Am Donnerstag zeigt sich, ob Gespräche zwischen der Ukraine und Russland möglich sind. Erdogan hat das Treffen nicht initiiert – aber er nutzt die Gelegenheit zu seinen Gunsten.

Es war Russlands Präsident Wladimir Putin, der Istanbul ins Spiel brachte – als Schauplatz direkter Friedensgespräche mit der Ukraine. «Ich möchte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bitten, eine solche Gelegenheit für Gespräche in der Türkei zu schaffen», sagte Putin und schlug den kommenden Donnerstag als Termin vor. Erdogan wurde davon überrascht, wie türkische Medien berichten – aber er weiss das Momentum für sich zu nutzen.

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Es habe sich «eine neue Chance eröffnet. Wir glauben, dass sie diesmal nicht ungenutzt bleibt», sagte Erdogan. Es folgten intensive Gespräche: mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, mit Putin – und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski. Am Dienstag empfing Erdogan auch den Nato-Generalsekretär Mark Rutte.

Noch ist unklar, in welchem Format überhaupt direkte Gespräche zwischen der Ukraine und Russland stattfinden. Selenski hatte erklärt, er werde «am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten, persönlich». Als Bedingung für Gespräche hatten er und die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Polen eine 30-tägige Waffenruhe ab Montag genannt. Putin liess die Frist verstreichen. Er spielt auf Zeit, weil er sich militärisch im Vorteil sieht und weiteres ukrainisches Gebiet gewinnen will, bevor der Konflikt eingefroren wird.

Wahrscheinlicher ist daher, dass am Donnerstag Vertreter beider Seiten lediglich auf Arbeitsebene miteinander sprechen werden. In europäischen Hauptstädten ist zu hören, dass dabei ein stufenweiser Waffenstillstand ausgehandelt werden könnte – zunächst auf See und in der Luft, zuletzt am Boden. Ob die Türkei lediglich Gastgeberin ist oder aktiv vermittelt, ist offen.

Für Erdogan sind die Gespräche Profilierungschancen

So oder so wird Erdogan die Gespräche als Erfolg verkaufen. In der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu träumt man bereits von Istanbul als dem «neuen Genf».

Der türkische Präsident will die Gelegenheit nutzen, um sein Image als Vermittler zu stärken. Das entspricht auch seinen langjährigen Bemühungen, die Türkei als eine Regionalmacht zu etablieren, an der niemand vorbeikommt.

Gleichzeitig würde er bei seiner Basis punkten – denn innenpolitisch war er jüngst mit grossen Protesten gegen die Inhaftierung seines wichtigsten politischen Gegners konfrontiert. Auch aussenpolitisch könnte er profitieren und das Verhältnis zu Russland verbessern, ohne die Beziehungen zum Westen zu gefährden.

Diesen Balanceakt versucht Erdogan seit Beginn des Kriegs. Seine Linie lässt sich als proukrainisch, aber nicht antirussisch beschreiben. So vermittelte er das mittlerweile ausgesetzte Getreideabkommen und plante gemeinsam mit Putin ein Gas-Drehkreuz in der Türkei. Ankara liefert Waffen an Kiew, beteiligt sich aber nicht an den Sanktionen gegen Moskau.

Dieser Kurs sorgte zeitweise für Spannung mit den Nato-Partnern – besonders, als die Türkei den Beitritt Schwedens und Finnlands zum Bündnis über Monate blockierte. Doch inzwischen nähert sich Ankara dem Westen wieder an.

Das zeigte sich jüngst beim Besuch des türkischen Chefdiplomaten Hakan Fidan bei einem Treffen von EU-Aussenministern in Warschau. Die Türkei will mitgestalten, wenn Europa – angesichts der unberechenbaren Amerikaner – seine Sicherheitsarchitektur neu ausrichtet.

Aus russischer Sicht ist das keine positive Entwicklung. «Historisch gesehen kooperieren Russland und die Türkei immer dann, wenn sich beide Seiten vom Westen ausgeschlossen fühlen», sagt Özgür Ünlühisarcikli, der das Ankara-Büro der Stiftung German Marshall Fund leitet. «Wenn dann einer von beiden, meist die Türkei, wieder gute Beziehungen zum Westen hat, gehen sie getrennte Wege.» Erste Anzeichen dafür sind womöglich schon zu sehen.

Istanbul als gutes Omen für die Russen

Dass Putin dennoch Istanbul als Ort für neue Gespräche wählte – und nicht etwa Saudiarabien –, liegt an der Vorgeschichte. Bereits 2022 gab es hier Verhandlungen. Damals war vorgesehen, dass die Ukraine auf den Nato-Beitritt verzichten sollte.

Die Einigung scheiterte unter anderem daran, dass Russland zwar Garantiemacht sein wollte – aber zusätzlich ein Vetorecht gegen das Eingreifen anderer Staaten wie der USA oder Grossbritanniens forderte. Damit wäre die Ukraine vom Willen des Kremls völlig abhängig gewesen.

Nun will Russland daran anknüpfen. Putins aussenpolitischer Berater Juri Uschakow erklärte, man müsse sowohl die damaligen Ergebnisse der Gespräche als auch die seitherigen Entwicklungen an der Front berücksichtigen. Für Moskau erscheint Istanbul als ein historisch vorteilhafter Ausgangspunkt.

Vieles hängt nun von Trump ab. Zuletzt spielte er mit dem Gedanken, selber nach Istanbul zu reisen, um sich an möglichen Verhandlungen zu beteiligen. Am Dienstag kündigte er an, dass Aussenminister Marco Rubio teilnehmen werde.

Noch im Februar hatten Amerikaner und Russen in Riad über die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent gesprochen, ohne dass Ukrainer oder Europäer am Tisch sassen. Es war Erdogan, der sich kurz darauf mit Selenski traf. In Ankara entstand ein Foto, auf dem der türkische Präsident seinem ukrainischen Gast einen Regenschirm über den Kopf hält. Erdogan weiss um die Wirkung solcher Bilder. Ob seine neuerlich angestrebte Vermittlerrolle über die reine Selbstinszenierung hinausgeht, muss er aber erst noch beweisen.

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