waren, fielen auch die Gewinne der Stromproduzenten höher aus. Ich erinnere aber daran, dass die Preise noch vor acht Jahren so tief waren, dass einzelne Unternehmen in existenzielle Nöte gerieten. Damals hat auch niemand von den Strombettlern gesprochen.

Der Preisüberwacher und grosse Stromkonsumenten kritisieren, dass die Stromkonzerne mehrere hundert Millionen im Jahr zu viel einnähmen, weil der Zinssatz für Energieanlagen zu hoch angesetzt sei – was die Kunden über die Netzgebühren berappen würden.

Dahinter liegt ein Missverständnis. Diese Gelder werden grösstenteils gleich wieder in den Ausbau der Netze investiert – im Jahr etwa 1,5 Milliarden Franken. Hinzu kommt: Der dezentrale Ausbau der Solarenergie macht enorme Investitionen ins Energiesystem nötig. Wird dieser Zinssatz gesenkt, fehlt dieses Geld für den durch die Energiewende dringend notwendigen Netzausbau.

Auch der Bundesrat will ab 2026 die Stromkunden entlasten und den Satz für die Verzinsung senken.

Wir haben den Eindruck, dass die Verringerung der Verzinsung rein politisch motiviert ist. Weil die Marktpreise angestiegen sind, will man nun die Netzkosten reduzieren. Das ist, wie wenn man die Brotpreise senkt, weil der Milchpreis gestiegen ist. In Tat und Wahrheit haben diese beiden Komponenten des Preises nichts miteinander zu tun.

Vertreter der Stahlindustrie kritisieren, die Strompreise seien zu hoch. Sie könnten so nicht länger in der Schweiz produzieren.

Ich habe grosses Verständnis dafür. Der Hauptgrund für den starken Preisanstieg in den vergangenen Jahren war aber, dass sich Europa massiv von russischem Gas abhängig gemacht hat. Die Energiekrise hat auch die Winterreserve in der Schweiz nötig gemacht. Vordringliches Ziel muss es darum sein, im Inland genügend Produktionskapazitäten zur Verfügung zu stellen und ein Stromabkommen mit der EU abzuschliessen, um eine möglichst gute Integration in den europäischen Strommarkt zu erreichen. Nur dann können wir die Unternehmen mit nachhaltigem, sicherem und bezahlbarem Strom versorgen.

Beim Ausbau der Solarenergie auf den Dächern geht es mittlerweile recht schnell vorwärts. Reicht das denn nicht?

Der Solarausbau auf den Dächern ist sehr sinnvoll, nicht zuletzt wenn der Strom dort verbraucht wird, wo er produziert wird. Denn dann müssen wir das Netz weniger ausbauen. Auch können wir jede produzierte Kilowattstunde gebrauchen, die wir im Winter produzieren. Allerdings kommen wir mehr und mehr in eine Welt, in der wir im Sommer viel zu viel Strom haben, während im Winter weiterhin Importe nötig sind. Dies, solange wir den Stromüberschuss aus dem Sommer nicht wirtschaftlich bis in den Winter speichern können.

Drohen bald Verhältnisse wie in Deutschland und Spanien, wo die Strompreise im Sommer über längere Phasen negativ sind?

Ja. Die Solaranlagenbesitzer können darum langfristig nicht damit rechnen, im Sommer Geld für einen Grossteil der produzierten und nicht vor Ort verbrauchten Kilowattstunden Strom zu erhalten. Man wird diesen Strom teilweise schlicht nicht mehr brauchen, selbst wenn mit Batterien eine stündliche oder tägliche Speicherung gemacht wird. Ihn via Netz abzutransportieren, würde nur das Netz unnötig belasten.

Viele Hauseigentümer haben Solaranlagen installiert, weil ihnen versprochen wurde, dass sie für den eingespeisten Strom eine Vergütung erhalten. Gilt das nun plötzlich nicht mehr?

