Montag, September 15

Viele weissrussische Journalisten sind ins Exil geflüchtet. Aber auch dort ist die Lage bedrohlich. Schuld daran ist auch die Trump-Regierung.

Die Republik Weissrussland ist nicht nur ein autoritär regiertes Land – sie ist auch ein Ort, an dem unabhängiger Journalismus systematisch verfolgt wird. Seit den Massenprotesten gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020 mussten Dutzende Redaktionen ins Ausland flüchten. Wer Minsk, Grodno, Gomel und Witebsk nicht verlassen hat, lebt heute im inneren Exil oder im Gefängnis.

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Die einzige Möglichkeit, um weiter Journalismus für die Menschen in Weissrussland zu machen, sind rein digitale Portale, die auf frühere Projekte zurückgehen: So wurde aus dem zerschlagenen Portal Tut.by mit Zerkalo.io ein neuer Ansatz, der auf Deutsch Spiegel heisst.

Vierzehn Jahre Gefängnis – bestraft wie Verbrecher

«Einige meiner Kollegen mussten innerhalb weniger Stunden ihre Sachen packen und das Land verlassen, um nie wieder zurückzukehren», berichtet Natalia Belikova, Leiterin für internationale Zusammenarbeit beim «Belarus Press Club», einer Nichtregierungsorganisation, die von Warschau aus unabhängige Projekte unterstützt.

«Derzeit befinden sich 41 Medienschaffende im Gefängnis, einige von ihnen sind zu vierzehn Jahren Haft verurteilt», so Belikova. Zu den Repressionen gegen Journalistinnen und Journalisten gehören weiterhin Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen von Ausrüstung – oft unter Anwendung von Gewalt. Ganze Medienhäuser werden als extremistisch oder gar terroristisch eingestuft. Damit ist es möglich, auch Leser und Abonnenten von Telegram-Kanälen strafrechtlich für das Liken eines Posts zu verfolgen.

Nach 2020 hatten viele Medienschaffende zunächst Zuflucht in der Ukraine gefunden. Infolge der Ausdehnung der russischen Kampfzone in der Ukraine mussten sie 2022 erneut fliehen – diesmal gingen die meisten Betroffenen nach Litauen und Polen. Diese doppelte Entwurzelung stellt nicht nur eine persönliche, sondern auch eine institutionelle Herausforderung dar. Natalia Belikova erklärt die Situation so: «Sie müssen ihre Institutionen und Prozesse in einem völlig neuen Umfeld neu erfinden, um weiterhin das Publikum in Weissrussland zu bedienen.»

Digitale Repression des Staates

Die Arbeit im Exil ist geprägt von einem hohen Mass an Vorsicht. «Anonymität hat oberste Priorität», sagt Belikova. Quellen, Journalisten und Experten vermeiden es, ihre Namen zu verwenden – aus Angst vor Repressionen gegen ihre Familien oder der bereits einsetzenden Beschlagnahmung ihres Eigentums in der Heimat. Gleichzeitig erschwert der weissrussische Staat weiter gezielt die Verbreitung unabhängiger Inhalte. Websites werden blockiert, Social-Media-Kanäle kriminalisiert und Medienstatistiken manipuliert.

Trotzdem gelingt es einzelnen Exilmedien wie der Intellektuellen-Wochenzeitschrift «Nascha Niwa», ihre weissrussischsprachige Zielgruppe zu erreichen. Das Portal Charter97.org hat sich über zwanzig Jahre ein politisch besonders engagiertes Publikum aufgebaut. Die Seite Reform.news setzt auf Zweisprachigkeit und hat ein eher junges, grossstädtisches Publikum im Blick.

Die Interaktion zwischen den Redaktionen im Ausland und den Bürgern vor Ort ist einerseits durch Innovationen und andererseits durch eine aktive digitale Zivilgesellschaft geprägt. Ein Mittel der Stunde sind Telegram-Bots, kleine Programme, die automatisiert Informationen von Nutzern zu bestimmten Themen sammeln. «Bis zu 80 Prozent der Inhalte entstehen mithilfe von Nutzerinnen im Land», betont Belikova. Die Nachfrage nach unabhängiger Information sei dort ungebrochen. «Es gibt eine grosse Nachfrage nach einem aktiven Informationsfluss von und nach Weissrussland.»

