Um künstliche Intelligenz herrscht ein Hype. Dennoch müssen Firmen versuchen, sie zu nutzen. Dabei warten viele Fallstricke.

Mit der Mona Lisa kann man es ja machen. Unlängst zeigte Microsoft, wie schnell die Entwicklung von künstlicher Intelligenz voranschreitet – und präsentierte eine KI-Methode, um Porträts von Menschen zum Sprechen zu bringen. Mona Lisa mutierte zur aggressiven Rapperin mit ausdrucksstarker Mimik.

Aber eine Sache kann die plötzlich so dominante Dame nicht: Unternehmen sagen, wo, wann und wie sie KI am besten einsetzen. Diese Fragen müssen die Managerinnen und Manager selbst beantworten.

Sie sollten es besser schnell tun. Die generative KI, die neue Inhalte wie Texte, Bilder oder Sprache erschafft, gilt als Schlüssel zur Steigerung der Produktivität. Erst recht in Kombination mit klassischer KI und maschinellem Lernen, an denen schon seit Jahrzehnten geforscht wird.

Wenn Mona Lisa rappt, ist das ein Spass zu Demonstrationszwecken. Wenn ein Chatbot ein 200-seitiges Rechtsgutachten in verständlicher Sprache zusammenfasst und ansprechend vorträgt, wird es kommerzieller Ernst.

Ein echtes KI-Projekt ist viel Arbeit

Drei Viertel von rund 1400 befragten Managern erwarten, dass generative KI einen erheblichen Einfluss auf den Wettbewerb in ihrer Branche haben wird. Das ergab eine Anfang März gemachte, weltweite Erhebung der Unternehmensberatung McKinsey. Auch die Antworten aus der Schweiz spiegeln diese Einschätzung.

Das Interesse der Führungskräfte wächst: 39 Prozent setzen Tools für generative KI bei der Arbeit ein, zeigte die Umfrage. Vor einem Jahr waren es 22 Prozent. Doch eine gelegentliche Abfrage bei Chat-GPT ist noch lange kein erfolgreiches KI-Firmenprojekt.

Dafür braucht es mehr – und Abwarten gilt unter Experten nicht als Option. «Firmen, die jetzt die Augen verschliessen, sind gefährdet, den Anschluss zu verlieren», sagt Nicolas Durville, Europa-Chef bei Zühlke, einem IT-Dienstleister und -Berater aus Zürich. Es werde sehr schwierig, mit Menschenhand die Produktivitätsgewinne und den besseren Dienst am Kunden zu kompensieren, den Konkurrenten dank KI bieten können.

Auch bei McKinsey glaubt man an das Potenzial. «Natürlich ist es ein KI-Hype. Die Tech-Branche weiss, wie man einen Hype auslöst», sagt der Digital-Experte Rodney Zemmel. Doch wenn man von diesem Hype viel wegnehme, bleibe noch genug übrig, das die Wirtschaftswelt verändere. Dies erstens wegen der inzwischen verfügbaren immensen Rechenleistung, welche die Entwicklung stark beschleunige. Zweitens wegen der breiten Anwendbarkeit generativer KI-Tools. Zemmel vergleicht sie mit einem Schweizer Sackmesser.

Das Problem: Wie setzt man ein Schweizer Sackmesser zielgerichtet ein? Das ist schwierig, eben weil ein Programm wie Chat-GPT so leicht für so vieles genutzt werden kann. Auch mit einer KI-Anwendung im Unternehmen kann man sehr vieles machen, aber nicht notwendigerweise mit Erfolg und mit einem Ertrag, der die Entwicklungskosten übersteigt.

KI kann scheinbar alles – das ist ein Problem

Firmen, die mit dem internen Einsatz von KI schon heute Geld verdienen, haben laut McKinsey eine entscheidende Sache gemein: Nicht die Firmengrösse oder die Branche, sondern die Fokussierung der KI-Anstrengungen auf einen ausgewählten Bereich, zum Beispiel die Optimierung des Kundenservice oder der Lieferkette. Wer auf zu vielen Gebieten experimentiere, setze seine Ressourcen nicht effizient ein, so Zemmel.