Die Förderung findet ja mehrheitlich beim Bau der Anlagen statt. Solaranlagenbesitzer müssen sich bewusst sein, dass sie als Stromproduzenten auch dem Markt ausgesetzt sind. Optimieren sie ihren Eigenverbrauch und schaffen eine Batterie an, kann die Rechnung weiterhin aufgehen. Das Stromgesetz schafft hier auch neue Möglichkeiten, den Solarstrom lokal zu vermarkten.

Werden die Solaranlagen im Sommer bald flächendeckend abgeregelt?

Wenn zu viel Strom im Netz ist, werden wir die Leistung der Anlagen drosseln müssen, sonst explodieren die Netzkosten. Das neue Stromgesetz erlaubt dies auch. Selbstverständlich kann der Strom weiterhin selbst verbraucht werden. Bei der CKW haben wir bereits heute ein Vergütungsmodell eingeführt, das sich an den Marktpreisen orientiert. Auch wenn wir dafür viel Kritik eingesteckt haben, bin ich überzeugt, dass das der richtige Weg ist.

Wieso?

Es ergibt schlicht keinen Sinn, für ein Gut jederzeit eine fixe Vergütung auszurichten, auch wenn es zeitweise nicht gebraucht wird. Dies wäre ähnlich, wie wenn man Skilehrer für ihre zeitliche Verfügbarkeit sowohl im Sommer wie im Winter entschädigen würde. Letztlich bezahlen die Stromkonsumenten diese Vergütung in der Grundversorgung. Es findet damit eine Umverteilung von unten nach oben statt. Der Hilfsarbeiter in der Mietwohnung zahlt letztlich dem Einfamilienhausbesitzer die Solaranlage. Das ist weder gerecht noch sozial.

Ist die Strombranche insgesamt beim Ausbau der erneuerbaren Energien auf Kurs?

Die Annahme des Stromgesetzes durch das Stimmvolk war ein grosser Schritt vorwärts. Ich habe aber Bedenken, ob wir allein damit unsere Versorgungsprobleme im Winter lösen können. Gegen den Ausbau der Windkraft gibt es nach wie vor enormen Widerstand, obwohl diese gerade im Winter einen wichtigen Beitrag leisten kann. Und bei alpinen Solaranlagen bleibt die Wirtschaftlichkeit ein sehr grosses Problem.

Obwohl die Anlagen mit 60 Prozent subventioniert werden?

Ja. Die Gestehungskosten dieser Anlagen sind in den meisten Fällen immer noch viel zu hoch. Es wird darum kaum gelingen, mit alpiner Solarkraft die Winterlücke zu schliessen.

Wie lautet Ihr Plan B?

Unser Fokus muss es jetzt sein, so viele erneuerbare Energien, insbesondere Winterproduktion, auszubauen wie möglich. Je nachdem wie gut das gelingt, wird man in den nächsten fünf bis zehn Jahren darüber diskutieren müssen, ob es neben den bestehenden Reservekraftwerken weitere Winter-Reservekraftwerke braucht. In einem positiven Szenario kommen wir mit wenigen Gasstunden sowie Wind-, Sonnen- und Wasserkraft durch. In einem negativen Szenario müssen wir im Winter über längere Phasen auf Gaskraftwerke zurückgreifen. Können diese nicht mit erneuerbarem Gas betrieben werden, müssten wir uns dann die Frage stellen, ob wir neue Kernkraftwerke brauchen.

Der Bundesrat will als Gegenvorschlag zur «Blackout stoppen»-Initiative das Neubauverbot für Kernkraftwerke aufheben. Steht die Strombranche geschlossen hinter diesem Beschluss?

Im Vorstand unseres Verbands haben wir uns praktisch einstimmig für diese Technologieoffenheit ausgesprochen. Deswegen müssen wir ja nicht sofort die Planung eines Kernkraftwerks an die Hand nehmen. Gelingt es uns, mit den Erneuerbaren die Winterproduktion hochzufahren, können wir darauf verzichten – umso besser.

Einzelne Energieversorger kritisieren, dass die Debatte um die Kernkraft unnötig sei und Verunsicherung schaffe – was den Ausbau der Erneuerbaren behindere.

