Die Co-Gründer des Vermögensverwalters Flossbach von Storch rechnen im Interview mit weiter steigenden Staatsschulden, höherer Inflation und neuen Rettungsaktionen der Zentralbanken. Sie raten zu Aktien und Sachwerten. Den Franken sehen sie als «neue D-Mark».

Die grossen amerikanischen Technologiewerte haben die Börsen in letzter Zeit stark getrieben. Die Aktien von Apple und Amazon haben jüngst Höchststände erreicht, der Technologieindex Nasdaq 100 auch. Wie lange kann das aus Ihrer Sicht so weitergehen?

Bert Flossbach: Die Technologieaktien laufen so lange gut, wie sich die entsprechenden Firmen gut entwickeln. Sollten Amazon, Alphabet, Microsoft und Co. weiter prosperieren, braucht man sich keine Sorgen zu machen, dass der Aktienmarkt kollabiert. Im US-Leitindex S&P 500 haben die sechs grössten Titel, allesamt Technologieaktien, mittlerweile ein Gewicht von 31 Prozent. Das hat es noch nie gegeben.

Ist diese starke Konzentration nicht auch ein Alarmsignal?

Flossbach: Im Internetboom zur Jahrtausendwende hatten die grössten sechs Werte im S&P 500 ebenfalls ein starkes Gewicht, es waren damals bis zu 19 Prozent. Heute sind die Gewinne der Technologiefirmen aber viel höher als damals. Man kann nicht von einer Blase sprechen, wohl aber von grossem Optimismus. Damit ist die Luft nach oben dünner geworden. Wenn man alle 500 Aktien im S&P 500 gleichwertig gewichtet und die Technologiewerte ausklammert, liegt die durchschnittliche Performance der Titel im zweiten Quartal dieses Jahres bei –2,5 Prozent. Der S&P 500 inklusive der Technologietitel liegt im selben Zeitraum aber mit 4,5 Prozent im Plus.

Welches sind die grössten Risiken für die Technologieaktien?

Kurt von Storch: Ein Risiko ist, dass die Erträge der Technologiefirmen nicht so gut ausfallen wie erwartet. Die Firmen investieren zurzeit viel Geld in künstliche Intelligenz (KI), das könnte die Gewinne schmälern. Zudem stellt sich die Frage nach den kartellrechtlichen und ordnungspolitischen Grenzen. Die EU hat grosse Klagen gegen Apple und Microsoft vorbereitet. Die Technologiefirmen könnten immer stärker an wettbewerbsrechtliche Grenzen stossen, die irgendwann zu ihrer Aufspaltung führen – wie in früheren Zeiten bei Standard Oil oder AT&T.

Sind die Hoffnungen in künstliche Intelligenz gerechtfertigt, oder übertreibt die Börse?

Von Storch: Bei KI stellt sich die Frage nach den Geschäftsmodellen und wie die Investitionen in Zukunft monetarisiert werden. Wie setzt man das um in zusätzliche Dienstleistungen, in zusätzliche Umsätze und Gewinne für die Firmen? Da sind die Erwartungen natürlich sehr hoch. Viele Firmen sind derzeit gezwungen, in KI zu investieren, weil ihre Wettbewerber dies auch tun.

Flossbach: KI ist eine riesige Möglichkeit, demografische Themen zu lösen – beispielsweise über Roboter. Es wird zu einem massiven Produktivitätsanstieg kommen. KI hat aber auch Schattenseiten wie den perfekten Überwachungsstaat oder die Destabilisierung von Staaten durch die Manipulation der öffentlichen Meinung.

Bei den Aktien des im Bereich KI führenden Chipherstellers Nvidia hat es jüngst einmal einen vorübergehenden Kursrutsch gegeben. Wie interpretieren Sie diesen?

Flossbach: Nvidia ist unter den Technologiefirmen das mit Abstand am schwierigsten einzuschätzende Unternehmen. Das Überraschungs- und Enttäuschungspotenzial ist hier sehr hoch. Im Moment gibt es einen Engpass bei der Rechenleistung für KI, Nvidia liefert die nötigen Chips, und alle anderen müssen kaufen. Das macht diese Firma so speziell.

Amerikanische Technologiewerte haben ein sehr hohes Gewicht in Indizes wie dem S&P 500 oder dem Welt-Aktienindex MSCI World, es gibt also ein Klumpenrisiko. Viele Anleger sparen mit Geldanlageprodukten auf diese Indizes. Ist das sinnvoll?

