Mittwoch, April 30

Die Emmi-Chefin Ricarda Demarmels und der Stadler-Rail-Chef Markus Bernsteiner im Gespräch über kurzsichtige Manager, Burnouts mit Mitte vierzig und den Bossmodus.

Züge und Käse: Markus Bernsteiner und Ricarda Demarmels leiten zwei Schweizer Traditionsunternehmen, Stadler Rail und Emmi.

Viele Menschen wollen die Karriereleiter hochklettern. Sie beide haben es geschafft. Wollten Sie schon immer Chef und Chefin sein?

Markus Bernsteiner: Ich war nach der Lehre zum Maschinenmechaniker in der Rekrutenschule. Das Team, in dem ich war, war so schlecht geführt, dass ich dachte: «So geht das doch nicht. Markus, das kannst du besser.» So habe ich gemerkt, dass ich Freude daran habe, mit Menschen umzugehen. Ausserdem hatte der Leutnant eine viel bessere Uniform als wir alle, und so eine wollte ich auch haben.

Was war denn so schlecht am Führungsstil Ihres damaligen Vorgesetzten?

Bernsteiner: Mich hat dieses Autoritäre gestört. Ein Vorgesetzter sollte immer auch eine Art Coach sein, der das Team voranbringt.

Ricarda Demarmels: Ich habe mir für meinen beruflichen Weg nie etwas Konkretes vorgenommen. Ich finde das Wort «Karriereleiter» sowieso schwierig. Schliesslich geht es nicht um die Karriere, sondern darum, sein Leben gut zu leben. Und etwas zum Besseren zu verändern, so wie unsere Eltern, Grosseltern und Urgrosseltern das gemacht haben.

Sie hatten nie vor, eine Führungsposition innezuhaben?

Demarmels: Ich hatte einmal ein Gespräch mit einem Headhunter, der mir erzählte, er sehe viele Leute Mitte vierzig, die komplett ausgebrannt seien. Und zwar, weil sie einen Abgleich machten: Sie haben sich ganz genau vorgestellt, wo sie mit vierzig sein wollen, beruflich und privat, und sind dann unzufrieden. Ich habe mir geschworen, dass mir das nie passieren wird.

Bernsteiner: Da stimme ich dir vollkommen zu. Ich habe mir in jungen Jahren nur drei Dinge vorgenommen: Ich will eine Familie, ich will ein Haus, und ich will finanziell unabhängig sein. Eine bestimmte Karriere habe ich nie gesucht. Aber ich glaube, wenn man seine Aufgabe mit Leidenschaft macht, hat man Erfolg.

Also hat bei Ihrer Karriere auch der Zufall eine Rolle gespielt?

Bernsteiner: Nein. Jeder Mensch bestimmt sein Schicksal selbst. Und zwar durch Entscheidungen: Man kommt im Leben immer wieder an Knotenpunkte und muss entscheiden, ob man links oder rechts geht. Auch falsche Entscheidungen können wertvoll sein. Aber man hat es selbst in der Hand.

Demarmels: Ich sehe das genauso. Am Ende ist man seines eigenen Glückes Schmied, und in jeder Situation liegt eine Chance, die man packen kann. Am Anfang meines Berufslebens habe ich mich am Abend in jede Tür gestellt und habe gefragt, was ich noch helfen könne. So habe ich sehr viel gelernt. Wichtig ist, dass man offen bleibt.

Wie bewahrt man sich diese Offenheit im beruflichen Alltag eines CEO? Wie kommt man auf neue Ideen?

Bernsteiner: Als CEO bekommt man täglich Inputs. Diese muss man annehmen und versuchen, daraus Ideen zu schmieden. Wichtig ist, dass man zuhört und sich auch Feedback einholt. Wenn man Ideen mit den Teams spiegelt, kommen neue zurück, und man setzt etwas in Gang.

Demarmels: Erneuerung ist die Essenz von allem. Eine Führungskraft hat zwei wesentliche Verantwortungen: Organisationsentwicklung und Portfolioentwicklung. Im ersten Bereich kommt es darauf an, eine Kultur zu schaffen, in der Bestleistung und Innovation möglich sind. Nur wenn die Mitarbeiter sich sicher fühlen und Fehler machen dürfen, können sie auch lernen.

Und was ist mit dem Portfoliobereich?

Demarmels: Als CEO reise ich um die ganze Welt, sehe Produkte, Kunden und Konkurrenz. Ich will wissen, was die Megatrends sind, die unser Regal prägen, und wie wir uns ausrichten müssen, um noch weitere 120 Jahre zu bestehen.

Bernsteiner: Das ist das Wichtigste für einen CEO: Offenheit, Neugierde, Annehmen und Umsetzen.

