Freitag, Oktober 25

Ein rechtskräftig verurteilter Stalker ist erneut vor dem Bezirksgericht Zürich gestanden.

Ein Mann lernt als externer Consultant auf beruflichem Weg eine Frau kennen, die woanders arbeitet. Sie treffen sich sechs- oder siebenmal zum Mittagessen oder Feierabendbier. Dann erklärt sie ihm, dass sie kein Interesse habe, und bittet ihn darum, keine Textnachrichten mehr zu senden und sie in Ruhe zu lassen.

Er lässt nicht locker, schreibt ihr Dutzende von SMS, immer wieder mit Herzchensymbol, lauert ihr über einen Zeitraum von 20 Monaten regelmässig auf, folgt ihr, beobachtet sie, spricht sie an. Sie wechselt ihre alltäglichen Gewohnheiten, geht woanders einkaufen, variiert ihren Arbeitsweg, verlängert das Abo für das Fitnesscenter nicht mehr.

Die Frau führt ein Tagesprotokoll, notiert alle Zwischenfälle und unheimlichen Begegnungen: Aufgrund von 64 Vorfällen, die zwischen Juni 2019 und Februar 2021 stattfanden, wird der Mann vom Bezirksgericht Zürich wegen Nötigung verurteilt. Das Obergericht bestätigt den Schuldspruch im Januar 2023. Der Beschuldigte gelangt bis ans Bundesgericht, das seine Beschwerde im August 2023 ablehnt.

Der heute 41-jährige Schweizer ist somit ein wegen Nötigung rechtskräftig verurteilter Stalker. Er erhielt eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 300 Franken, also 54 000 Franken, bei einer Probezeit von 2 Jahren.

Nun ist eine Freiheitsstrafe beantragt

Nun, im Oktober 2024, steht er wieder wegen Stalking derselben Frau vor dem Bezirksgericht Zürich, der Straftatbestand ist erneut Nötigung. Nebst einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten fordert der Staatsanwalt auch den Widerruf der bedingten Vorstrafe. Dann müsste der Mann die 54 000 Franken bezahlen. Der 41-jährige Bankmitarbeiter beziffert sein Jahreseinkommen auf rund 170 000 Franken und sein Vermögen auf eine Million. Deshalb ist der Tagessatz derart hoch.

Die neuen Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum zwischen Januar 2022 und April 2023, als das Rechtsmittelverfahren und die Probezeit des ersten Verfahrens noch liefen. 68 neue Vorfälle sind aufgeführt, die sich alle wieder auf ein von der Frau geführtes Tagesprotokoll beziehen. Vorgeworfen werden dem Mann aber diesmal keine schriftlichen Nachrichten mehr. Auch hat er die Frau nie wieder angesprochen oder berührt.

Er soll ihr aber «aufgelauert», «ein aufsässiges Verhalten» gezeigt und auf sie gewartet haben, hauptsächlich an Bahnhöfen, aber auch in Einkaufsläden. Allerdings pendeln sowohl der Täter als auch das Opfer von Zürich Oerlikon aus mit dem Zug zur Arbeit; er nach Zürich Altstetten, sie nach Zürich Hardbrücke. Rund 50 der angeklagten Vorfälle fanden an einem oder beiden Bahnhöfen oder auf der Zugfahrt dazwischen statt.

Dem Beschuldigten wird dabei vorgeworfen, der Frau gefolgt zu sein, sie aus der Distanz beobachtet oder angestarrt zu haben, extra zum Teil bis zu 20 Minuten am Bahnhof gewartet zu haben und nicht in frühere Züge eingestiegen zu sein, wenn die Frau noch nicht am Bahnhof war. Hingegen soll er auf einen Zug «gesprintet» sein, wenn er gesehen habe, dass die Frau dort eingestiegen sei.

Der 41-jährige Schweizer bestreitet vor Gericht die Vorwürfe. Er sei einfach zur Arbeit gependelt und der Frau dabei halt manchmal rein zufällig begegnet. Es könne vorkommen, dass man sich aus der Distanz sehe. Er habe aber Massnahmen ergriffen, um ihr nicht mehr zu begegnen. Er nehme zum Beispiel andere Unterführungen.

Mehrmals wird der Beschuldigte gefragt, wieso er denn überhaupt Züge nehme, bei denen er im Bahnhof Hardbrücke umsteigen müsse. Es gebe ja auch direkte Züge zwischen Oerlikon und Altstetten. Er erklärt, er wolle eben mit seinen Arbeitskollegen fahren, welche diese Züge nähmen, genau aus dem Grund, dass er dann Zeugen habe, falls Vorwürfe gegen ihn erhoben würden. Er sei tausendmal Zug gefahren und habe die Frau nur fünfzigmal gesehen. Das sei sehr selten.

