Donnerstag, Oktober 10

Die Unterhausfraktion der britischen Tories schickt überraschend Kemi Badenoch und Robert Jenrick ins Finale um den Parteivorsitz.

Drei Monate nach der krachenden Niederlage bei der Unterhauswahl hat sich die Stimmung unter den britischen Konservativen etwas aufgehellt. Der Fehlstart von Labour-Premierminister Keir Starmer, der sich mit Affären um teure Geschenke herumschlägt und jüngst seine Stabschefin entlassen musste, sorgt für Schadenfreude und Lichtblicke in den Umfragen. Dies vermag aber nicht über die riesige Herausforderung hinwegzutäuschen, vor der die Partei steht. Die Konservativen müssen das Vertrauen der zu Labour und zu den Liberaldemokraten übergelaufenen Wähler zurückgewinnen. Und sie müssen die rechte Reform-Partei von Nigel Farage in Schach halten, die einen Wähleranteil von über 14 Prozent errang und den Tories in vielen Wahlkreisen entscheidende Stimmen abgrub.

Austritt aus der Menschenrechtskonvention?

Auf der Suche nach der richtigen Strategie hat die bei der Wahl vom 4. Juli von 365 auf 121 Abgeordnete geschrumpfte Tory-Unterhausfraktion am Mittwoch einen wichtigen Vorentscheid gefällt: Im Rennen um die Nachfolge von Rishi Sunak als Parteichef schickt die Fraktion mit Kemi Badenoch und Robert Jenrick gleich zwei Bewerber ins Finale, die dem rechten Parteiflügel zuzuordnen sind. Nun sind die rund 170 000 Parteimitglieder aufgerufen, in einer bis Ende Oktober laufenden Urabstimmung zwischen Badenoch und Jenrick zu entscheiden.

Nachdem die Fraktion am Dienstag bereits den Aussenpolitiker Tom Tugendhat eliminiert hatte, musste am Mittwoch James Cleverly über die Klinge springen. Beide Ausgeschiedenen zählen zum zentristischen Flügel der Partei. Badenoch kam auf 42 Stimmen, Jenrick auf 41 und Cleverly auf 37. Das knappe Resultat kam insofern überraschend, als Cleverly den Wahlgang am Vortag noch klar gewonnen hatte und daher als Favorit galt. Der ehemalige Aussen- und Innenminister hatte sich am Parteitag in Birmingham als sympathischer Macher präsentiert und argumentiert, die Partei brauche jetzt keine ideologischen Experimente.

Manche Beobachter interpretierten das Resultat vom Mittwoch als Folge fehlgeschlagener taktischer Abstimmungsmanöver des zentristischen Lagers. Fakt ist nun aber, dass sich die Fraktion für einen Rechtskurs entschieden hat. Allerdings setzen Badenoch und Jenrick innerhalb des rechten Flügels spürbar andere Akzente.

Der 42-jährige Jenrick präsentiert sich als migrationspolitischer Hardliner. Zum einen fordert er eine Obergrenze für die legale Zuwanderung. Die rekordhohe Nettomigration von zuletzt bis zu 700 000 Personen pro Jahr will er auf jährlich wenige zehntausend reduzieren. Zum anderen steht Jenrick für eine härtere Gangart bei der Bekämpfung der irregulären Migration über den Ärmelkanal. Er argumentiert, dass sich abgewiesene Asylsuchende nur aus dem Land schaffen liessen, wenn Grossbritannien aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austrete. «Die Wahl ist: bleiben oder austreten?», sagt Jenrick in einem Video in Anspielung auf die Brexit-Debatte. «Ich bin für Austreten.»

Die Migration war das wichtigste Wahlkampfthema der Reform-Partei gewesen. Entsprechend verspricht Jenrick, er werde die Wähler aus den Fängen Farages zurück zu den Tories holen. Allerdings hatte Jenrick 2016 noch den Brexit bekämpft und bis zu seinem Rücktritt aus Sunaks Regierung Anfang Jahr als gemässigter Zentrist gegolten. Nicht alle nehmen ihm die Transformation zum Hardliner ab. Farage erklärte spitz, Jenrick versuche ihn rechts zu überholen, obwohl er in seiner Karriere bisher nie rechte Positionen eingenommen habe.

Philosophische Kurskorrektur?

Die 44-jährige Badenoch hingegen gilt seit langem als authentische Kandidatin des rechten Flügels. Anders als Jenrick machte sie in ihrem Wahlkampf aber bisher kaum konkrete politische Ansagen. Vielmehr will sie die Partei philosophisch wieder auf einen konservativen Kurs zurückführen. Badenoch ist eine versierte Kulturkämpferin, die in Debatten rund um die Rechte von Transpersonen, die Integration von Migranten oder das Vermächtnis des britischen Empires nicht vor pointierten Stellungnahmen zurückschreckt. Sie fordert von den Tories, sie müssten wieder den Mut aufbringen, im Widerspruch zum Mainstream unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Als Tochter nigerianischer Einwanderer ist Badenoch für die Linke im Kulturkampf keine einfache Zielscheibe. Mit ihrem frischen, unbekümmerten, aber manchmal auch unbedarften Auftritt zieht sie überdies viel mediale Aufmerksamkeit auf sich. Laut einer Umfrage der Online-Plattform «Conservative Home» unter Tory-Parteimitgliedern hat Badenoch im Duell mit Jenrick die Nase vorn, doch bleibt das Rennen unberechenbar.

Paul Goodman, der Herausgeber von «Conservative Home», sprach gegenüber der BBC von einem «potenziell schwierigen Resultat» für die Konservative Partei. Dass Badenoch, Jenrick und Cleverly in der Fraktion je ungefähr einen Drittel der Stimmen erhalten hätten, zeige, dass sich kein klarer Favorit herauskristallisiert habe. Ein erfolgreicher Parteichef sollte im parlamentarischen System Grossbritanniens aber nicht nur die Mitglieder überzeugen, sondern auch eine möglichst breite Mehrheit der Unterhausfraktion in Westminster hinter sich scharen können.

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