Dienstag, Oktober 15

Seit der Sohn des Gründers die Leitung von dm übernommen hat, ist die deutsche Drogeriemarktkette rasant gewachsen. Im Gespräch sagt der Firmenchef, was er von einer Expansion in die Schweiz hält und was ihm in Deutschland Sorgen macht.

Mit Drogerien kennt sich die Familie Werner schon seit über 150 Jahren aus. Doch die Dimension des Geschäfts hat sich seit dem ersten Laden in Heidelberg gewaltig verändert.

Seit Christoph Werner 2019 bei dm – das Kürzel steht für Drogeriemarkt – die Führung übernommen hat, ist Deutschlands grösste Drogeriemarktkette nochmals deutlich gewachsen. Der Umsatz der Gruppe ist in diesem Zeitraum um rund 40 Prozent auf knapp 16 Milliarden Euro gestiegen.

Fast ein Drittel davon erwirtschaftet dm heute im Ausland und setzt weiter auf Expansion in Europa. Doch während sich der Konkurrent Müller bereits in der Schweiz ausgebreitet hat und Rossmann mit seinen Drogeriemärkten hierzulande demnächst den Markteintritt plant, sei das für dm kein Thema, sagt der 51-Jährige im Gespräch.

Der Grund sei nicht etwa die Angst, damit die eigenen Läden in Süddeutschland zu kannibalisieren. Diese machen gute Umsätze mit Schweizer Einkaufstouristen. Werner bezweifelt schlicht, dass es eine genügend grosse Nachfrage gibt, die die Errichtung eines Filialnetzes derzeit rechtfertigen würde – zumal dm ja die Preise höher ansetzen müsste als in Deutschland.

«Die Schweiz braucht keine Entwicklungshilfe im Detailhandel», sagt der Unternehmer. Dies sei aber kein Entscheid gegen die Schweiz, sondern für eine Investition in andere Prioritäten: «Es gibt Länder, in denen es für uns mehr Wachstumspotenzial gibt.» Ausser in Österreich und Italien ist dm in Zentral- und Osteuropa präsent.

Werner kennt die Schweiz gut. Er kam schon als Kind gerne zum Skifahren ins Berner Oberland, wo die Familie eine Wohnung hat. Es gibt aber auch geschäftliche Verbindungen. So ist die Migros-Industrie-Tochter Mibelle nämlich ein wichtiger Hersteller für die dm-Eigenmarken, besonders im Hautpflegebereich. «Es hat mich überrascht, dass Migros den Kosmetikhersteller verkaufen möchte», sagt er. Doch auch dm hat grundsätzlich keine eigenen Produktionsbetriebe, weshalb eine Übernahme für Werner nicht infrage kommt.

Ein bekannter Vater

Dass Christoph Werner eines Tages an der Spitze von dm stehen würde, war nicht vorgezeichnet – obwohl keines seiner sechs Geschwister interessiert war. Den Plan, Pilot zu werden, gab er zwar bald wieder auf. Doch selbst als er ein Wirtschaftsstudium in Angriff nahm und dann bereits im Alter von zwanzig Jahren ungeplant Vater wurde, führte der Weg nicht direkt zu dm.

Das hatte auch mit seinem Vater Götz Werner zu tun. Der 2022 verstorbene Patron war nicht nur ein höchst erfolgreicher Unternehmer, sondern auch eine bekannte Persönlichkeit, ein Vordenker und Kämpfer für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Natürlich wäre der Junior stets an dieser Figur gemessen worden. «Das ist keine gute Voraussetzung, um ein Selbstbewusstsein zu entwickeln», sagt Christoph Werner im Gespräch. «Es war klar, dass ich meinen eigenen Weg finden musste.»

Nagellack und Haarausfall-Tinkturen

Dieser Weg führte ihn im Rahmen des dualen Studiums zur Supermarktkette Tegut. Dort verbrachte er viel Zeit in den Märkten und lernte das Verhandeln mit Lieferanten.

Die nächste Station war Frankreich: im Marketing bei L’Oréal. Da war der junge Werner dann für die Vermarktung von Produkten wie Nagellack, Kindershampoo oder Haarausfall-Tinkturen verantwortlich. Es folgte eine Etappe bei der Konsumgütersparte von GlaxoSmithKline (GSK), zu der Zahnpflegemarken wie Dr. Best oder Sensodyne gehörten.

Mit den Produkten aus der Drogerie war Werner also schon vertraut. Zu dm selber stiess er dann 2003, als ihn sein Vater in den Aufsichtsrat holte. Eine operative Rolle in der Firma übernahm er erst mit 38, als er 2011 Mitglied der Geschäftsleitung wurde, zuständig für Marketing und Beschaffung.

Geburtsstunde der Drogeriemarktketten

dm war dannzumal schon längst ein Milliardenkonzern. Die Grundlage dafür hatte Götz Werner mit seinem guten Timing bei der Firmengründung gelegt. Als sich abzeichnete, dass 1974 in Deutschland die Preisbindung für Drogeriewaren abgeschafft würde, sah er eine einmalige Chance. Wie die Konkurrenten Rossmann, Müller und der inzwischen pleitegegangene Schlecker gründete er in der Zeit eine Drogeriemarktkette.