Neben den Zugfahrten soll der Beschuldigte auch ein paarmal am Arbeitsort und am Wohnort der Frau gewartet haben. Zudem sind sie sich zweimal an einem beruflichen Anlass begegnet. Dabei soll sich der Beschuldigte absichtlich in die Nähe der Frau gestellt haben.

Handydaten bestätigen die Angaben der Frau

Der Staatsanwalt beantragt, dass von der teilbedingten Freiheitsstrafe 6 Monate für den unbelehrbaren Beschuldigten unbedingt auszusprechen seien. Das erste rechtskräftige Urteil, das der Beschuldigte bis vor Bundesgericht gezogen habe, habe offensichtlich keine Wirkung auf ihn gezeigt.

Die Frau habe keinen Grund, den Mann falsch zu beschuldigen, sie habe keine Zivilforderungen gestellt. Im Januar 2024 habe der Beschuldigte zwar eine Strafanzeige wegen falscher Anschuldigung gegen sie eingereicht. Eine Nichtanhandnahmeverfügung sei aber nicht angefochten worden und rechtskräftig. Es gebe auch zahlreiche Zeugen, die die Aussagen der Frau bestätigen würden.

Zudem sei das Handy des Beschuldigten ausgewertet worden. Dabei habe sich gezeigt, dass sich der Mann viele Male auf unter 100 Meter in Distanz zur Frau befunden habe. Angaben aus dem Tagesprotokoll seien bestätigt worden. Der Staatsanwalt zählt mehrere Fälle auf, an denen sich der Beschuldigte an konkreten Daten der Tagesprotokolleinträge zwischen 8 und 19 Minuten an den Bahnhöfen aufgehalten hatte.

Er beantragt zudem die Verlängerung eines bestehenden Kontakt- und Rayonverbots um 5 Jahre und die Abnahme eines DNA-Profils.

Die betroffene Frau ergreift im Gerichtssaal ebenfalls das Wort. Sie erklärt, was harmlos erscheinen möge, habe für sie im Alltag zu Unsicherheit, Angst und Erschöpfung geführt. Der Beschuldigte habe immer wieder bewusst gegen das Kontaktverbot verstossen. Sie bitte das Gericht, ein Urteil zu fällen, das sie dauerhaft schütze.

Der Verteidiger plädiert auf einen vollumfänglichen Freispruch, kritisiert die staatsanwaltschaftliche Untersuchung als einseitig und voreingenommen. Es treffe zu, dass der Beschuldigte zum Teil die gleichen Züge wie die Frau genommen habe, das habe aber mit Nötigung oder Stalking überhaupt nichts zu tun.

Er habe die Frau nie bedrängt. Er sei schlicht von seinem Wohnort an seinen Arbeitsort gependelt. Aus dem Umstand, dass er im Bahnhof Hardbrücke umgestiegen sei, könne nichts zu seinen Lasten abgeleitet werden.

Kontaktverbot für weitere fünf Jahre

Das Bezirksgericht verurteilt den Mann trotzdem wegen Nötigung zu einer vollständig bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten. Die bedingte Vorstrafe wird antragsgemäss widerrufen. Er muss 54 000 Franken Geldstrafe bezahlen und zudem Gerichts- und Verfahrenskosten von rund 15 000 Franken übernehmen.

Ein Kontakt- und Rayonverbot wird um 5 Jahre verlängert. Es wird dem 41-Jährigen verboten, sich der Frau auf unter 50 Meter Distanz zu nähern. Falls er ihr zufällig begegnet, muss er den Abstand unverzüglich auf 50 Meter erhöhen. Auf die Abnahme eines DNA-Profils wird verzichtet.

Das Gericht habe alle 68 Vorfälle geprüft. Nur in 10 Fällen seien die Richter der Meinung, dass ein Zufall vorgelegen habe, erklärt der Gerichtsvorsitzende. Bei den übrigen Vorfällen gebe es Details, die darauf hindeuteten, dass der Mann der Frau «nachgestellt» habe. Der Richter zählt Beispiele dafür auf: Wenn der Beschuldigte sich länger am Bahnhof aufgehalten habe oder einen Zug am Perron nicht genommen und auf den nächsten gewartet habe. Es handle sich klar um Fälle, bei denen der Beschuldigte gehofft habe, auf die Frau zu treffen.

Es sei zwar eine Vielzahl von «eher niederschwelligen» Einzelfällen, die einzeln betrachtet keine Strafbarkeit begründen würden. In der Gesamtheit gingen sie aber über «eine blosse Störung» hinaus und würden klar den Straftatbestand der Nötigung erfüllen. Die Frau sei stark in ihrem Alltag belastet worden. Aufgrund des Verhaltens des Beschuldigten sei seine Zukunftsprognose negativ. Deshalb müsse die Vorstrafe widerrufen werden.

Der Verteidiger hat bereits im Gerichtssaal Berufung angemeldet.

Urteil DG240082 vom 24. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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