Gleichzeitig muss man aber auch darauf achten, dass in den Teams nicht einer den anderen die Ideen kaputtmacht.

Bernsteiner: Das sehe ich nicht so. Führung lässt divers zusammengesetzte Teams mit unterschiedlichen Meinungen zu. Wichtig ist, dass man sie machen lässt. Nur so entsteht ein fruchtbarer Boden.

Demarmels: Machst du dir keine Gedanken, in welchen Bereichen grosse, diverse Teams förderlich sind und in welchen eher hinderlich?

Bernsteiner: Doch, natürlich. Jede Sitzung hat ein bestimmtes Ziel, und dementsprechend wird entschieden, wer daran teilnimmt.

Demarmels: Unseren beiden Unternehmen ist ja gemein, dass es sich um Schweizer Traditionsunternehmen handelt, wenn auch aus unterschiedlichen Branchen. Wie geht denn bei euch Innovation?

Bernsteiner: Ich bin jetzt seit 25 Jahren bei dem Unternehmen, und was uns gross gemacht hat, ist die Neugierde. Der Wunsch, gemeinsam mit unseren Kunden immer den neusten Stand der Technik voranzutreiben, ist tief in uns verankert. Dabei ist es essenziell, die besten Leute in die Teams zu holen. Solche, die fachlich etwas auf dem Kasten haben, und unbedingt auch Querdenker.

Wie findet man diese Leute? Es heisst ja immer, in der Industrie herrsche Fachkräftemangel.

Bernsteiner: Fachkräfte zu finden, ist ganz klar eine meiner grössten Herausforderungen. Wir haben uns entschieden, den Fachkräftemangel an der Wurzel zu packen. Die Zahl unserer Lehrlinge haben wir von 200 auf 300 erhöht und ein modernes Ausbildungszentrum gegründet. Am anderen Ende der Altersskala haben wir einen Pensioniertenpool eingerichtet, für Mitarbeitende, die gerne länger arbeiten möchten. Und natürlich ist wichtig: rekrutieren, rekrutieren, rekrutieren.

Demarmels: Wenn man eine gute Kultur schafft, bekommt man auch die besten Leute. Denn das sind die, die gestalten wollen und Freude an ihrer Tätigkeit haben. Wir achten sehr darauf, unsere Mitarbeitenden weiterzuentwickeln, unser Ziel ist es, 50 Prozent unserer Positionen intern zu besetzen und alle unsere Mitarbeitenden über einen individuellen Entwicklungsplan verfügen. Das ist ein Fokusthema in unserer Nachhaltigkeitsstrategie.

Eine solch wertschätzende Unternehmenskultur scheint derzeit wieder etwas aus der Mode zu kommen. Der Ruf nach starken und entscheidungsfreudigen CEO wird lauter. Braucht es in einer Krise mehr Hierarchie und Durchsetzungsvermögen?

Demarmels: Kann man nicht auch auf wertschätzende Weise entscheidungsfreudig sein? Eine starke Kultur des Miteinander und der gegenseitigen Wertschätzung steht für mich nicht im Widerspruch zu einer Hochleistungskultur. Das Gegenteil ist der Fall! Leider transportieren auch die Medien die Vorstellung, dass man mit Wertschätzung keine Bestleistungen erbringen kann.

Glauben Sie nicht an Hierarchien?

Demarmels: Eine Hierarchie ist nur eine Organisationsform, um Leistung abzurufen. Man muss sich jedes Mal fragen, wie man etwas organisiert, um die maximale Leistung zu bekommen.

Bernsteiner: Jede Organisationsform, ob Familie oder das Geschäft, braucht Ordnung. Ordnung heisst für mich Halt: Der Mensch kann sich orientieren. Im Krisenmodus braucht es einen Boss, im Innovationsmodus den Coach. Für mich ist die Zeit der kritische Faktor. Wenn man keine Zeit hat, geht man in den Bossmodus.

Ist es nicht eine Gefahr, wenn man aus Zeitdruck in den Bossmodus geht?

Bernsteiner: Das glaube ich nicht. Manchmal muss man einfach schnell entscheiden.

Wie ist es eigentlich: Muss man sich alle vier bis fünf Jahre einer neuen Aufgabe stellen und den Job wechseln, um richtig Karriere zu machen?

Bernsteiner: Für mich ist die Leidenschaft wichtig, nicht der Jobwechsel.

Dennoch gibt es den Rat, alle paar Jahre zu wechseln.

Bernsteiner: Für einige Menschen und Positionen ist es gut, wenn jemand aus einem anderen Umfeld kommt und davon etwas einbringt. Andere sind lange am selben Ort; man kann das nicht gegeneinander ausspielen. Die Fragestellung ist simpel: Was machst du aus deiner Rolle und Aufgabe?

