Samstag, November 23

Die Bekämpfung der Korruption ist eine der grossen Herausforderungen für Rumänien. Der Skandal um den aussichtsreichsten Kandidaten für das Präsidentenamt zeigt das deutlich.

Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl in Rumänien haben investigative Journalisten den sozialdemokratischen Kandidaten und Favoriten im Rennen um das höchste Staatsamt Marcel Ciolacu in Erklärungsnot gebracht. Das unabhängige Online-Medium «g4media» hat am Montag Dokumente veröffentlicht, wonach Ciolacu, der zurzeit Regierungschef ist, im Mai 2022 auf einer Privatreise mit seinem Sohn und hochrangigen Parteifreunden in einem Privatjet von Nizza nach Bukarest geflogen ist.

Verstrickungen mit dubioser Firma

Die luxuriöse Reise passt nur schlecht zu dem Anspruch der Sozialdemokraten, sich für die Belange der einfachen Bevölkerung einzusetzen, von denen viele unter den steigenden Lebenshaltungskosten im Land leiden. Doch das ist nicht das eigentliche Problem. Die Angelegenheit wirft ein Schlaglicht auf zwielichtige Verstrickungen, die viele Bürger in ihren Vorurteilen gegenüber der Classe politique im Land bekräftigen dürften.

Laut «g4media» wurde der Jet von der Reiseagentur der Firma Nordis gechartert und bezahlt. Das Immobilienunternehmen steht in Rumänien im Mittelpunkt eines spektakulären Betrugsfalls. Nordis hat an der Schwarzmeerküste Luxusimmobilien geplant und dabei dieselben Wohnungen vor Fertigstellung an verschiedene Käufer veräussert.

Kurz vor Bekanntwerden des Skandals meldete das Unternehmen Insolvenz an. Der Firmeninhaber ist mit der Politikerin Laura Vicol verheiratet, die pikanterweise für die Sozialdemokraten im rumänischen Parlament sitzt und dort die einflussreiche Justizkommission leitete. Wegen des Betrugsfalls legte Vicol das Amt im Oktober nieder. Sie war ebenfalls an Bord des Privatjets gewesen.

Die Schaffung eines schlagkräftigen, unabhängigen Justizwesens, das mögliche Begünstigungen unvoreingenommen untersucht, ist eine andauernde Herausforderung für Rumänien. 2018 kam es zu grossen Protesten gegen eine Justizreform der damals ebenfalls sozialdemokratisch geführten Regierung, deren offensichtliches Ziel es war, die Strafverfolgung hoher Politiker zu erschweren.

Auch in der EU erregten die Vorgänge Sorge. Erst im Sommer 2023 wurde der spezielle Kontrollmechanismus beendet, den Brüssel bei der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens zur Überprüfung der rechtsstaatlichen Fortschritte der beiden Länder ins Leben gerufen hatte.

Widersprüchliche Aussagen

Der Regierungschef Ciolacu hat sich widersprüchlich zu den Anschuldigungen geäussert. In einer ersten Stellungnahme behauptete er, 2022 nicht in Nizza gewesen zu sein. Mit weiteren Fakten konfrontiert, erklärte er, mit seinem Sohn über Nizza an den Grand Prix in Monaco gereist zu sein, aber einen Linienflug benutzt zu haben.

Nach der Veröffentlichung der Passagierliste des Privatjets wiederum rechtfertigte er sich damit, dass er alle Kosten selber getragen habe. Ausserdem sei er zum Zeitpunkt der Reise noch nicht Regierungschef gewesen. Die Enthüllungen stellte er in den Zusammenhang mit dem Wahlkampf.

Der sechstgrösste EU-Staat steht vor einem regelrechten Wahlmarathon, bei dem die Stimmberechtigten an drei Wochenenden nacheinander an die Urnen gerufen werden. Am Sonntag findet die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt. Dann folgt am Nationalfeiertag vom 1. Dezember die Parlamentswahl und am Wochenende darauf die Stichwahl um das Präsidentenamt.

Wenige valable Alternativen

Ciolacu gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge des Staatsoberhaupts Klaus Iohannis. Laut dem Politbeobachter Sorin Ionita dürfte die Privatjet-Affäre daran kaum etwas ändern. Die PSD stütze sich auf klientelistische Strukturen im ganzen Land, über die sich viele Stimmen mobilisieren liessen.

Zudem gebe es nur wenige valable Alternativen, sagt Ionita. Am wahrscheinlichsten ist es, dass neben Ciolacu auch der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei AUR, George Simion, in die Stichwahl einzieht. Simion setzt sich für einen Anschluss der Moldau an Rumänien ein und will die militärische Unterstützung für die Ukraine einstellen.

Ciolacu käme in den letzten Tagen des Wahlkampfs eine Erfolgsmeldung sicherlich gelegen. Am Donnerstag finden in Budapest Verhandlungen über die vollständige Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in den Schengenraum statt. Bis jetzt sind die Grenzkontrollen nur bei Flugreisen aufgehoben. Die Anzeichen verdichten sich, dass Österreich seinen Widerstand gegen die Aufnahme der beiden Staaten aufgeben wird.

Ungeachtet ihrer konkreten Auswirkungen wirft die Recherche zur sozialdemokratischen Vergnügungsreise ein Schlaglicht auf die Bedeutung des unabhängigen Journalismus im Land. Auch an der Aufdeckung des Immobilienskandals um Nordis waren Investigativjournalisten massgeblich beteiligt. Die etablierten Medien in Rumänien sind durch Abhängigkeitsverhältnisse gegenüber politischen Strukturen und andere Formen der Einflussnahme weitgehend gezähmt. Junge, unabhängige Online-Titel füllen diese Lücke.

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