Die grüne Nationalrätin Meret Schneider will das «Katzenelend» mit mehr Regulierung bekämpfen. Der Bauer Martin Haab (SVP) wehrt sich: Eine Kastrationspflicht sei «Chabis».
Mehrere Katzen liegen narkotisiert auf Operationstischen. Eine Tierärztin ist gerade daran, einen Knoten in den Samenstrang eines Katers zu machen, danach schneidet sie die Hoden ab. Bei der Katze am Nebentisch macht die Tierärztin einen kleinen Schnitt beim Bauchnabel und holt mit einem feinen Häkchen die Eierstöcke heraus, bindet sie mit einem Faden ab und entfernt sie.
Es ist Samstag, im Gewerbegebiet von Lyssach (BE) findet gerade eine Kastrations-Aktion der Tierschutzorganisation Network for Animal Protection (Netap) statt. Freiwillige haben die Tiere am Tag zuvor in den Kantonen Bern, Freiburg und Solothurn eingefangen und hierhergebracht. Mittendrin steht Meret Schneider und macht Fotos.
Eigentlich stehen der Grünen-Nationalrätin andere Tiere näher. Als Kind trug sie ständig die Nachbarshühner herum. «Sie waren meine besten Freunde.» Auch mag Schneider Pferde sehr gerne, sie ist jahrelang geritten. Und am allerliebsten sind ihr sowieso Menschen. Doch: «Politik für Menschen ist wichtig», sagt Meret Schneider, aber Tiere würden in Bundesbern vernachlässigt. Dabei gebe es häufig einen politischen «quick fix», mit dem sich viel Leid verhindern lasse.
Eine solche schnelle Lösung wünscht sich Meret Schneider für die Katzen. Sie fordert im Nationalrat eine Kastrations- und Chip-Pflicht. Letztere wird in der Sondersession Anfang Mai vom Nationalrat behandelt. «Damit liesse sich viel Katzenelend vermeiden», davon ist Schneider überzeugt. Darum ist sie heute hier, um sich ein Bild vom Kastrationstag zu machen und auf die Problematik aufmerksam zu machen.
Wegwerfware Katze
Die Katze ist des Schweizers liebstes Haustier. Derzeit leben über zwei Millionen Katzen im Land. Ihre Besitzer können bis anhin in der Regel selbst entscheiden, ob sie ihre Tiere kastrieren lassen. Das Problem aus Sicht der Tierschützer: Viele tun es nicht, sie scheuen die Kosten oder wollen den Sexualtrieb ihres Tieres nicht einschränken. Resultat: «Die Katzen vermehren sich unkontrolliert weiter, der Nachwuchs wird vielfach entsorgt», kritisiert Esther Geisser, Präsidentin von Netap.
Tatsächlich findet man auf Schweizer Inserate-Portalen zahlreiche Anzeigen für Katzen, auch gratis. Die Tierheime sind überfüllt. Vielfach setzten Leute die Kätzchen daher einfach aus, so Geisser, häufig auf Landwirtschaftsbetrieben. Auch in Schrebergärten oder auf abgelegene Industrieareale ziehen sich Streunerkatzen gern zurück. Netap schätzt die Zahl der herrenlosen Katzen auf bis zu 300 000 Tiere. Vielen davon gehe es schlecht, sagt Esther Geisser. «Wir sehen täglich kranke oder verletzte Katzen.» Dazu kämen schätzungsweise 200 000 Kätzchen pro Jahr, die erstickt, totgeschlagen, vergast oder erschossen würden.
Dieses Katzenleid treibt Geisser seit ihrer Jugend um. Sie hat selbst vier «Trostpreise» zu Hause, also Streunerkatzen, die sie verletzt und verwahrlost irgendwo aufgelesen hat. Schon Anfang der neunziger Jahre fing die Tierschützerin an, herrenlose Katzen kastrieren zu lassen – auf eigene Rechnung. Im Jahr 2008 gründete sie zusammen mit einem befreundeten Tierarzt Netap. Mittlerweile zählt das Netzwerk über 40 Tierärzte, ebenso viele Praxisassistentinnen und etwa 80 ausgebildete Helferinnen und Helfer. Pro Jahr kastriert Netap ungefähr 1400 Katzen.
