Donnerstag, Oktober 10

Das Schweizer Handball-Juwel will den HC Erlangen verlassen und lieber in Eisenach mit seinem Förderer weiterarbeiten. Doch die Causa hängt in den Mühlen der Justiz.

Wann ist ein Vertrag gültig und für wie lange? Diese Frage beschäftigt die Handball-Szene in Deutschland. Beantworten muss sie das Gericht. Verantwortlich für die Frage ist Manuel Zehnder, 24 Jahre alt. Er ist eines der vielversprechendsten Talente im europäischen Handball und im Schweizer Nationalteam der Nachfolger von Andy Schmid als Regisseur; die beiden sind ähnliche Spielertypen – feingliedrig, schnell, kreativ und gewitzt. Doch nun droht Zehnder die halbe Saison zu verpassen, wegen einer Unterschrift.

Der Sprung in die Bundesliga, die beste Liga der Welt, ist für junge Schweizer Handballer gross. Das Tempo ist viel höher als in der Nationalliga A, die Spieler sind athletischer, es gibt nur Profis und viel grössere Arenen, eine andere Welt. Viele brauchen Anlaufzeit. Das war einst beim heutigen Schweizer Nationaltrainer Schmid der Fall und ist auch bei Zehnder so.

Zehnder wechselt im Sommer 2022 von Suhr-Aarau zu Erlangen, einem Klub aus der Nähe von Nürnberg. Der gehört in der Bundesliga nicht zu den besten Adressen, ist aber ideal für die Entwicklung eines jungen Spielers. Zehnder tut sich dennoch schwer und erhält zunächst wenig Einsatzzeit. Erlangen leiht ihn für die vergangene Saison deshalb an den Aufsteiger ThSV Eisenach aus, aus der fränkischen in die thüringische Provinz. Bei Bekanntgabe der Leihe verlängert Erlangen den Vertrag bis 2026, der Klub glaubt an Zehnders Potenzial.

In Eisenach trifft Zehnder auf seinen früheren Förderer

In Eisenach trifft Zehnder auf den Schweizer Coach Misha Kaufmann. Kaufmann hat den Spieler schon bei Suhr-Aarau gefördert, dessen Trainer er bis 2021 war. Als Spieler war Kaufmann in den obersten zwei Schweizer Ligen ein Spielmacher mit ausgeprägtem Tordrang – ähnlich wie Zehnder, die beiden verstehen sich. Heute gilt Kaufmann als kreativster Trainer der Bundesliga.

Die Zusammenarbeit der Copains ist sogleich erfolgreich. Zehnder reift bei Eisenach zum Leader, wirft schon im ersten Spiel 13 Treffer. In der vergangenen Bundesligasaison erzielt er 277 Tore, so viele wie seit 15 Jahren niemand mehr in einer Spielzeit. Aus dem Ergänzungsspieler wird bei Eisenach der erste Schweizer Torschützenkönig der Bundesliga.

Zehnder überflügelt letzte Saison auch Granden wie den dänischen Welthandballer Mathias Gidsel. Deutsche Medien nennen ihn «Torwunder». Eisenach schafft dank Zehnders Toren den Ligaerhalt. In Erlangen ist die Klubführung erfreut über die Entwicklung und plant, in den nächsten Jahren um Zehnder herum eine Mannschaft aufzubauen. Der verfolgt andere Pläne.

Ende Mai kündigt Zehnder das Vertragsverhältnis schriftlich und bittet den HC Erlangen, die Kündigung zu bestätigen. Seine Berater teilen dem Klub mit, Zehnder wolle eine neue Herausforderung annehmen. Diese dürfte so aussehen: Er spielt noch eine Saison unter Kaufmann bei Eisenach und wechselt dann zum Spitzenklub Rhein-Neckar Löwen. Andy Schmids langjähriger Arbeitgeber sucht per Sommer 2025 einen Spielmacher als Ersatz für Juri Knorr. Der deutsche Nationalspieler und Olympia-Silbermedaillengewinner hat angekündigt, die Löwen zu verlassen.

Zehnders Anwälte stützen sich auf ein Detail

Erlangen weist Zehnders Kündigung per E-Mail zurück. Der Klub verweist auf den Vertrag bis 2026. Man erwarte ihn Mitte Juli zum Trainingsstart. Dort wird Zehnder nicht auftauchen. Er und seine Anwälte sind der Meinung, dass der Vertrag gekündigt werden könne. Diese Haltung hängt mit Zehnders Unterschrift zusammen.

Zehnder bekommt die Verträge des HC Erlangen per Whatsapp von seinem Berater. Er unterschreibt mit einer speziellen App elektronisch. Dass Spielerverträge so abgeschlossen werden, ist üblich. Doch Zehnders Anwälte haben eine arbeitsrechtliche Feinheit gefunden, mit der sie nun die Wirksamkeit der Kündigung nachweisen wollen.

Gemäss deutschem Arbeitsrecht ist für die Gültigkeit befristeter Verträge ein von Hand unterschriebenes Original notwendig. Andernfalls gilt das Arbeitsverhältnis als unbefristet – und kann mit einer Kündigungsfrist von einem Monat aufgelöst werden.

Zehnder fehlt eigentlich die Zeit für Rechtsstreitigkeiten

Die beiden Parteien finden im Juni keinen gemeinsamen Nenner. Zehnders Anwälte wenden sich deshalb an die Liga und bitten sie darum, die Kündigung zu bestätigen und eine Spielberechtigung für einen neuen Klub auszustellen. Die Bundesliga teilt mit, sie sei nicht zuständig, und verweist auf den Rechtsweg. Ausserdem teilt der Sportjurist der Liga mit, Zehnder erhalte so lange keine Spielberechtigung für einen neuen Verein, bis die Causa geklärt sei.

Zehnder zieht Mitte Juni vor Gericht und will eine einstweilige Verfügung erwirken, wonach die Kündigung rechtskräftig und ein Transfer möglich würde. Die Richterin des Arbeitsgerichts in Nürnberg räumt den Parteien zunächst eine Frist von acht Tagen ein, um die Sache aussergerichtlich zu klären. Das scheitert. Später weist das Gericht Zehnders Antrag ab. Es sieht die Kriterien für ein Eilverfahren nicht gegeben, sondern ordnet ein sogenanntes Hauptsacheverfahren an, in dem ein Fall vertiefter geprüft wird. Die Liga lässt ausserdem durchblicken, dass sie auch nach einem Entscheid im Eilverfahren keine Spielberechtigung für einen neuen Verein ausstellen würde.

Ende Juni legen Zehnders Anwälte Berufung bei der nächsthöheren Instanz, dem Landesarbeitsgericht Nürnberg, ein. Auch dieses lehnt ein Eilverfahren ab. Zehnder hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt er im HC Erlangen, der bereits einen Ersatz auf seiner Position verpflichtet hat. Oder er strengt das Hauptsacheverfahren an. Dieses würde den Fall endgültig klären, ein Gerichtssprecher deutet in deutschen Medien an, dass Zehnder gute Chancen auf einen Sieg hätte.

Das Problem ist, dass solche Verfahren bis zu einem halben Jahr dauern. Zehnder fehlt dafür die Zeit. Er trainiert momentan mit Eisenach unter dem Trainer Kaufmann. Schon am 6. September beginnt die Bundesliga-Saison, im Januar stünde für ihn die erste WM-Teilnahme an.

In der Bundesliga treffen Erlangen und Eisenach bereits am zweiten Spieltag aufeinander. Für welches Team und ob Zehnder dann überhaupt mittun wird, ist ungewiss.

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