Daraus resultiert ein bleibender Widerspruch. Der Bedarf nach einem freien Informationsfluss ist so gross wie nie zuvor. Aber die Versuche, diesen einzuschränken, sind längst auf dem Niveau des Kalten Kriegs.

Ende von US-Hilfen hat fatale Auswirkungen

Die grösste Bedrohung für die weissrussischen Exilmedien ist derzeit nicht politischer, sondern finanzieller Natur. Über Jahre war die amerikanische Entwicklungsagentur USAID einer der wichtigsten institutionellen Förderer unabhängiger Medien in Osteuropa. Mit dem von Donald Trump verordneten Rückzug der USA aus der Region bricht nun eine zentrale Säule weg.

«Die Mittelkürzung hat unsere Arbeit stark beeinträchtigt», sagt Belikova. So mussten im Warschauer «Belarus Press Club» Schulungsprogramme für junge Medienmanager eingestellt werden, ebenso wie die systematische Medienbeobachtung, Trendanalysen und Publikumsforschung. Sie fügt hinzu: «Die Nachrichtenredaktionen sind gezwungen, Personal abzubauen sowie die Produktion von Inhalten einzuschränken, und sie verlieren den Zugang zu wichtigen technischen Lösungen.» Die US-Finanzierung habe über 50 Prozent des Bedarfs des Sektors gedeckt – eine Lücke, die kein einzelner Akteur allein schliessen könne.

Die Folge ist laut Belikova, dass der von der Regierung in Minsk unabhängige weissrussische Journalismus am Rande des Aussterbens steht.

Weg frei für Indoktrinierung

Die Exilmedien blicken nun in Richtung Brüssel und fordern, dass die Europäische Union für den Ausfall der US-Förderer aufkommt. Dabei geht es auch um die Fortführung der weissrussischsprachigen Redaktion von Radio Free Europe in Prag. Das stärkste Argument zeigt auf den anhaltenden russischen Krieg in der Ukraine. Belikova formuliert es so: «Wie Russland gezeigt hat, können wir wenig tun, wenn eine Gesellschaft erst einmal vollständig indoktriniert ist.»

Konkret helfen würden ihrer Meinung nach mehr institutionelle Fördermassnahmen statt projektbezogener Kurzzeitfinanzierung. Es wäre wichtig, technologische Infrastrukturen zu schaffen, um die digitale Zensur systematisch zu umgehen. Schulungsprogramme für junge Journalisten und Medienmanager machen einen Unterschied. Forschung würde es ermöglichen, Propaganda wissenschaftlich zu analysieren. Und zu guter Letzt fehle rechtlicher Beistand bei der Ausgründung von kommerziell angelegten Exilmedien.

Trotz allen Widrigkeiten bleibt der Wille zur Aufklärung ungebrochen. Die im Juni erfolgte Freilassung prominenter Journalisten wie Ihar Karnei nach fünf Jahren Haft zeigt, dass internationaler Druck Wirkung entfalten kann. Zu den Entlassenen gehört Sergei Tichanowski, dessen Präsidentschaftskandidatur 2020 verhindert wurde und der zuvor als Videoblogger Furore gemacht hatte.

Er betonte nach seiner Freilassung, dass ein Wort von Donald Trump genügen würde, um alle politischen Gefangenen in Weissrussland zu befreien. Damit verwies er auf die Möglichkeit, den politischen Druck aus dem Ausland auf Alexander Lukaschenko zu erhöhen. Doch solange weiterhin Dutzende Journalisten inhaftiert sind, bleibt die Lage angespannt. Natalia Belikova drückt es so aus: «Ohne unabhängige Medien laufen die Menschen in der Republik Weissrussland Gefahr, die Hoffnung auf eine bessere, demokratischere Zukunft zu verlieren.»

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