Manchmal bekommen die Tierschützer Meldungen aus der Bevölkerung: Dieses oder jenes Areal beherberge herrenlose Katzen, heisst es dann etwa, ob Netap sich um sie kümmern könne? In den meisten Fällen sind es aber Bauern, die Esther Geisser anrufen. Es seien ihnen fremde Katzen zugelaufen, sie wären froh um Unterstützung. Dann stellt Geissers Team Kameras auf, um den Katzenbestand zu inventarisieren. Nach ein paar Tagen werden alle unkastrierten Tiere eingefangen und abgeholt – die fremden wie auch die des Bauern selbst. «Das ist die Bedingung», sagt Geisser, «sonst kommen wir nicht.» Viele der Tiere hätten vorher noch nie einen Tierarzt gesehen. Daher werden die Katzen auch geimpft und gegen Parasiten behandelt, die Zähne werden kontrolliert und allfällige Verletzungen versorgt.
Wer als Privatperson zum Tierarzt geht, zahlt für die Kastration 100 bis 250 Franken. Die Tierärzte für Netap sind ehrenamtlich im Einsatz. Die Materialkosten liegen etwa bei 80 Franken pro Tier. Die Bauern können freiwillig einen Beitrag zwischen 20 und 100 Franken beisteuern, nicht alle sind laut Geisser bereit dazu. Den Rest finanziert Netap über Spenden. Das Engagement reicht allerdings bei weitem nicht, um die Population der Streunerkatzen nachhaltig zu reduzieren. Netap unterstützt daher die Forderung von Meret Schneider nach einer Kastrationspflicht.
Das Begehren war schon mehrmals Thema im Parlament. In der Vergangenheit lehnte die Mehrheit der Politiker eine Kastrationspflicht ab. Meret Schneider ist daher fleissig am Lobbyieren. Sie hat sich nicht nur die Unterstützung der Linken gesichert, sondern auch diverse bürgerliche Politiker überzeugt, beispielsweise die Tierschützerin und SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel.
Bauer Haab braucht Katzen zum Mausen
Ob Fehr Düsel ihre Fraktion hinter sich bringt, ist allerdings fraglich. Denn die SVP nimmt für sich in Anspruch, die Bauern zu vertreten. Und viele der Bauern sind skeptisch, unter anderem Martin Haab. Der SVP-Nationalrat und Landwirt aus Mettmenstetten präsidiert den Zürcher Bauernverband. Er sagt: «Die Kastrationspflicht ist Chabis.»
Katzen seien für Bauern nicht einfach ein schönes Hobby. Die Tiere seien zum Mausen da, man brauche daher Nachwuchs. Zwar hat Meret Schneider für die Bauern eine Sonderregel in den Vorstoss geschrieben: Die Kastrationspflicht soll für sie erst beim zweiten Wurf gelten. Doch Haab findet das schwierig umzusetzen: «Wie will man das kontrollieren?», fragt er. Zumal von aussen gerade bei Weibchen kaum sichtbar ist, ob sie sterilisiert sind oder nicht.
Auch der Bundesrat bezweifelt den Nutzen. Er zitiert eine Studie des Veterinary Public Health Institute (VPHI) der Universität Bern von 2024. Diese habe gezeigt, dass das Vorhandensein von Futterquellen und Unterschlupfmöglichkeiten einen wesentlich grösseren Einfluss auf die Populationsentwicklung habe als die Kastration. Nach geltendem Recht seien Tierhalter bereits heute verpflichtet, alle zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um eine übermässige Vermehrung ihrer Tiere zu verhindern.
Damit habe der Bundesrat die Studie aber «kreativ interpretiert», wie Gertraud Schüpbach, Leiterin des VPHI und Mitverfasserin der Studie, es ausdrückt. Ihre Studienergebnisse beziehen sich nämlich nur auf den Effekt freiwilliger Kastrationen herrenloser Katzen, wie sie Organisationen wie Netap durchführen. Die Wirksamkeit einer Kastrationspflicht hingegen hat Schüpbach in der Untersuchung nicht durchgerechnet. Aufgrund der bisherigen Forschungserkenntnisse geht sie überschlagsmässig aber davon aus, dass eine Kastrationspflicht wirksam wäre. Die Voraussetzung: «Man müsste für einen Effekt 70 bis 80 Prozent der unbetreuten Schweizer Katzen erwischen, um die Streunerpopulation nachhaltig zu reduzieren», sagt die Professorin.
