Montag, September 16

Um nicht ungewollt kinderlos zu enden, lassen immer mehr Frauen ihre Eizellen einfrieren. Auf Behandlungen, die die natürliche Fruchtbarkeit erhalten, warten sie vergeblich. Liegt die Zukunft der Fortpflanzung ausserhalb des menschlichen Körpers?

Es gibt Momente, da enttäuscht die moderne Medizin. Die Ergebnisse einer grossen Studie zur Fruchtbarkeit tönen für viele Frauen mit Kinderwunsch ernüchternd. Denn die Forscher fanden heraus, dass das mittlere Alter, in dem eine Frau in die Wechseljahre kommt, seit 1962 nur um 1,5 Jahre gestiegen ist. Zum Vergleich: Die Lebenserwartung ist im gleichen Zeitraum um 13 Jahre gestiegen.

Wir werden also immer älter, bleiben immer länger gesund – aber nicht länger fruchtbar. Im Sozialen mag 30 das neue 20 sein. In der Biologie gilt das nicht. Daran hat der medizinische Fortschritt der letzten 60 Jahre wenig geändert.

Die Fruchtbarkeit nimmt unaufhaltsam ab

So sieht es auch die Reproduktionsmedizinerin Dorothea Wunder vom Kantonsspital Freiburg. «Die Chance, mit 35 ein Kind zu bekommen, ist heute nicht besser als früher», sagt Wunder. «Jedenfalls auf natürlichem Weg.»

Bis jetzt gibt es keine zugelassenen Medikamente oder Therapien, die den Verfall der natürlichen Fruchtbarkeit aufhalten könnten. Einzig die Warnung: Rauchen, Übergewicht und zu viel Stress können die Fruchtbarkeit zusätzlich negativ beeinflussen.

Doch die versagenden Eierstöcke rücken langsam stärker ins Interesse der Forschung. Unter dem Stichpunkt «ovarielle Verjüngung» wurden in den vergangenen fünf Jahren diverse Studien publiziert. Um den Verlust von Eizellen zu verlangsamen oder gar die Bildung neuer Eizellen zu stimulieren, werden diverse Methoden erprobt.

Am wohl bekanntesten ist eine Behandlung mit «PRP», Platelet Rich Plasma. Das ist die Flüssigkeit, die vom Blut übrig bleibt, nachdem die roten Blutkörperchen durch Zentrifugieren entfernt worden sind. Das Blutplasma enthält unter anderem Wachstumsfaktoren. Also Signale des Körpers, die Zellen dazu anregen können, sich zu teilen. Dieses Blutplasma wird Patientinnen mit Fruchtbarkeitsproblemen in die Eierstöcke gespritzt, um dort die Bildung neuer Eizellen anzuregen.

Doch bis jetzt gibt es nur wenige Studien zur Wirksamkeit der Behandlung. Man habe noch nicht genug Daten, um den Einfluss von PRP-Injektionen auf die Rate an Schwangerschaften und Geburten abzuschätzen, sagt Dorothea Wunder. Noch empfehle sie die Behandlung deshalb in erster Linie im Rahmen von Studien.

Gefrorene Eizellen ermöglichen eine späte Schwangerschaft

Doch ganz hoffnungslos ist die Lage nicht. Denn da gibt es noch den «unnatürlichen» Weg. Die Möglichkeit, zumindest die Eizellen vor dem schonungslos fortschreitenden Alterungsprozess zu bewahren: das Einfrieren.

Bei dieser Behandlung – auch als «Social Freezing» bekannt – werden einer Frau reife Eizellen aus den Eierstöcken entnommen. Sie werden innerhalb weniger Sekunden auf minus 196 Grad heruntergekühlt und so gefroren gelagert. Zu einem späteren Zeitpunkt können die Eizellen dann für eine künstliche Befruchtung genutzt werden. Denn jüngere Eizellen versprechen bei Kinderwunschbehandlungen höhere Erfolgschancen als ältere.

