Freitag, Dezember 27

Tunesiens Präsident Kais Saied schränkt seit der umstrittenen Wiederwahl im Oktober die Meinungsfreiheit im Land weiter ein. Nun trifft es auch Personen, die auf Tiktok Schminktipps geben.

Lady Samara ist eine der beliebtesten Influencerinnen Tunesiens. Auf Instagram folgen ihr mehr als eine Million Personen, auf Tiktok sind es mehr als 800 000. Sie teilt Hochzeitsfotos, Schminktipps, Erfahrungen mit Botox. Ziemlich belanglos, könnte man meinen. Doch Ende Oktober wurde sie verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. In ihrem letzten Post steht, sie sei im fünften Monat schwanger.

Amel Thamlaoui, wie Lady Samara mit richtigem Namen heisst, soll gegen die moralischen Werte Tunesiens verstossen haben. Sie trage eine Mitschuld an der Verrohung der Gesellschaft, sagen die Behörden. Sie stützen sich auf ein neues Social-Media-Gesetz von Ende Oktober, mit dem die Justiz laut einer Mitteilung gegen jede Person strafrechtlich vorgehen will, die «Bilder oder Videos mit Inhalten erstellt, verbreitet oder veröffentlicht, die gegen moralische Werte verstossen».

Befürworter des Gesetzes sagen, Tiktok und Instagram würden damit zu besseren Orten. Laut den Gegnern ist das neue Social-Media-Gesetz nur eine Massnahme, um jegliche Äusserung gegen Präsident Saied zu unterdrücken. Denn die sozialen Netzwerke werden in Tunesien auch genutzt, um die politische und wirtschaftliche Situation zu kritisieren. Doch Kritik lässt Präsident Kais Saied immer weniger zu.

Verrohung der Gesellschaft

Präsident Saied ist seit 2019 im Amt, seine Macht hat er seither deutlich ausgeweitet. Die Meinungsfreiheit hat er sukzessive eingeschränkt, im Wahljahr 2024 ganz besonders. Es trifft Anwälte, Journalistinnen, Aktivisten, Migranten, Nichtregierungsorganisationen. Viele wurden verhaftet und verurteilt. Andere zensieren sich selbst, um einer Verhaftung zu entgehen. Im Oktober wurde ein französischer Doktorand aus Marseille festgenommen und erst nach vier Wochen wieder freigelassen. Der Vorwurf: Verschwörung gegen die Staatssicherheit

Die tunesische Polizei hat nebst Lady Samara am selben Tag vier weitere Influencer verhaftet. Laut dem regierungskritischen Radiosender Mosaique FM wurden sie angeklagt wegen «Belästigung, absichtlicher Äusserung von Obszönitäten und Posierens in einer Art und Weise, die als unmoralisch gilt oder gegen die gesellschaftlichen Werte verstösst». Die vier wurden zu Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und 4,5 Jahren verurteilt.

Das Justizministerium sagt, Influencer würden mit ihren ungesitteten Inhalten auf Instagram und Tiktok das Verhalten junger Nutzer negativ beeinflussen. Vor allem die Tiktok-Live-Videos sind in Tunesien umstritten. Zuschauer können darin mit den Influencern interagieren und ihnen Geldbeträge überweisen. Je mehr Aufmerksamkeit, desto höher die Einnahmen. Vor allem konservative Kreise der tunesischen Gesellschaft klagen über zum Teil obszöne Inhalte.

Ahmed Benchemsi ist Direktor für Lobbyarbeit und Kommunikation in der Abteilung Nahost und Nordafrika bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Er sagt, allein in der ersten Novemberwoche seien in Tunesien mindestens elf Influencer verurteilt worden. Alle hätten eine Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr erhalten.

«Die Verhaftungen deuten darauf hin, dass sich die Regierung als Hüterin der Moral geben will», sagt Benchemsi. Die angeblichen Verstösse gegen die moralischen Werte werden mit hohen Strafen geahndet. Doch was das Justizministerium unter diesen Werte verstehe, bleibt laut Benchemsi unklar. Dies zeigt auch die Verhaftung von Lady Samara.

Stören sich die Behörden an den Hochzeitsfotos? Oder an den aufgespritzten Lippen? Oder an ihrer direkten und forschen Art zu sprechen?

Benchemsi deutet das neue Gesetz als Vorwand, um weitere unliebsame Stimmen in der Zivilbevölkerung loszuwerden. Trifft dies zu, würde es sich um eine weitere Eskalation handeln. «Mit den Verurteilungen der Influencer trifft die Repression nun auch Personen, die sich kaum politisch äussern und auch die Regierung nicht kritisieren», sagt Benchemsi.

Auf Linie der Regierung

Zwar hat Lady Samara in den vergangenen Jahren mit ihren Aussagen in sozialen Netzwerken durchaus polarisiert. In Videos äusserte sie sich kritisch zur Liberalisierung in Tunesien nach dem Arabischen Frühling 2011. Zudem machte sie abfällige Kommentare über homosexuelle Personen und Migranten. Und sie stellte die Existenz des Staates Israel in Abrede. Vor allem die Hassrede über Homosexuelle löste in Teilen der tunesischen Gesellschaft Empörung aus. Doch ihre Verhaftung lässt sich damit kaum erklären. Ihre Haltungen entsprechen jenen der amtierenden Regierung.

Viel eher ist Lady Samaras Reichweite das Problem. Influencer wie sie erreichen ein Millionenpublikum. Sie können die Meinung der Leute beeinflussen. Das macht sie für die Regierung zur Gefahr.

Nach der Verhaftung von Lady Samara und den anderen Influencern blieben grosse Proteste aus. Auch Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Zeitungen waren rar. Viele Menschen dürften gar nie von Lady Samaras Verhaftung erfahren haben. Bloss unter den Posts auf Social Media zeigten sich einige geschockt, dass die Regierung eine schwangere Frau verhaftet. Unter die Posts setzten sie gebrochene Herzen.

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