Wer sich mehr bewegt, altert langsamer – das stimmt. Doch wer ohne Beschwerden fit bleiben will, sollte Koordinations- und Kraftübungen in sein Training einbauen.

«No sports.» So soll Winston Churchills rituelle Antwort auf die Frage von Journalisten gelautet haben, wie der legendäre englische Premierminister trotz regem Genuss von Alkohol und Tabak bis ins hohe Alter so gesund geblieben sei. Im Alter von für die damalige Zeit fast schon biblischen 90 Jahren erlag der britische Staatsmann am 24. Januar 1965 einem Hirnschlag; Herz und Lungen erfreuten sich da noch einer guten Gesundheit.

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Die Authentizität des Churchill zugeschriebenen Zitats ist allerdings längst schon bezweifelt worden. Es gibt keine verlässliche Quelle, die belegt, dass Churchill das je so gesagt hat. Hinzu kommt: Churchill war in seiner Jugend ein begeisterter Reiter und Fechter gewesen.

Wie «no sports» ist auch die Redewendung «Sport ist Mord» eine gängige Formel, mit der Sportmuffel ihre Inaktivität zu rechtfertigen versuchen. Heute ist allerdings das Gegenteil bewiesen: Wer sich regelmässig bewegt, altert langsamer. Muskelschwund, die sogenannte Sarkopenie, ist eine häufige Begleiterscheinung des Alterungsprozesses. Laut einer Untersuchung der Universität Zürich gehen spätestens ab dem fünfzigsten Lebensjahr jährlich rund 1 bis 2 Prozent der Skelett-Muskelmasse verloren. Viele Achtzigjährige haben so bereits rund 40 Prozent ihrer ursprünglichen Muskulatur verloren.

Die Folge davon: Das Treppensteigen wird zum Kraftakt, die Trittsicherheit schwindet. Stürze und die daraus resultierenden Knochenbrüche bedeuten nicht selten das Ende eines aktiven Lebens. Die Patienten landen im Krankenhausbett und verlassen dieses zuweilen kaum noch.

Muskelzellen wachsen auch in hohem Alter noch

Was also tun? Sich bewegen. In der Wissenschaft sind sich die Forscher heute einig, dass sich Muskelzellen auch im fortgeschrittenen Alter noch erneuern und neu aufbauen lassen. Das deutsche Bundesgesundheitsministerium und das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfehlen denn auch: «Werdet aktiv.» Erwachsene sollten sich pro Woche mindestens 150 Minuten lang ausdauerorientiert bewegen. Die Empfehlung ist nicht neu, aber neuerdings wird sie oft von folgendem Zusatz begleitet: Das Training sollte durch koordinative Übungen und einen moderaten Kraftaufbau ergänzt werden. Die dazu passende Floskel lautet: «Use it or lose it», im Deutschen lautet das Äquivalent dazu: «Wer rastet, der rostet.»

Also ab an die Geräte und Hanteln. Nicht nur, um in der nahenden Badesaison am See eine gute Figur zu machen. Sondern auch, um dem eigenen Verfall entgegenzuwirken. Diesen Tatsachen zum Trotz ist Sport für Wiedereinsteiger allerdings nicht ohne Risiko. Je länger die Pause dauerte, desto höher ist die Verletzungsgefahr, wenn man wieder mit Sporttreiben beginnt. Die gefährlichste Aktivität ist ausgerechnet der Schweizer Liebkind: das Skifahren.

Die Schweizer Unfallversicherung (Suva) schrieb im Dezember 2024: «Jedes Jahr verunfallen auf Schweizer Skipisten rund 35 000 Menschen. Während der Anteil der 40- bis 64-Jährigen im Jahr 2003 noch bei 39 Prozent lag, stieg er stetig an und erreichte im Jahr 2022 56 Prozent.» Das zeigt: Ältere Wintersportlerinnen und Wintersportler haben ein höheres Risiko, schwere Verletzungen und langfristige Gesundheitsschäden zu erleiden.

Mittlerweile sind die Skigebiete in der Schweiz bereits geschlossen. Wichtig ist deshalb eine gute Vorbereitung auf die nächste Wintersaison, die im Idealfall jetzt beginnt, da die Ski in den Kellern verstaut werden. Doch Gefahren lauern nicht nur auf der Piste, sondern auch im Kraftraum: In dem Bestreben, sich etwas Gutes zu tun, neigen insbesondere ältere, aber immer noch ambitionierte Freizeitsportler dazu, es zu übertreiben.

