Samstag, Oktober 12

Der renommierte Hirnforscher Eliezer Masliah soll über Jahrzehnte hinweg in mehr als 130 Publikationen gefälscht haben. Er ist nicht die erste Koryphäe unter Verdacht. Hat sich die Demenzforschung verrannt?

Dreihundert Seiten lang ist der Bericht des Wissenschaftsmagazins «Science», der den renommierten Hirnforscher Eliezer Masliah verdammt. Eine Forschungspublikation nach der anderen handelt er ab, über 130 Stück, von 1997 bis heute. In all diesen Veröffentlichungen gibt es Unregelmässigkeiten, die allesamt eine Schlussfolgerung nahelegen: Masliah hat Daten gefälscht. Wieder und wieder.

Auf diesen Arbeiten begründet sich Masliahs glänzende Karriere. Zuletzt war er Direktor der Abteilung für Neurowissenschaften am National Institute on Aging, das zur amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH gehört. Er war ein höchst angesehener Wissenschafter, verwaltete 2,6 Milliarden Dollar Forschungsgelder im Jahr, stellte auf unzähligen Konferenzen seine Forschungsergebnisse vor. Auf seinen Veröffentlichungen bauten viele andere Wissenschafter ihre Arbeiten auf. Seine vermeintlichen Erkenntnisse prägten, wie Forscher über Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson nachdenken. Auf ihrer Grundlage wurden Medikamente entwickelt und an Patienten getestet.

Was bedeutet es für die Wissenschaft und Betroffene, wenn sich wichtige Grundlagen der Alzheimerforschung als gefälscht herausstellen sollten?

Ergebnisse in Photoshop passend gemacht

Die mutmasslichen Fälschungen von Masliah sind simpel gemacht. Ihm wird vorgeworfen, Abbildungen manipuliert oder mehrfach verwendet zu haben. Konkret heisst das: Zwei verschiedene Bilder, die angeblich die Ergebnisse unterschiedlicher Versuche zeigen, sind in Wirklichkeit bis ins Detail identisch. Mal handelt es sich dabei um Mikroskopieaufnahmen von Mäusehirnen. Mal um sogenannte Western Blots, mit denen sich bestimmte Eiweisse nachweisen lassen.

Ob es sich bei diesen Manipulationen um absichtliche Fälschung handelt, ist noch nicht bewiesen. Für Experten, die den Bericht über Masliah gelesen haben, scheint der Fall aber klar. Einer von ihnen ist Christian Haass, Professor am deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in München. «Die schiere Masse der Auffälligkeiten hat mich umgehauen», sagt er. «Das spricht schon für deutliche Betrugsabsichten.» Das NIH hat in einem offiziellen Statement bekanntgegeben, Masliah in zwei Publikationen wissenschaftliches Fehlverhalten nachgewiesen zu haben. Er sei derzeit nicht mehr als Direktor tätig.

Fälschungen haben weitreichende Folgen

Für manchen Forscher bricht damit eine Welt zusammen. Christian Behl ist Direktor des Instituts für Pathobiochemie an der Universitätsmedizin Mainz und forscht seit über dreissig Jahren zu Alzheimer. «Ich kenne Masliahs Arbeit seit den neunziger Jahren und hatte nie einen Anflug von Zweifel an seiner Seriosität», sagt er. Doch die Fakten seien schwer von der Hand zu weisen. «Das ist ein sehr grosser Vertrauensverlust. Und man fragt sich: ‹Was kann man überhaupt noch glauben?›»

Schliesslich habe Masliah einen grossen Einfluss auf das Forschungsfeld gehabt, nicht erst, seit er für die amerikanische Gesundheitsbehörde die Budgets der Alzheimerforschung verwalte. «Er hat fundamentale Arbeiten gemacht», sagt Behl. Deren grosser Einfluss auf das gesamte Forschungsfeld spiegelt sich auch in der enormen Zahl von Zitierungen in Publikationen anderer Wissenschafter wider.

Besonders gravierend: Auf Masliahs Arbeit basieren potenzielle Medikamente. Zum Beispiel ein Antikörper mit dem Namen Prasinezumab, der zur Behandlung von Parkinson in klinischen Studien getestet wird. Die ersten Ergebnisse sind vernichtend. Prasinezumab zeigte in einer Studie keine Wirksamkeit – hatte aber erhebliche Nebenwirkungen.

«Man müsste jetzt eigentlich in allen Arbeiten von Masliah nachkontrollieren, ob die Ergebnisse stimmen. Aber das ist eine riesige Aufgabe, die eine offizielle Untersuchungskommission übernehmen muss», sagt Christian Haass. Doch breche mit den Zweifeln an Masliahs Arbeit nicht gleich das gesamte Forschungsfeld zusammen. Denn die entscheidenden Experimente würden immer von anderen Forschungsgruppen wiederholt. Nur wenn diese zum gleichen Ergebnis kämen, baue man weiter darauf auf.