Von Storch: Wer 100, 200, 500 oder auch 1000 Euro oder Franken jeden Monat in einen Fonds- oder ETF-Sparplan steckt und bei null anfängt, dem kann es egal sein, ob der Markt fällt oder steigt. Im Zweifel freut man sich sogar über fallende Börsen, weil man dann mehr Aktien für seine Sparraten bekommt und ohnehin einen langen Anlagehorizont hat. Wenn man einmalig einen höheren Betrag anlegt, ist es etwas anderes.

Wie sollte man dann vorgehen?

Flossbach: Dann sollte man zunächst die Frage beantworten, wie viel man überhaupt in Aktien investieren möchte – das hängt davon ab, wie viel Risiken man bei der Geldanlage eingehen will und kann. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung seit Beginn des Jahrtausends. Man sollte sich bewusst sein, dass die Rendite des Welt-Aktienindexes MSCI World in den ersten 13 Jahren praktisch null war. Dabei haben natürlich die Verluste während der Finanzkrise 2008 eine Rolle gespielt. In den Jahren seit 2013 hat der MSCI World dann eine Rendite von jährlich 12,1 Prozent erzielt. In dieser Phase erhöhten die Unternehmen ihre Gewinne, aber auch ihre Bewertungen stiegen stark. Das soll nicht heissen, dass der Aktienmarkt nun völlig überbewertet ist – aber in dieser Form dürfte sich der Bewertungsanstieg nicht fortsetzen.

Trotzdem kommt man aber nicht an Aktien vorbei, wenn man langfristig Vermögen aufbauen will, oder?

Flossbach: Auf keinen Fall – auch wenn der MSCI-World-Index die starke Entwicklung in der letzten Dekade in den nächsten Jahren nicht wiederholen wird, bleibt ein globales Aktienportfolio der Kern jeder Anlagestrategie. Die Gewichtung der zehn grössten Technologietitel im MSCI World liegt jetzt bei 24 Prozent. Das ist viel, aber es heisst auch nicht, dass man deswegen als Anleger nicht diversifiziert ist. Zu Zeiten des New-Economy-Booms hatten Aktien aus den Bereichen Technologie, Medien und Telekom zusammengenommen einen Anteil von 50 Prozent am MSCI World.

Von Storch: Man muss bei dem Index auf die Packungsbeilage achten. Man sollte wissen, dass der amerikanische Aktienmarkt ein Gewicht von 70 Prozent im MSCI World hat. Es ist aber auch eine Frage der Alternativen: Sollte man besser ein Finanzprodukt auf den deutschen Aktienindex DAX kaufen? Ich finde nicht. Die deutsche Industrie muss sich dem Thema KI ja auch stellen. Wenn man das Thema in den Fertigungsprozessen umsetzt, muss man erst einmal sehen, ob das klappt.

Sollten Anleger auf Schweizer und europäische Aktien setzen, um das hohe Gewicht der USA in Welt-Aktienindizes wie dem MSCI World auszugleichen?

Flossbach: Ich würde weniger auf Länder oder Regionen schauen als vielmehr auf die jeweiligen Unternehmen. Der Pharmakonzern Roche beispielsweise ist an der Börse sehr niedrig bewertet. Roche ist ein gutes Unternehmen, bewegt sich aber in einem schwierigen Umfeld und ist in den vergangenen Jahren kaum gewachsen. Das gilt auch für Nestlé. Die Nahrungsmittelbranche ist kein einfacher Sektor, und wir müssen sehen, was das Management jetzt zustande bringt. KI mischt die Karten neu. Davon dürften US-Unternehmen zunächst am meisten profitieren.

Sie fühlen sich also wohl mit einem starken Engagement in amerikanischen Aktien, obwohl die US-Technologietitel so stark gelaufen sind?

Von Storch: Die USA haben viele Probleme, aber nicht diese Fragilität der Euro-Zone. Ausserdem ist die Mentalität der Menschen dort viel unternehmerischer und innovativer als in Europa. Hinzu kommt, dass die USA weltweit die KI-, Technologie- und Internetökonomie dominieren. Deshalb glaube ich, dass der MSCI World für den Euro-basierten Investor langfristig keine schlechte Investition ist – zumal beim Euro möglicherweise eine erneute Abwertungsrunde bevorsteht.

