Montag, November 25

Wegen bürokratischer Hürden bleiben Transporter mit Dutzenden Tieren während Wochen im Niemandsland an der Grenze stecken. Tierschutzorganisationen fordern ein Ende von Lebendtiertransporten in die Türkei.

Der Grenzübergang Kapitan Andreewo zwischen Bulgarien und der Türkei ruft eindrücklich die Vorzüge des freien Warenverkehrs innerhalb der EU in Erinnerung. Etwa 400 000 Lastwagen werden hier pro Jahr abgefertigt, mehr als an jedem anderen Posten der EU-Aussengrenze.

Wegen der aufwendigen Zollformalitäten müssen die Chauffeure mitunter mehrere Tage warten, bis sie passieren dürfen. Lastwagenkolonnen von Dutzenden Kilometern Länge sind keine Seltenheit.

Geburt in einer Schicht aus Fäkalien

Zu den vielen Gütern, welche hier aus der EU in die Türkei eingeführt werden, gehören auch lebende Tiere. Allein Deutschland exportierte im vergangenen Jahr etwa 25 000 Rinder in die Türkei, die meisten auf dem Landweg über Kapitan Andreewo beziehungsweise Kapikule, wie der Grenzposten auf der türkischen Seite heisst.

Für einige dieser Tiere wird der Grenzübergang jedoch zur Tortur und sogar zur tödlichen Falle. Das hat mit Wartezeiten zu tun, mit bürokratischen Hürden und vielleicht auch mit Korruption.

In Bulgarien gibt zurzeit der Fall eines Transporters aus dem Umland der rumänischen Stadt Constanta mit 45 Rindern zu reden, der seit zwei Wochen im Niemandsland zwischen dem bulgarischen und dem türkischen Grenzposten feststeckt. Drei Tiere sind mittlerweile gestorben. Stefan Dimitrow von der Tierschutzorganisation Newidimi Schiwotni (Unsichtbare Tiere) hat die Situation vor Ort gefilmt und das Video bulgarischen Medien zugespielt. Er befürchte, dass noch mehr Tiere verendeten, falls keine Lösung gefunden werde, sagt Dimitrow im Gespräch.

Noch dramatischer waren die Umstände bei einem Transport aus Brandenburg, die von der deutschen Animal Welfare Foundation dokumentiert wurden. 69 hochträchtige Färsen, wie geschlechtsreife Kühe vor dem ersten Abkalben genannt werden, steckten ab September während vier Wochen ohne ausreichendes Futter an der Grenze fest. Mehrere Tiere brachten, in ihren eigenen Exkrementen liegend, ihre Jungen zur Welt. 13 Kälber und 8 Mutterkühe verendeten vor Ort. Alle anderen Tiere wurden später notgeschlachtet.

In der bürokratischen Zwickmühle

Der Hintergrund ist bei beiden Fällen ähnlich. Nach der Abfertigung auf der bulgarischen Seite verweigerten die türkischen Behörden den Viehtransportern die Einreise ins Land. In Brandenburg sind Fälle der Blauzungenkrankheit aufgetreten, einer durch Stechmücken übertragenen Tierseuche.

In der rumänischen Region Constanta wurden Fälle der sogenannten Pest der kleinen Wiederkäuer dokumentiert, einer anderen Viruserkrankung. Um die eigenen Bestände zu schützen, verbietet die Türkei seit August die Einfuhr lebender Tiere aus den betroffenen Gebieten.

Eine Rückkehr nach Bulgarien ist aber auch nicht möglich, da sich die Tiere nach dem Passieren des bulgarischen Grenzpostens technisch ausserhalb der EU befinden. Obwohl die Rinder nie in der Türkei waren, kommen die strengen Kriterien für die Einfuhr lebender Tiere aus Drittländern zur Anwendung, die in diesem Fall nicht erfüllt sind. Die Rücknahme der Tiere käme laut den bulgarischen Behörden deshalb einem Verstoss gegen EU-Recht gleich.

So stecken die Transporter mit ihrer lebenden Fracht im Niemandsland zwischen den beiden Grenzposten fest. Iris Baumgärtner von der Animal Welfare Foundation, die im September persönlich vor Ort war, spricht gegenüber der NZZ von einem absoluten Versagen der EU-Kommission. Diese habe sich schliesslich das Tierwohl auf die Fahnen geschrieben. Baumgärtner fordert ein generelles Verbot von Lebendtiertransporten aus der EU in die Türkei.

Ein grosses Geschäft

Abgesehen von der bürokratischen Absurdität der Situation stellt sich die Frage, wie Tiere überhaupt in ein Land verkauft werden können, in das ihre Einfuhr verboten ist. Die Vermutung liegt nahe, dass es Möglichkeiten gibt, die türkischen Importbestimmungen zu umgehen.

Laut dem Tierschutzaktivisten Stefan Dimitrow liegen keine stichhaltigen Beweise für Unregelmässigkeiten vor. Anlass zu Spekulationen gebe es aber durchaus. Im Fall des Transports aus Brandenburg etwa hätten zwei Lastwagen mit Rindern die Grenze passieren können. Dann habe es einen Schichtwechsel gegeben und die restlichen Lastwagen seien aufgehalten worden.

Die Einfuhr lebender Rinder ist in der Türkei ein grosses Geschäft. Das Land kann den Bedarf seiner 85 Millionen Einwohner an Fleisch- und Milchprodukten, die in der lokalen Küche traditionell eine grosse Rolle spielen, nicht aus eigener Produktion decken. Verschärft wird die Situation, weil viele türkische Züchter wegen der hohen Inflation nicht mehr profitabel wirtschaften können.

2023 importierte die Türkei mehr als 700 000 Rinder in einem Gesamtwert von einer Milliarde Dollar. Die Mehrheit, etwa 500 000 Tiere, stammt aus Südamerika. Der Rest kommt grossenteils aus der EU. Neben Deutschland und Rumänien sind Tschechien und Ungarn die wichtigsten Herkunftsländer.

Der Grenzübergang Kapitan Andreewo / Kapikule geriet bereits vor zwei Jahren wegen eines Skandals in die Schlagzeilen. Die private Firma, die auf bulgarischer Seite für die Untersuchung von Lebensmitteln aus der Türkei auf Pestizide und andere Schadstoffe zuständig war, hatte während Jahren in grossem Stil betrogen. Proben wurden zwar verrechnet, aber oft nur mangelhaft oder gar nicht durchgeführt.

Wird die Kommission aktiv?

Im Falle der Färsen aus Brandenburg liess die Türkei nach langen Verhandlungen die Transporter zur Notschlachtung der noch lebenden Tiere in die Grenzstadt Edirne einreisen. Die Gespräche über das Schicksal der rumänischen Rinder sind noch im Gange. Immerhin durften die Tiere am Freitag den Transporter verlassen und befinden sich nun in einem improvisierten Gatter zwischen den beiden Grenzposten.

Laut dem Tierschützer Dimitrow wäre der einfachste Ausweg eine Ausnahmebewilligung der Kommission zur Wiedereinfuhr der Tiere in die EU. Mittelfristig bedürfe es aber einer gesetzgeberischen Lösung. Diese Woche tagen die nationalen Veterinärbehörden in Brüssel. Dabei dürfte auch der Export lebender Tiere in die Türkei zur Sprache kommen.

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