Wohlgemerkt tat er das auf eigene Faust und nicht etwa aus der seit 1870 bestehenden Drogerie Werner heraus. Denn mit seinem eigenen Vater, also Christoph Werners Grossvater, hatte er sich schon nach wenigen Monaten überworfen gehabt. «Das ist nicht Wernersche Familientradition», bekam Götz Werner zu hören, wenn er neue Geschäftsideen aufbrachte.

Solche familiären Auseinandersetzungen blieben Christoph Werner erspart. «Mein Vater bewegte sich in einer ganz anderen Umlaufbahn als ich», sagt er. «Es gab nicht die Erwartung, dass ich alles gleich mache.» Dass Götz Werner seinem Sohn vertraute und mehr Spielraum liess, passt zu dem Management-Verständnis bei dm.

Dieses hat sich seit den Anfängen stark verändert. Beim Start hiess Götz Werners grosses Vorbild Aldi: Tiefe Preise und ein kleines Sortiment. Wie beim Discounter gehörte eine straffe, hierarchisch geführte Organisation zum Rezept.

Doch irgendwann stimmte diese Führungskultur für Werner Senior nicht mehr, und er suchte nach Alternativen. Sein Sohn beschreibt es so: «In einem hierarchischen System bewegen Sie sich immer in einer Scheinsicherheit», sagt Christoph Werner. «Sie glauben, alles richtig zu machen, solange Sie die Anweisungen des Chefs befolgen – selbst wenn es fürs Unternehmen schlecht ist.»

Inspiration durch Anthroposophie

In dieser Phase des Umdenkens machte Götz Werner eine Begegnung, die sein Blick auf die Firma und die Wirtschaft verändern sollte. Am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) – wo auch das Gespräch mit Sohn Christoph Werner stattfand – traf Werner Senior Ende der 1970er Jahre an einem Seminar den Autor Hellmuth J. ten Siethoff. Dieser propagierte ein Führungsprinzip, das auf anthroposophischen Ideen basierte und vom Menschen aus dachte.

Götz Werner war fasziniert von dieser anderen Perspektive. Die Beschäftigung mit der Anthroposophie führte sogar dazu, dass er seine Kinder in die Waldorfschule schickte. Er engagierte ten Siethoff als Berater für die Entwicklung der dm-Organisation. Der neue Ansatz lautete: Eine Firma kann nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn sich die Mitarbeiter unternehmerisch einbringen können.

Konkret hiess das zum Beispiel, dass dm eine Hierarchiestufe gestrichen und den Filialleitern mehr Verantwortung gegeben hat. «Einem Teil der Leute war das zu viel, andere haben gesehen, dass sie an der neuen Aufgabe wachsen können», sagt Christoph Werner.

Bis heute verantworten Mitglieder der dm-Geschäftsleitung zusätzlich zu ihrer Fach-Funktion wie etwa Logistik oder Finanzen eine Vertriebsregion. «Damit ist jeder in dem Gremium für rund 300 Drogeriemärkte verantwortlich und weiss genau, was draussen an der Kundenfront los ist.»

Vakuum in der deutschen Politik

Wenn Werner auf den Standort Deutschland blickt, dann möchte er nicht in das allgemeine Wehklagen einstimmen. Aber für ihn ist klar: «Das langjährige Geschäftsmodell Deutschland funktioniert nicht mehr.» Damit meint er drei fundamentale Punkte, die über Jahre oder Jahrzehnte für den Wohlstand in der Bundesrepublik mitverantwortlich waren, und die heute so nicht mehr gültig sind.

Erstens: Für die Verteidigung des Landes sind die Vereinigten Staaten zuständig, darum sind Ausgaben für Rüstung und Verteidigung nicht mehr so wichtig. Zweitens: Günstige Energie gibt es dank Pipelines aus Russland, weshalb man getrost auf Atomkraftwerke verzichten kann. Drittens: China ist der Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft.

Wenn aber all das nicht mehr funktioniere, wenn die Menschen verunsichert seien und die Politik die Ängste der Bürger ausblende, sei es nur logisch, wenn eine Partei wie die AfD daraus Kapital schlage. «Es bringt nichts, diese Wähler zu verteufeln, als Faschisten oder Anti-Demokraten zu bezeichnen», sagt Werner, «sondern man sollte sich fragen, wie das Vakuum entstanden ist, das diese Partei ausfüllt.»

Von oben verordnete, grosse gesellschaftliche Transformationen sieht der Unternehmer kritisch. Er verweist auf die Kollateralschäden der Energiewende in der Industrie, etwa bei Autoherstellern und Zulieferbetrieben. Dass Planwirtschaft in die Irre führe, habe die Geschichte mehrfach gezeigt.

Liberalisierung des Apothekenmarktes

Bei den Drogeriemärkten sind vergleichbare Umwälzungen nicht in Sicht. Neue Chancen bieten sich für Ketten wie dm vielleicht, wenn sich in Deutschland der Apothekenbereich und der Verkauf von Medikamenten öffnet. Heute gibt es beispielsweise noch die Einschränkung, dass ein Apotheker neben einer Hauptapotheke höchstens drei weitere Filialen betreiben darf.

«Da wird sich etwas verändern», ist Werner überzeugt, «da könnten auch wir mit dm eine Rolle spielen.» Vielleicht wird sich dereinst auch sein Sohn Michael mit ihm darum kümmern. Der 30-Jährige ist kürzlich in den Aufsichtsrat von dm eingezogen. Das wäre dann eine weitere Generation Werner, die das Geschäftsmodell Drogerie weiterdenken muss.

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