Welche Rolle spielen die vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich und die Landtagswahlen in Deutschland?

Flossbach: Sollte die Partei Rassemblement national in der zweiten Runde am 7. Juli eine Mehrheit gewinnen, muss man sehen, was von ihren Programmpunkten umgesetzt werden kann und wird. Die Parteiprogramme des RN und der Neuen Volksfront sind sehr populistisch. Egal ob links oder rechts, Populismus bedeutet immer weniger Fiskaldisziplin, also höhere Ausgaben. Die Landtagswahlen in den deutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September könnten noch viel krassere Ergebnisse bringen. Deutschland ist durch seine moderate Verschuldung und seine vermeintlich eiserne Haushaltsdisziplin das Bonitätsrückgrat der Euro-Zone. Wenn das nicht so wäre, stünde der Euro zwei Stockwerke tiefer.

Von Storch: Wenn ein Anleger heute überlegt, deutsche Bundesanleihen zu kaufen, könnte er genauso gut französische oder italienische Staatsanleihen kaufen. Das ist doch alles eins – wie ein Kaffee, in den man Milch hineinschüttet. Aus der Euro-Zone geht kein Land mehr raus, und es gibt auch eine gemeinschaftliche Haftung, die in den Maastricht-Verträgen nicht vorgesehen war. Das liegt daran, dass die Banken miteinander so stark verflochten sind. Wenn Frankreich aus dem Euro ausschiede, würden wir einen Finanz-Crash erleben, der alles toppen würde, was wir bisher gesehen haben. Das wird nicht passieren. Wir haben eine immer gleiche Therapie, mit der alle Probleme in der Euro-Zone bisher bewältigt wurden: «Whatever it takes», das heisst: «Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld.»

«Whatever it takes» – das Motto, das Mario Draghi, der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank, 2012 zur Rettung des Euro ausgegeben hat, gilt also immer noch?

Flossbach: Ja, natürlich. Aber das geht natürlich auf Kosten der Substanz. Schliesslich steigt in der Folge auch die Verschuldung, und die EZB muss dann im Prinzip ihre Inflationspolitik über den Haufen werfen. Wenn eine Euro-Krise droht, dann wird gelöscht. Und darüber muss man sich im Klaren sein: Das ist ein Problem, das die USA in dieser Form nicht haben, trotz der hohen Verschuldung. Und das spricht dafür, dass der Euro auf einer langsamen, wenn auch nicht dramatischen Abwertungsfahrt ist. Der Euro-Zug hat die D-Mark-Gleise verlassen und ist Richtung Südwesten abgebogen.

Von Storch: Der Franken ist sozusagen die neue D-Mark. Allerdings kann sich die Schweiz nicht einfach heraushalten, wenn in der Euro-Zone eine grosse Krise ausbricht. Eine solche würde durch den Bankensektor in die Schweiz hineingetragen. Noch ein Hinweis zu Deutschland: Dort wird ja darüber diskutiert, die Schuldenbremse aufzugeben. Geschähe dies, droht ein Dammbruch, was den Euro weiter schwächen würde.

Sie haben in der Vergangenheit eine Ära der Inflation angekündigt. Diese ist aber in letzter Zeit gesunken . . .

Flossbach: Die Arbeitshypothese war, dass die Inflation, bedingt durch einige Faktoren – Kosten durch CO2-Einsparungen, höhere Lohnkosten und so weiter –, in der Euro-Zone eher höher bleiben dürfte, also bei 3 statt 2 Prozent. KI könnte langfristig den inflationären Druck senken, sorgt aber kurzfristig für das Gegenteil, weil hier grosse Investitionen und ein immenser Energieaufwand nötig sind.

Rechnen Sie damit, dass die Zinsen weiterhin höher bleiben werden?

Von Storch: Die Zentralbanken werden die Leitzinsen so hoch lassen, wie es geht, um ihre Bereitschaft zur Inflationsbekämpfung zu untermauern. Solange das Inflationsziel nicht erreicht ist, wird der Leitzins der EZB über der Marke von 3 Prozent bleiben.

Aber in den USA sind die Zinsen noch deutlich höher . . .