Zehn Jahre lang darf man in der Schweiz die eingefrorenen Eizellen aufbewahren, in Deutschland gibt es keine zeitliche Begrenzung. Kliniken haben aber ihre eigenen Altersgrenzen, bis wann sie befruchtete Eizellen einsetzen. Das Höchstalter liegt meist zwischen 45 und 50 Jahren. Biologisch notwendig ist diese Grenze im Prinzip aber nicht. Mit der richtigen Hormonbehandlung und jungen Eizellen kann eine Frau auch nach dem Eintreten der Wechseljahre noch schwanger werden. Extreme Beispiele machen immer wieder Schlagzeilen. So wie letztes Jahr, als eine 70-jährige Frau in Uganda Zwillinge zur Welt brachte.

Die eingefrorenen Eizellen sind für die Frauen eine Art Versicherung. Sie sollen das Ende der Fruchtbarkeit zumindest um einige Jahre nach hinten verschieben. Doch diese Versicherung hat ihren Preis. Da sind einerseits die Kosten für die Behandlung, die Lagerung, die künstliche Befruchtung und das Einsetzen des Embryos. Leicht summiert sich all das zu zehntausend Franken und mehr. Und das, wenn alles gut klappt. Braucht es mehrere Anläufe bei der Entnahme der Eizellen oder dem Einsetzen des Embryos, steigen die Kosten noch weiter.

Dazu kommen die körperliche und die psychische Belastung. Denn damit eine gute Chance für ein Kind besteht, müssen mindestens 10, besser 20 bis 30 reife Eizellen entnommen werden. In einem normalen Zyklus reift aber nur eine einzige heran. Damit mehr Eizellen heranreifen, müssen die Frauen zur Hormonspritze greifen. Das kann Nebenwirkungen verursachen wie Schwindel, Hitzewallungen und Sehstörungen. In seltenen Fällen kann es zu einer Überstimulation der Eierstöcke kommen, die sogar lebensbedrohlich sein kann.

Die Entwicklung von Babys in einer künstlichen Gebärmutter ist denkbar

Doch zumindest dieser Teil der Behandlung könnte in Zukunft einfacher werden. Das sagt Brigitte Leeners, Reproduktionsmedizinerin am Universitätsspital Zürich. Dort forscht sie unter anderem daran, Eizellen ausserhalb des Körpers reifen zu lassen. Wenn das gelingt, könnte man Frauen die Hormonbehandlung ersparen und sicher mit nur einem Eingriff genügend Eizellen entnehmen. Potenziell könnte man sogar im Rahmen anderer Operationen, wie einer Blinddarmentfernung, vorsorglich Gewebe aus den Eierstöcken entnehmen und einfrieren. Die Eizellen stünden einer Frau dann jederzeit für eine künstliche Befruchtung zur Verfügung.

Dadurch würde ein weiterer Schritt im Prozess der Fortpflanzung ausserhalb des Körpers geschehen. Wird in der Zukunft die Entwicklung von Babys ganz ausserhalb des menschlichen Körpers stattfinden? «Das könnte irgendwann möglich werden», sagt Leeners. Auch wenn die Prozesse sehr komplex seien, nähere man sich zumindest im Tiermodell dieser Möglichkeit von beiden Seiten immer weiter an.

Die eine Seite ist die Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter. Schon 2017 demonstrierte der Kinderchirurg Alan Flake, dass Lamm-Föten bis zu vier Wochen lang in einem mit Flüssigkeit gefüllten «Biobag» überleben und wachsen können. Seitdem gibt es Bemühungen, ähnliche Verfahren für menschliche Föten zu entwickeln. Sie sollen extrem früh geborenen Kindern das Leben retten und sie vor Langzeitschäden bewahren. Die US-Arzneimittelbehörde FDA diskutierte bereits im September 2023 über die Zulassung erster klinischer Studien beim Menschen. Die künstliche Gebärmutter funktioniert aber vorerst nur für Föten ab der 23. oder 24. Woche der Schwangerschaft. Vorher sind die Blutgefässe in der Nabelschnur zu klein, um an das Gerät angeschlossen zu werden.