Die Liste der Fälscher ist lang

Der Fall Masliah erschüttert das Vertrauen in die Forschung an neurodegenerativen Erkrankungen auch deshalb so sehr, weil er der Höhepunkt einer langen Reihe von Fälschungsfällen ist.

Dazu gehören Hirnforscher wie Marc Tessier-Lavigne, der 2023 nach Manipulationsvorwürfen als Präsident der Eliteuniversität Stanford zurücktrat. Oder Berislav Zlokovic, ein prominenter Alzheimerforscher der University of Southern California: Er soll nicht nur selbst Bilder und andere Daten manipuliert haben, sondern auch Mitarbeiter seiner Arbeitsgruppe dazu angehalten haben. Betroffen ist auch Domenico Praticò von der Temple University in Philadelphia. Seit 2022 wurden neun Forschungsarbeiten des Neuropathologen zurückgezogen, zumeist aufgrund manipulierter Bilder.

Besonders prominent war der Fall von Sylvain Lesné von der University of Minnesota. Im Juli 2022 zeigte eine Recherche im Journal «Science», dass Abbildungen in einer einflussreichen Studie in «Nature» aus dem Jahr 2006 sowie in zahlreichen weiteren Arbeiten Lesnés bearbeitet worden waren. Im Juni 2024 zog «Nature» die Arbeit offiziell zurück, aufgrund von «Anzeichen exzessiver Manipulation» in mehreren Bildern.

Die blosse Zahl dieser Fälle innerhalb weniger Jahre legt die Frage nahe: Ist da etwas Grundlegendes faul in der Forschung zu Alzheimer und Parkinson?

Ein Forschungsgebiet steckt fest

«Ich glaube nicht, dass in der Alzheimerforschung häufiger betrogen wird als in anderen Disziplinen», sagt Ulrich Dirnagl, Leiter des Quest Center for Responsible Research am Berliner Institut für Gesundheitsforschung in der Charité. Allerdings stehe das Gebiet zur Zeit unter besonderer Beobachtung – und wo man mehr schaue, finde man eben auch mehr.

Zudem sind die Anreize hier besonders gross: Allein die USA pumpen dieses Jahr knapp vier Milliarden Dollar öffentliche Gelder in die Demenzforschung. Es gibt also viel Geld und Ruhm zu holen, da steigt die Versuchung zu betrügen.

Das viele Forschungsgeld habe bei manchen Kollegen offenbar zu Arroganz und einem Gefühl der Unfehlbarkeit geführt, meint Karl Herrup, Alzheimerforscher von der University of Pittsburgh: «Wenn experimentelle Daten den Vorhersagen der Forscher widersprechen – na, dann müssen eben die Daten falsch sein! Mit dieser Sicht erscheint es einem natürlich nur folgerichtig, sie mithilfe von Photoshop zu ‹korrigieren›.»

Ohnehin sieht Herrup die Alzheimerforschung in einer Sackgasse. Denn zu lange habe die sogenannte Amyloid-Hypothese das Feld dominiert. Sie besagt, dass Ablagerungen eines Eiweisses namens Beta-Amyloid im Gehirn der entscheidende Auslöser der Alzheimerkrankheit sind. In den vergangenen dreissig Jahren drehte sich praktisch die gesamte Alzheimerforschung um diese Amyloid-Plaques. Auch die Arbeiten von Lesné und Masliah stützten diese vorherrschende These. Doch bis heute fehlt der letzte Beweis, dass Amyloid-Plaques an den Nervenzellen wirklich die Ursache und nicht nur eine Folge der eigentlichen Alzheimer-Erkrankung sind.

Seit einigen Jahren melden sich zunehmend Kritiker wie Herrup zu Wort, die den Grund für fehlende Fortschritte in der Alzheimer-Therapie in einer zu einseitigen Fixierung der Forschung auf die Amyloid-Hypothese sehen.

In den USA wurden in den vergangenen Jahren drei Medikamente zur Behandlung von Alzheimer zugelassen. Sie wirken, indem sie die Amyloid-Plaques im Gehirn abbauen. Doch den kognitiven Niedergang können sie bisher nur geringfügig verlangsamen.

Die Deutung dieses Befundes fällt jedoch unterschiedlich aus: Dass die neuen Mittel überhaupt wirken, sehen Befürworter der These als Beweis für die Relevanz von Amyloid. Für Kritiker dagegen ist die in der Praxis kaum bedeutsame Wirksamkeit ein Beleg für das Gegenteil.

Keine Frage, die Wissenschaft um Alzheimer hat ein Problem: Trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung kann sie bis heute keinen echten Durchbruch bieten. Und nun gibt es auch noch eine veritable Krise des Vertrauens in ihre Grundlagen. Wie die zerstrittenen Forscher damit umgehen, wird Folgen für Millionen von Patienten haben.

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