Flossbach: Die Amerikaner können sich das leisten. Da hält man die Zinsen erst einmal so lange hoch, bis man Entwarnung auf der Inflationsseite bekommt. Auch da gilt aber die Finanzmarktstabilität als Ultima Ratio. Wenn es richtig brennt, hat die Inflationsbekämpfung nicht mehr oberste Priorität. Dann wird gelöscht, und es wird nicht darüber nachgedacht, ob das Wasser Schäden verursacht. Bei der Krise der US-Regionalbanken und dem Kollaps der Silicon Valley Bank hat man das gesehen: Wenn es kracht und wenn eine Ansteckung droht, kommt sofort die Notenbank zu Hilfe.

Was heisst das für Sparer und Anleger?

Flossbach: Sie sollten ihr Geld gut diversifiziert und in Sachwerten anlegen. Mit einem Geldanlageprodukt auf den MSCI World hat man ja offiziell 1500 Werte im Portfolio. Letztlich sind die meisten davon aber so schwach in dem Index gewichtet, dass sie keinen Ausschlag geben. Die grössten 100 Titel machen gut die Hälfte des Indexes aus, und das ist ja bereits eine gewisse Diversifikation. Wichtig ist, dass die Unternehmen ihre Preise mindestens mit dem Tempo der Inflation anheben können. Letztlich läuft es für Privatanleger auf liquide Sachwerte wie Aktien und Gold hinaus.

Warum empfehlen Sie Gold?

Flossbach: Die Welt ist unsicher, und die Krisenwährung Gold eignet sich dazu, das Vermögen zu sichern. Schauen Sie mal, wie die Notenbanken ihr Geld anlegen. Die setzen immer stärker auf Gold. Der Goldpreis ist in diesem Jahr sogar stark gestiegen, obwohl die Zinsen nicht wie erwartet gefallen sind. Das ist bemerkenswert.

Von Storch: Der Inflationsschutz von Gold ist seit 5000 Jahren erprobt. Aus Währungssicht bietet Gold auch eine gute Möglichkeit, aus dem Euro heraus zu diversifizieren.

Empfehlen Sie, in Immobilien zu investieren? Das sind ja auch Sachwerte.

Flossbach: Bei Immobilien gibt es ein ganz grosses Missverständnis. Es gibt einzelne Liegenschaften, die aufgrund ihrer Lage und ihrer Beschaffenheit geeignet sind, einen Schutz vor Inflation zu bieten. Und dann gibt es wiederum andere, die das nicht können. Bei Büroimmobilien gibt es beispielsweise eine Knappheit bei neuen, umweltgerechten Büroimmobilien an guter Lage. Bei Immobilien, die vor 25, 30 Jahren gebaut wurden und die sich an einer mässigen Lage befinden, ist das hingegen nicht der Fall. Zudem ist zu beachten, dass die Mehrheit der Menschen gar nicht das entsprechende Geld hat, um breit diversifiziert in Immobilien zu investieren. Immobilienfonds kann man auch mit weniger Geld kaufen. Hier muss man aber gut aufpassen, wie die Probleme der offenen Immobilienfonds in Deutschland zeigen.

Was halten Sie von Kryptowährungen?

Flossbach: Der Bitcoin hat einen Algorithmus, der die Stabilität, die Schöpfung, das Schürfen von Bitcoins begrenzt. Insofern gibt es hier eine gewisse Knappheit. Bei Kryptowährungen gibt es einen Glaubenskrieg. Es gibt die Gläubigen, die wie Missionare durch die Gegend laufen. Die haben meistens aber eine eigene Agenda – sie publizieren einen Börsenbrief oder so etwas. Oder Sie haben die Nihilisten, die sagen, Kryptowährungen seien Lug und Trug. Andere Beobachter wiederum sind agnostisch. Die Anzahl derer, die in Bitcoin investieren, ist so gross, dass es sich hierbei nicht um eine temporäre Erscheinung handeln dürfte. Da es keine Möglichkeit gibt, den inneren Wert des Bitcoins auch nur ansatzweise zu bestimmen, zählen wir uns zu den Agnostikern.

Ein grosser bankunabhängiger Vermögensverwalter

Bert Flossbach und Kurt von Storch haben den Vermögensverwalter Flossbach von Storch 1998 in Köln gegründet. Heute hat das Unternehmen 350 Mitarbeiter und verwaltet Kundenvermögen von mehr als 70 Milliarden Euro. Damit ist es einer der grössten bankunabhängigen Vermögensverwalter in Deutschland. In der Schweiz ist die unter der gemeinsamen Marke firmierende Flossbach von Storch AG seit dem Jahr 2006 in Zürich präsent.

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