Die andere Seite ist die Entwicklung eines Embryos in der Petrischale. Nach der künstlichen Befruchtung einer Eizelle kann sich diese fünf bis sechs Tage lang weiterentwickeln, bevor der Embryo sich für den nächsten Entwicklungsschritt in einer Gebärmutter einnisten muss.

Dieser entscheidende Moment der Entwicklung ist der grosse Einschnitt, der noch fehlt, um die beiden Seiten miteinander zu verbinden. Denn um die Versorgung innerhalb einer künstlichen Gebärmutter zu ermöglichen, muss ein Embryo schon eine Nabelschnur gebildet haben. Doch diese bildet er erst, wenn er sich in der Gebärmutter einnistet und sich die Plazenta ausbildet.

Doch auch diese Entwicklung dürfte noch in weiter Zukunft liegen. «In den nächsten fünfzig Jahren ist das extrem unwahrscheinlich», sagt Leeners. Die berühmte biologische Uhr wird wohl noch eine Weile weiterticken.

Der Streit um die Messung der Fruchtbarkeit

Doch wie schnell tickt die Uhr eigentlich genau? Eine gute Antwort ist erstaunlich schwierig zu finden. Klar ist, dass die Fruchtbarkeit mit Anfang 20 besonders hoch ist und dann abnimmt, bis sie spätestens mit Beginn der Wechseljahre auf null gesunken ist. Doch immer weniger Frauen entscheiden sich schon mit Anfang 20 für Kinder. Für die anderen stellt sich also die drängende Frage: Ab wann ist es zu spät?

Die Zahl 35 hat sich in vielen Köpfen eingegraben: Ab dem 35. Lebensjahr soll die Fruchtbarkeit demnach rapide abnehmen und eine Schwangerschaft immer unwahrscheinlicher werden. Doch die Studie, die diese Zahl so populär gemacht hat, bezieht sich auf Raten von Schwangerschaften bei verheirateten Frauen in Frankreich aus den Jahren 1670 bis 1830. Man darf durchaus infrage stellen, wie relevant diese Zahlen in der heutigen Zeit noch sind.

Heute raten Ärzte und Ärztinnen Frauen, die sich Sorgen um den Stand ihrer Fruchtbarkeit machen, oft zu einer Messung des Anti-Müller-Hormons (AMH). Das Hormon wird in den Eierstöcken gebildet und gilt als Indikator für die Eizellenreserve einer Frau.

Denn während Männer im Verlauf ihres Lebens fortwährend neue Spermienzellen bilden, werden Frauen mit einem endlichen Vorrat an Eizellen geboren. Allerdings ist die Messung des Anti-Müller Hormons als Mass für die Fruchtbarkeit umstritten. In einer im renommierten «Journal of the American Medical Association» publizierten Studie verfolgten Wissenschafter 750 Frauen, bei denen sie den AMH-Spiegel gemessen hatten. Nach sechs Monaten waren aus der Gruppe mit hohem AMH-Wert 65 Prozent der Frauen auf natürlichem Weg schwanger geworden, in der Gruppe mit niedrigem AMH-Wert waren es mit 62 Prozent nur geringfügig weniger.

Die Anzahl der verbliebenen Eizellen ist nicht der einzige Faktor für die Fruchtbarkeit. Mindestens genauso wichtig ist die Qualität der Eizellen. Denn das genetische Material in ihnen kann mit der Zeit kaputtgehen. Es kommt zu Mutationen und zu abnormalen Anzahlen von Chromosomen. Solche beschädigten Eizellen können nicht mehr zur Entwicklung eines gesunden Embryos führen. Mit steigendem Alter sind immer mehr Eizellen von solchen Schäden betroffen.

Sicher ist letztlich nur eins: Für ein Baby gibt es keine Garantien. In keinem Alter.

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