Mittwoch, Februar 5

Die FPÖ strotzt vor Selbstbewusstsein und stellt Forderungen, die die ÖVP nicht ohne Gesichtsverlust akzeptieren kann.

Die Verhandlungen um eine neue Koalition in Österreich sind diese Woche in eine entscheidende Phase getreten, und diese ist «schwierig», wie die konservative ÖVP am Dienstagabend mitteilte. Zuvor hatten Medien aufgeregt sogar über einen Abbruch spekuliert. Es waren Meldungen, die der mit der Regierungsbildung betraute FPÖ-Chef Herbert Kickl rasch dementierte. Tatsache ist aber, dass das Gesprächsklima zwischen den beiden Parteien rechts der Mitte seit Tagen angespannt ist und gegenseitiges Misstrauen herrscht. Am Dienstagabend berief die ÖVP kurzfristig eine Krisensitzung ein, entschied sich aber zunächst für eine Fortsetzung der Verhandlungen.

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Am Mittwoch spielten alle Beteiligten die Geschehnisse herunter. Auf der Zielgeraden sei es normal, dass die grössten Differenzen auftreten. Die ÖVP fühlte sich dennoch bemüssigt, nochmals an ihre drei zwingenden Forderungen für eine Regierung mit der FPÖ zu erinnern: Eine proeuropäische Ausrichtung, keine Einflussnahme durch Russland und Schutz des Rechtsstaats. Zudem verlangen die Konservativen immer wieder Verhandlungen «auf Augenhöhe».

Herbert Kickl macht der ÖVP ein vergiftetes Angebot

Zumindest atmosphärisch scheint das ein Knackpunkt zu sein. Die FPÖ hatte die Wahl Ende September gewonnen, lag mit ihren 29 Prozent aber nur 2,5 Punkte vor der ÖVP. Die Rechtspopulisten konnten allerdings starke Zugewinne verzeichnen, während die Konservativen abgestürzt waren. Kickl ging mit einer überraschend scharfen Ansage in die Verhandlungen: Es brauche bei der ÖVP ein Bewusstsein, wer die Wahl gewonnen und wer verloren habe, forderte er vor vier Wochen.

Diese «ausgestreckte Faust», wie es die Zeitung «Der Standard» formulierte, sorgte bei der machtbewussten ÖVP für Irritation. Deren designierter Parteichef Christian Stocker erklärte kürzlich vor Journalisten, die FPÖ werde sich vom rechten Rand in die Mitte bewegen müssen. Das kam wiederum bei den Freiheitlichen nicht gut an.

Am Dienstag soll Kickl der ÖVP schliesslich ein vergiftetes Angebot gemacht haben: Sie dürfe in der künftigen Regierung sieben Ministerien übernehmen, während er für seine Partei nur fünf vorsah. Allerdings beansprucht Kickl die beiden Schlüsselressorts Inneres und Finanzen. Zudem verlangt er dem Vernehmen nach, dass die Bereiche EU-Politik, Medien und Verfassung beim Kanzleramt angesiedelt bleiben, wie es derzeit der Fall ist. Ein Journalist des «Profil» beschrieb den Vorschlag als FPÖ-Alleinregierung mit konservativer Duldung. Er würde Kickl den von ihm angestrebten Umbau des Staates ermöglichen.

Längste Regierungsbildung der Geschichte

Die ÖVP kann das nicht akzeptieren, ohne ihre wegen der Kehrtwende hin zur FPÖ ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit zu verspielen. Sie verlöre nicht nur die beiden mächtigsten Ministerien, die sie traditionell bekleidet und auf die sie einen Anspruch zu haben glaubt. Es geht auch um für die Konservativen zentrale Inhalte: Weil Kickl als Regierungschef an den Gipfeln teilnehmen würde, können sie nur mit der Übernahme der EU-Agenden Einfluss nehmen auf die österreichische EU-Politik.

Dem Innenministerium ist zudem der Inlandnachrichtendienst DSN unterstellt, dessen Vorgängerbehörde Kickl in seiner Zeit als Minister mit einer illegalen Razzia faktisch zerstörte und in der eine kremlfreundliche Zelle für den russischen FSB spionierte. Die ÖVP geisselte den FPÖ-Chef aus diesem Grund im Wahlkampf als Sicherheitsrisiko. Sie riskierte auch internationale Empörung, überliesse sie seiner Partei die DSN.

Wie das Kräftemessen ausgeht, ist offen. Kickl ist kein Mann der Kompromisse und lässt die ÖVP sein Selbstbewusstsein spüren – auch vor dem Hintergrund guter Umfragewerte. Stocker muss aber auch Erfolge vorweisen können, damit die umstrittene Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht zu einer internen Rebellion führt. Die bürgerliche «Presse» erinnerte die Konservativen am Montag in einem Leitartikel daran, dass es durchaus Alternativen zu diesem Bündnis gebe, sollten die Freiheitlichen keine Zugeständnisse machen. Eine Neuwahl wäre die logische Folge, der Bundespräsident könnte allerdings auch eine Expertenregierung einsetzen.

129 Tage sind seit der Wahl im September 2024 vergangen. Damit steht fest, dass diese Regierungsbildung die längste in der Geschichte der Zweiten Republik sein wird. Der bisherige Rekord waren 129 Tage von der Wahl bis zur «Angelobung» im Jahr 1962.

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