Dienstag, November 26

An diesem Freitag kommt Apples Virtual-Reality-Headset in den USA in die Läden. Es soll die nächste grosse Technologierevolution auslösen, wie einst der Computer und das Smartphone. Die ersten Produkttests gaben Überraschungen preis.

Apple-Fans dürften diesen Freitag dick im Kalender markiert haben: Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren bringt der führende Technologiekonzern unserer Zeit ein neues Produkt auf den Markt. Die «Vision Pro» sieht auf den ersten Blick aus wie eine Skibrille, ist aber ein Hightech-Computer: Einmal aufgesetzt, zeichnen 13 Kameras, 6 Mikrofone und 5 Sensoren die Umgebung des Nutzers auf und spielen sie auf einen Bildschirm im Inneren. Auf diese Weise kann man sich Fotos, Filme oder Programme direkt über seine Umgebung projizieren. Die Navigation geschieht mit Blickkontakt und kleinsten Fingerbewegungen.

Experten nennen diese Fusion der virtuellen und der realen Welt «mixed reality», bei Apple heisst sie «spatial computing». Der CEO Tim Cook wettet darauf, dass es die nächste grosse Technologie-Plattform sein wird. Unsere Umgebung wird zum Desktop-Hintergrund. «Wir stehen am Anfang einer neuen Ära», sagte er selbstbewusst vergangenen Juni, als er das «next big thing» an der Entwicklerkonferenz in Cupertino ankündigte. Für Apple ist es eine milliardenschwere Wette: Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren riesige Beträge in die Entwicklung des Headsets gesteckt, auch die Erfolgsbilanz des 63-jährigen CEO hängt nun an der Brille.

Die Vorbestellungen sind laut Expertenschätzungen gering

Ab Freitag wird sich zeigen, ob die Konsumenten Apple in diese neue Welt folgen – so, wie sie es einst beim Smartphone und dem Tablet-Computer gemacht haben. Oder ob der Produktstart ein gigantischer Flop wird, weil kaum jemand bereit ist, einen Computer im Gesicht zu tragen.

Seit Mitte Januar konnte man die Vision Pro vorbestellen, vorerst ist sie nur in den USA erhältlich. Wie viele Kunden dies getan haben, teilt der Konzern nicht mit. Der Apple-Experte Ming-Chi Kuo von TF International Securities schätzte Anfang der Woche gegenüber dem «Wall Street Journal», dass es 160 000 bis 180 000 Stück sein dürften.

Zum Vergleich: Vor dem Verkaufsstart der ersten Apple Watch 2015 hatten die Kunden ein Vielfaches davon vorbestellt, etwa eine Million Stück.

Die Zurückhaltung der Kunden erklärt sich auch mit dem Preis: 3500 Dollar kostet das Headset in der kleinsten Speicherausführung, vor Steuern. In der grössten Ausführung sind es mit Extras auch schnell einmal 5000 Dollar.

Das Headset richtet sich zunächst primär an App-Entwickler

Doch Apple will mit dem Produkt vorerst gar nicht den Massenmarkt erreichen, sondern vor allem App-Entwickler inspirieren. Denn diese müssen erst einmal gute Anwendungen für das neue Produkt entwickeln und den Nutzern so Gründe liefern, in diese virtuelle Welt zu kommen. Apps von Drittfirmen sind das Benzin in Apples Motor; das war schon bei der Apple Watch, dem iPad und dem iPhone der Fall. Die grosse Frage ist nun, ob Entwickler tatsächlich solche «Killer-Apps» finden.

Gemäss Apple gibt es zum Verkaufsstart 600 Apps, die speziell für die «Vision Pro» entwickelt wurden. Die Analysefirma Appfigures zählte gemäss dem «Wall Street Journal» hingegen nur rund 200 Apps. Darunter sind neben den Apple-eigenen Programmen etwa solche von Disney, Paramount und Microsoft. Wer die «Vision Pro» aufsetzt, kann also Disney-Filme in 3-D erleben und Excel-Tabellen auf der Wohnzimmerwand anschauen.

Doch einige populäre Streaming-Anbieter wie Spotify, Youtube und Netflix haben es vorerst abgelehnt, eine eigene Anwendung für das neue Headset zu entwickeln. Das erklärt sich auch damit, dass Apple zurzeit mit App-Entwicklern im Clinch liegt, weil der Konzern sich sträubt, die sehr hohen Kommissionen in seinem eigenen App-Store signifikant zu senken.