Die Frage ist, ob man mit einer Kastrationspflicht so viele Katzen erreicht. Haab glaubt es nicht, der bürokratische Aufwand, alle Katzenbesitzer inklusive der Bauernhöfe zu kontrollieren, sei viel zu gross. Auch für dieses Problem hat Meret Schneider einen «quick fix» parat: Sie fordert eine Chip-Pflicht. Wenn jede Katze in einem zentralen System registriert sei, lasse sich die Kastration erfassen und überprüfen, davon ist sie überzeugt. Der Bauer Haab hat jedoch seine Zweifel: Er habe immer wieder zugelaufene Katzen. «Am Ende werde ich noch bestraft, weil ich die fremde Katze nicht gechipt habe», befürchtet er.
Der Wert des Tiers
Der Landwirt setzt lieber auf die Eigenverantwortung der Katzenhalter. Diese lebt seine Familie auch selbst vor. Haab hat den Betrieb an seinen Sohn übergeben. Um die Katzen kümmert sich die Schwiegertochter mit ihren Kindern. Auf die Frage, wie viele Katzen er auf dem Hof habe, muss Haab daher schnell rechnen: «Das verändert sich ja immer wieder.» Sechs seien es im Moment, sagt er dann, «fünf davon kastriert, eine nicht». Die Unkastrierte liefert jährlich Nachwuchs. «Sie ist eine sehr gute Mutter», sagt Haab, «deshalb haben wir sie dafür ausgewählt.»
In den nächsten Tagen bekommt die Katze Junge, es sind schon alle reserviert. Früher gab die Familie Haab die jungen Kätzchen gratis weg. Dann merkte die Schwiegertochter, dass eine der Abnehmerinnen die Tiere gratis holte und weiterverkaufte. Mittlerweile verlangt sie daher 150 Franken pro Tier. Ausserdem führt sie Gespräche mit den Abnehmern, um sicherzugehen, dass diesen bewusst ist, wie man eine Katze versorgt. «Die Leute sollen merken, dass ein Tier einen Wert hat und man Verantwortung dafür übernehmen muss», erklärt Haab.
Tatsächlich ist das Verhältnis zu den Tieren auch eine Zeit- und Kulturfrage. So ist es schwer vorstellbar, dass hier streunende Hunde wie in Kosovo, in Rumänien oder anderen Ländern herumlaufen könnten. Für Hunde gilt in der Schweiz seit 2006 eine Chip-Pflicht. Und sogar für überzeugte Fleischesser ist es kaum denkbar, den eigenen Hund oder die Hauskatze zu essen. Die Erwartung, dass man Tiere mit einem ähnlichen Respekt behandelt wie Menschen, wird grösser.
Diese Entwicklung beobachtet auch Haab. Als er ein Knabe gewesen sei, habe der Männerchor bei ihnen jährlich ein Katzenessen veranstaltet. Der Koch habe einen Blick für die «feissen Maudi» auf den Bauernhöfen gehabt und sie abgeholt.
Die veränderte Beziehung von Mensch zu Tier zeigt sich auch im Tierschutzgesetz. Früher habe er auch einmal zum Gewehr gegriffen, wenn eine Katze schwer krank gewesen oder ein Hund überfahren worden sei, erinnert sich der Bauer. Heute sei das nicht mehr akzeptiert. Nur «fachkundige Personen» dürfen Tiere töten, und zwar «unter Betäubung», so steht es im Gesetz.
Wenn es nach den Tierschützern geht, soll dieses weiter verschärft werden. Der Nationalrat diskutiert nächste Woche die Motion «Nein zur Tötung gesunder Haustiere» von Lorenzo Quadri (Lega dei Ticinesi). «Skrupellose» Tierhalter liessen Haustiere einschläfern, die ihnen «lästig» geworden seien. Dem will Quadri Einhalt gebieten.
Der Politiker ist in Bundesbern Teil der SVP-Fraktion. Haab wird wohl noch ein Wörtchen mit ihm reden. Meret Schneider auch. Sie unterstützt das Begehren: «Tiere sind fast so empfindungsfähig wie Menschen», sagt sie. «Sie spüren Schmerz und Freude und sollten daher nicht grundlos getötet werden.» Der Bundesrat dagegen argumentiert, es handle sich um Einzelfälle. Ausserdem sei es schwierig, die Grenze zwischen gesunden und kranken Tieren zu ziehen.