Andy Kollaritsch ist Sportphysiotherapeut. Er kennt das Problem aus seiner täglichen Arbeit. Der Berner österreichischer Herkunft war von 1998 bis 2000 Mitglied im medizinischen Betreuerstab des Grasshopper-Clubs Zürich. Später arbeitete er während eines Jahres in der gleichen Funktion auch noch beim Stadtrivalen FC Zürich, ehe er zum Technikerteam von Swiss Ski wechselte. In der Jugend war er selbst ein ambitionierter Triathlet.

Heute besitzt und führt der 55-Jährige das Trainings- und Rehabilitationszentrum TRC in Spiez. Dort betreut er mit seinem Team jüngere und ältere Menschen nach Erkrankungen und Verletzungen auf ihrem Weg zurück in den Alltag. Er sagt: «Es gibt genügend Studien, die belegen, wie wichtig Bewegung und Sport im Alter sind. Wer sich schon in der Jugend regelmässig bewegt hat, der profitiert auch im Alter noch davon. Der Kopf speichert die Bewegungsmuster und erinnert sich auch nach langen Pausen wieder an sie. Ich sehe in meiner täglichen Arbeit immer wieder, dass Patienten, die es gewohnt waren, Sport zu treiben, viel schneller wieder auf den Beinen sind.»

10 Prozent aller Fitness-Unfälle ereignen sich laut der Suva im Januar, wenn die Vorsätze, endlich wieder in Form zu kommen, die Menschen in die Fitnessstudios treiben. Oft sind es banale Überlastungen, die die Menschen auf dem Behandlungstisch des Physiotherapeuten landen lassen. Denn viele lassen ihrem Körper zu wenig Zeit, sich an die neue sportliche Herausforderung anzupassen.

Oft muss Kollaritsch diesen Patienten dann raten, eine Pause einzulegen und dem Körper einen Neustart zu gewähren – er nennt das «einen Reset machen». Das fällt insbesondere jenen Menschen schwer, für die viel Bewegung zum Alltag zählte. Die plötzliche Untätigkeit lässt sie mürrisch und schlecht gelaunt zurück, nicht selten werden sie für ihr Umfeld zur psychischen Belastung.

Kraft- und Koordinationsübungen sind zentral

Was kann man tun, damit es gar nicht erst so weit kommt, dass man sich nicht mehr bewegen kann oder darf? Spezialisten sagen, dass man vor allem Koordinations- und Kraftübungen eine grosse Bedeutung zumessen sollte, wenn man ohne Beschwerden aktiv bleiben wolle. Gerade bei ambitionierten Ausdauersportlern stösst Kollaritsch mit dieser Empfehlung allerdings oft auf taube Ohren. Muskeln sind schwer, wer regelmässig Kraft trainiert, nimmt zumindest anfänglich tendenziell etwas zu. Gerade das aber versuchen Läufer und Radfahrer tunlichst zu vermeiden.

Kollaritsch sagt, insbesondere ambitionierte Läufer würden immer wieder in seiner Praxis landen. Sie kommen mit den klassischen Überlastungssymptomen wie Knieentzündungen, Problemen mit der Patellasehne oder Entzündungen in der Hüfte und dem Rücken. Beachtet man diese Zeichen des Körpers nicht, können degenerative Veränderungen im Bewegungsapparat die Folge sein. Im schlimmsten Fall führt das früher oder später zu einer Arthrose.

Kollaritsch sagt: «All diese Verletzungen liessen sich mit einem dosierten Krafttraining und etwas Geduld problemlos verhindern und zumindest teilweise auch wieder rückgängig machen. Der Knorpel braucht eine gewisse Dosis von Kompression und Entlastung. Kürzlich hat uns ein Patient ein Bild geschickt, das ihn beim Zieleinlauf des Jungfrau-Marathons zeigte. Es hat mir die Tränen in die Augen getrieben.»

Sportliche Betätigung ist auch ein Geduldspiel. Schnelle Erfolge resultieren in den wenigsten Fällen. Entsprechend tief sollte man sich die eigenen Ziele setzen, will man nicht frühzeitig Enttäuschungen erleben. Bänder, Sehnen, Muskeln und Knochen benötigen ungleich länger als das Herz-Kreislauf-System, um sich an die ungewohnte Belastung anzupassen.

Doch Studien der ETH Zürich haben gezeigt, dass durch regelmässige Bewegung nicht nur die Muskulatur, sondern auch der Bewegungsapparat stärker und widerstandsfähiger wird. Also weg mit der Churchill zugeschriebenen Wendung «no sports» und ran an die Geräte. Früher oder später stellt sich der Erfolg ein – man muss nur geduldig bleiben.

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