Bisher nutzen Konsumenten solche Virtual-Reality-Brillen vor allem für Computerspiele und Fitness. Auf solche Anwendungen konzentriert sich auch der Technologiekonzern Meta, der mit einem Anteil von 55 Prozent heute der Marktführer ist. Metas neue Brille Quest 3 kostet mit 500 Dollar nur einen Bruchteil der «Vision Pro» – ist technisch jedoch auch nicht so fortgeschritten.

Apple wettet nun darauf, dass wir alle künftig nicht nur für die Dauer einer Fitnesseinheit, sondern für ganze Arbeitstage ein Headset aufsetzen. Und dass dies nicht mehr nur eingeschworene Computerfans tun, sondern ganze Generationen von Nutzern. Bisher verkaufen sich jährlich gerade einmal rund 10 Millionen Virtual-Reality-Brillen weltweit.

Nachfrage nach VR-Headsets hat in letzter Zeit nachgelassen

Verkaufte Brillen*

(in Millionen)

Erwartungshaltung im Silicon Valley im Vorfeld gross

Doch wie gut ist das neue Headset wirklich? Die Bewertungen von ausgewählten amerikanischen Journalisten und Influencern, die das Gerät vorab testen durften, fielen weitgehend positiv aus. Sie lobten insbesondere die gute Auflösung des Bildschirms und wie intuitiv man durch die virtuelle Welt navigieren kann. Das «Wall Street Journal» lobte insbesondere, dass man nun die eigene Umgebung im Video aufzeichnen könne, ohne eine Kamera in der Hand halten zu müssen.

Andere beschrieben, dass sie vom Gewicht des Headsets Kopfschmerzen bekämen. Tatsächlich ist Apples Brille mit 650 Gramm etwas schwerer als diejenige von Meta (515 Gramm); hinzu kommt bei Apple nochmals eine externe Batterie von 350 Gramm. Das sei nun einmal der Preis dafür, dass Apples Produkt technisch weit fortgeschrittener sei, sagt Jeremy Bailenson, Experte für Virtual Reality an der Stanford-Universität. «Jeder will ein leichtes, luftiges Headset ohne externe Batterie haben. Aber man kann nicht grossartiges Augen- und Finger-Tracking haben ohne entsprechende Sensoren.»

Einige Journalisten berichteten auch, dass sie in der neuen virtuellen Welt schnell ermüdeten. «Ich habe das Gefühl, dass all meine Sinne überstimuliert sind», sagte der Youtuber Brian Tong. Nach 45 Minuten müsse er die Brille abziehen. Experten beobachten seit langem, dass in der virtuellen Welt die Wahrnehmungsorgane schnell ermüden. Einigen Testpersonen wurde zudem übel – ebenfalls ein bekanntes Problem. Aus diesem Grund steht im Simulationsraum des Virtual-Reality-Labors von Stanford auch ein Eimer in einer Ecke.

Die «New York Times» nannte das neue Headset unterm Strich ein «Statussymbol für das Gesicht» – auch, weil es nach wie vor keine «Killer-App» gebe.

Experten sind skeptisch, ob Apple den Massenmarkt erobern kann

Auch unter VR-Experten gehen die Meinungen dazu, ob Apple mit dem Headset tatsächlich den Massenmarkt erobern wird, auseinander.

Bailenson zeigt sich skeptisch. «Wir pflegen einen Scherz unter VR-Forschern: Seit 20 Jahren sagen wir jedes Jahr, dass Virtual Reality ganz kurz davor sei, in jedermanns Wohnzimmer einzuziehen.» Vielmehr beobachte er, dass die Nachfrage nach VR-Headsets sehr langsam, aber stetig wachse. Habe Apple nun – Bailenson denkt laut nach – das Rezept dafür gefunden, wie man die Leute täglich in die virtuellen Welten lockt? Er beantwortet die Frage selbst: «Ich wäre wirklich verblüfft, wenn dem so wäre.»

Matthew Ball, Autor des 2022 erschienenen Buches «Das Metaversum», glaubt hingegen, dass Apples Eintritt den Markt nun verändern werde. «Viele andere Gerätehersteller und Softwareentwickler weltweit werden davon inspiriert werden», sagte Ball gegenüber der NZZ, nachdem Apple das Produkt vergangenen Sommer angekündigt hatte. Es gebe schliesslich weltweit kein Unternehmen mit einer besseren und vielfältigeren Erfolgsbilanz bei der Einführung neuer Computing-Plattformen.

Exit mobile version