Ich sehe das anders. Denkverbote sind immer falsch. Warum sollten wir nicht über einen möglichen Einsatz der Kerntechnologie nachdenken dürfen? Und warum müssen wir eine Option in der Energieproduktion von vorneherein ausschliessen? Das ergibt doch keinen Sinn.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass wir dereinst ein Kernkraftwerk brauchen werden?

Da wir im Sommer genug Strom haben, ist ein neues Kernkraftwerk eigentlich nur im Winter nötig. Die Beschränkung der Laufzeit auf wenige Monate im Jahr macht aber einen wirtschaftlichen Betrieb unmöglich; niemand investiert unter diesen Voraussetzungen in ein Kernkraftwerk. Am besten wäre es, dass wir eine Kapazitätsauktion schaffen. Jene Technologie, mit welcher der Winterstrom am günstigsten bereitgestellt werden kann, sollte den Zuschlag erhalten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das allerdings ein Gaskraftwerk sein – und nicht ein Kernkraftwerk. Denn ein Gaskraftwerk weist viel geringere Fixkosten auf.

Was auffällt: Ihr Verband nimmt in der Atomdebatte eine diametral andere Haltung ein als AEE Suisse, der Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien. Spricht die Stromwirtschaft mit zwei Stimmen?

Nein. Zu wohl über 80 Prozent sind unsere Positionen die gleichen. Bei der Aufhebung des AKW-Bauverbots gehen unsere Haltungen auseinander. Ich bin zudem überzeugt, dass man bei AEE Suisse die kritische Haltung gegenüber der Kernenergie überdenken würde, wenn sich eine Versorgungslücke abzeichnet.

Auch zum Stromabkommen mit der EU vernimmt man aus der Strombranche kritische Stimmen.

Es herrscht in der Branche Einigkeit, dass ein Stromabkommen der Schweiz mit der EU zu mehr Versorgungssicherheit und tieferen Kosten führt. Wollen wir die Schweiz als Insel mit Strom versorgen, wird es dagegen absurd teuer. Unsere Branche ist auf den Austausch mit Europa angewiesen. Mit den Pumpspeicherwerken in den Bergen verfügen wir zudem über eine sehr flexible Produktion, mit der wir an den europäischen Märkten teilnehmen wollen. Ohne Abkommen wird das immer schwieriger. Zudem wird es für Swissgrid ohne Stromabkommen immer schwieriger und teurer, für Netzstabilität zu sorgen.

Bundesrat Albert Rösti will in grossem Stil Gaskraftwerke bauen, die in Notlagen eingesetzt werden könnten. Braucht es da überhaupt noch ein Abkommen?

Ich bezweifle, dass die heute geplanten Reservekapazitäten für den Fall ausreichen, dass die Schweiz vom europäischen Markt ausgeschlossen ist, insbesondere bei extrem kalten Wettersituationen. Klar ist: Je besser die Schweiz in den EU-Strommarkt integriert ist, desto weniger Reservekraftwerke braucht es.

Für ein Abkommen müsste die Schweiz den Strommarkt ganz liberalisieren. Welche Folgen hätte dies für die privaten Kunden? Würden dann die Preise sinken?

Die Folgen einer Marktöffnung werden überschätzt. Strom ist ein Gut, das man an der Börse in praktisch jeder Menge kaufen kann. Grosse Versorger zahlen genau gleich viel wie kleine. Darum ändert sich für die Privatkunden preislich kaum etwas. Ein offener Markt wäre aber eine wichtige Basis für neue Angebote und Produkte – beispielsweise auch für die Vermarktung von Solarstrom.

Oberster Stromer im Land

dvp. Martin Schwab steht dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) seit einem halben Jahr als Präsident vor. Der 58-jährige Betriebsökonom ist seit sechs Jahren Chef des Zentralschweizer Energieversorgers CKW, eines Tochterunternehmens der Axpo. Davor war er bei der Axpo Finanzchef.

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