Nicolas Durville von Zühlke empfiehlt, eine Liste von potenziell interessanten Anwendungsfällen zu erstellen, und dann einige wenige auszuwählen und voranzutreiben. Von fünf Projekten funktioniert am Ende vielleicht eines, aber das sei es schon wert: Es werden Fähigkeiten aufgebaut, Probleme gelöst, und das gebe Erfolgserlebnisse, die motivierten, den Ablauf mit anderen Projekten zu wiederholen. «Manchmal wollen Firmen mit KI einen Hammer bauen und erst dann überlegen, wofür sie ihn brauchen. Das ist falsch», sagt Durville, dessen Unternehmen unter anderem die KI-Mechanik hinter der Auslastungsprognose für Züge in der SBB-App entwickelt hat.

Als gute Einsatzgebiete für generative KI gelten der Kundendienst oder das Wissensmanagement in einer Firma – Bereiche, wo Informationen ausgewertet werden, zum Beispiel die Historie eines Klienten. Bei einer Versicherung kann KI Empfehlungen abgeben, welche Policen zu einem Kunden passen. Bei Banken und Versicherungen herrscht laut Durville ohnehin grosser Rückstand bei der digitalen Transformation. Dies auch deswegen, weil die IT- und Datensysteme über Jahrzehnte gewachsen seien und Mut und Vision für grössere Transformationsschritte fehlten.

Mit der Qualität der Daten, mit denen die KI gefüttert wird, steht und fällt ihr Erfolg. Gross ist der Rückstand auch in Branchen, die eine Nutzung von Daten erst in den letzten 15 Jahren für sich entdeckt haben. Dazu zählt die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Trotz dem grossen Potenzial stehe der Sektor in der Schweiz bei der KI-Nutzung erst am Anfang, hiess es jüngst in einer Studie des Branchenverbandes Swissmem und der ETH Zürich. Das grösste Problem sei der Mangel an Fachkräften und Fachwissen. Besonders KMU drohten den Anschluss zu verlieren.

Hingegen wird beim Industrieriesen Siemens KI zum Beispiel für die Qualitätskontrolle bei der Produktion von Steuersystemen eingesetzt. Auch dort hat man die Erfahrung gemacht, dass kleine Teams sehr erfolgreich Pilotprojekte vorantreiben können. «Es lohnt sich nicht für jede Firma, gleich den ganzen Engineering-Prozess infrage zu stellen», sagt Gerd Scheller, CEO von Siemens Schweiz. Mit kleineren Teilprojekten liessen sich schnell Anwendungsmöglichkeiten finden. Das eigentliche Problem stelle sich meist mit dem Einsetzen im grösseren Massstab, so Scheller.

Die Maschine kann, der Mensch bremst

Dieses sogenannte Skalieren ist der Schlüssel zum unternehmerischen Erfolg mit KI. Was in einem Pilotprojekt funktioniert, tut es noch lange nicht in der Fläche. «Viele gute Ideen werden parkiert und bleiben zwischen Prototypen und Massentauglichkeit hängen», sagt Nicolas Durville von Zühlke. Denn dafür braucht es vieles: IT-Fähigkeiten, Schulungen der Mitarbeiter und die Verfügbarkeit aller benötigten Daten – nicht nur technisch, sondern auch juristisch abgesichert und mit der Garantie, dass sie auch richtig ausgewertet werden. Wenn in einer Bank ein KI-Modell bei der Analyse der Konten eines Klienten «halluziniert», können die Folgen verheerend sein.

Gleichzeitig tut sich eine Schere auf zwischen dem, was KI immer schneller immer besser kann, und dem, was Menschen zulassen möchten. «Der Mensch überschätzt sich. Das bremst», sagt Durville. Zum Beispiel werde einem KI-Modell vorgehalten, wenn es mit seinen Berechnungen nur eine Erfolgsquote von 90 Prozent erreiche. «Der Denkfehler ist die irrige Annahme, dass der Mensch immer 100 Prozent schafft», kritisiert Durville. Der Anspruch an die Maschine sei oft viel höher als an den Menschen.

Ein Teil dieser Ablehnung mag der Furcht geschuldet sein, durch KI ersetzt zu werden. Zwar erwarten Experten, dass einige Jobprofile über die Zeit obsolet werden – so wie dies bei der Einführung neuer Technologien meistens passiert. Ein häufig genanntes Beispiel ist die Programmierung von Standardelementen für Software, welche die Computer künftig selbst übernehmen können.

Doch oftmals verändern sich die Aufgaben nur. «Es werden durch KI neue Jobs entstehen, und vor allem werden die Menschen ihre eigenen Jobs besser machen können», prognostiziert Durville.

Fortschritte kommen immer schneller

Der Schlüssel sei, die Belegschaft zu überzeugen, zu motivieren und zu befähigen, bestätigt Gerd Scheller von Siemens. «Wenn sich ein Anwendungsfall bietet, sollte man unbedingt den Einsatz von KI versuchen. Dadurch generiert man internes Wissen und schafft ein Bewusstsein für KI und generell für die digitale Transformation.» Das sei auch deshalb wichtig, weil die Geschwindigkeit der Veränderungen mit KI zunehme.

Die Innovationszyklen werden kürzer, bedingt ebenfalls durch die bessere Verfügbarkeit von Hardware und Rechenleistung: Die ersten PCs kamen Anfang der 1980er Jahre auf, doch bis zum Produktivitätsboom durch ihre Verbreitung und den Einsatz von Office-Software dauerte es bis weit in die 1990er Jahre. Das Smartphone trat seinen Siegeszug dann schon deutlich schneller an.

Bei generativer KI stellen sich die Fortschritte noch rascher ein – und Firmen müssen auch nicht auf Eigenentwicklungen setzen, sondern können Basismodelle von der Stange kaufen. Wahrscheinlich werden die Anwendungen in wenigen Jahren weit verbreitet sein und vom Nutzer oft gar nicht als solche erkannt werden, erwartet Rodney Zemmel von McKinsey. Zum Beispiel, weil sie im Hintergrund ablaufen oder schlicht zum technischen Standard geworden sind.

Das ist auch eine gute Nachricht: Ein breiter Einsatz von KI komme zu einem perfekten Zeitpunkt für viele Industrienationen, urteilten Ende April die Volkswirte von Oxford Economics. Die Alterung der Gesellschaften und die abnehmende Zahl von Arbeitskräften bremse die Produktivität und das Wirtschaftswachstum. KI könne zum Beispiel in den USA die Arbeitsproduktivität bis 2032 um über 10 Prozent und die Wirtschaftsleistung um bis zu 4 Prozent steigern, so die britischen Experten.

Ist die Schweiz zu zögerlich?

Dass die USA bei dieser Prognose das Feld anführen, ist kein Zufall. Die Firmen der weltgrössten Volkswirtschaft sind für ihre Agilität und Flexibilität bekannt. Demgegenüber macht sich Nicolas Durville Sorgen um die Schweiz: Obwohl hierzulande mit Forschungseinrichtungen, IT-Infrastruktur und Rechtssicherheit der Boden für einen KI-Standort bereitet sei, fehle es an Mut bei Unternehmen, in der Gesellschaft und in der Politik. «Trotz starker Ausgangslage ist die Schweiz keine KI-Vorreiterin. Es werden oft nur die Risiken gesehen, nicht die Chancen», beklagt der Zühlke-Manager.

«NZZ Live»-Veranstaltung: Künstliche Intelligenz – die Arbeitskraft der Zukunft?
Die OECD prognostiziert, dass sich in den kommenden 10 Jahren 1,1 Milliarden Arbeitsplätze durch die Technologie verändern werden. Ist die Effizienz der künstlichen Intelligenz der Schlüssel zur Steigerung der Produktivität und sogar die Antwort auf den Fachkräftemangel?
Donnerstag 12. September 2024, 18.30 Uhr, NZZ-Foyer, Zürich
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