Demarmels: Für mich ist das Wichtigste, dass man mit anpackt. Ich komme aus einem kleinen Dorf, in dem jeder einen Beitrag geleistet hat, um Dorf und Tal attraktiv zu machen. Das gilt auch in der Unternehmenswelt und der Politik.

Das ist eine langfristige Aufgabe. Aber wieso ist die Halbwertszeit der CEO mit kaum fünf Jahren so kurz geworden? Macht das CEO kurzsichtig?

Bernsteiner: Nein, das denke ich nicht. Der CEO wird vom Verwaltungsrat gewählt. Je nach Situation braucht es unterschiedliche Charaktere, einmal den Boss, dann wieder den Coach. Einige können auch beides sein.

Dennoch führt der Fokus auf die Quartalsergebnisse häufig zu einer kurzfristigen Orientierung.

Demarmels: Wichtig ist, dass jeder und jede CEO das Selbstverständnis hat, dass es nicht um ihn oder sie geht, sondern darum, was das Unternehmen braucht. Wenn alle fünf Jahre eine neue Person kommt und es anders macht, nur um sich zu beweisen, kann sich ein Unternehmen nicht kontinuierlich entwickeln.

Herr Bernsteiner, Sie arbeiten eng mit Peter Spuhler zusammen. Ist man als ruhigere Persönlichkeit verloren oder im Vorteil?

Bernsteiner: Ich arbeite seit 25 Jahren für Stadler Rail und habe genauso lange Peter Spuhler zum Vorgesetzten. Wir verstehen uns sehr gut, und auf dieser Basis führen wir sehr konstruktive Gespräche. Diese zielen immer nur auf eins: dass wir das Unternehmen robust und nachhaltig formen. Ja-Sager am Tisch haben wir nicht.

Frau Demarmels, Sie sind schwanger Finanzchefin von Emmi geworden und waren später nochmals schwanger während Ihrer CFO-Zeit. Wieso ging das?

Demarmels: Viele unserer Mitarbeiter sind zwanzig oder dreissig Jahre bei Emmi. Wir haben eine 120-jährige Firmengeschichte. Wenn eine Frau einmal eine Weile weg ist, für vier Monate oder auch zwölf, spielt das wirklich keine Rolle. Wir wollen nicht Karrieren begleiten, sondern Lebenswege.

Das ist nicht überall so. Speziell auf Stufe CEO gibt es immer noch sehr wenige Frauen. Gemäss einer Auswertung des Executive-Search-Unternehmens Heidrick & Struggles ist die Schweiz im internationalen Vergleich sogar deutlich im Rückstand. Wieso schaffen hier so wenige Frauen, was Ihnen gelungen ist?

Demarmels: Ich kann nicht für die anderen reden. Es gibt aber den Dreiklang: wollen, können, dürfen. Ich gehe davon aus, dass jede Frau kann. Dann ist die Frage, ob sie will und darf.

Was heisst dürfen?

Demarmels: Dürfen heisst, dass das Geschlecht keine Rolle spielt. So bin ich aufgewachsen.

Haben Ihre Eltern Ihnen das mitgegeben?

Demarmels: Meine Eltern haben mich immer ermutigt. Mädchen oder Junge, das hat nie eine Rolle gespielt. Auch nicht bei mir im Kopf.

Bernsteiner: Bei Stadler Rail sehen wir das genau gleich. Ich würde mir aber wünschen, dass sich mehr Frauen für Technik begeistern. Im vergangenen Jahr kamen nur 16 Prozent der Bewerbungen von Frauen.

Weibliche CEO sind in der Schweiz die Ausnahme. Ricarda Demarmels hat es geschafft. An ihren Töchtern merkt sie, wie wichtig Vorbilder sind.

Tun Sie denn etwas dafür, dass Sie mehr Bewerbungen von Frauen bekommen?

Bernsteiner: Der tiefe Frauenanteil in technischen Branchen ist kein Stadler-spezifisches, sondern ein gesellschaftliches Thema. Der tiefere Frauenanteil im technischen Bereich zeigt sich bereits bei der Studienwahl, später bei der Berufs- und Branchenwahl. Immerhin sind inzwischen in all unseren Lehrgängen auch junge Frauen vertreten. Um das weiter zu unterstützen, haben wir einen Schnuppertag für Mädchen eingeführt, bei dem wir versuchen, Schülerinnen sehr früh für Technik zu begeistern.

Welche Rolle spielen Vorbilder?

Demarmels: Mein Mann und ich haben zwei kleine Mädchen. Bei der letzten Europameisterschaft fragte mein Mann unsere Tochter, ob sie auch Fussball spielen wolle. Meine Tochter antwortete: Nein, das machen nur Männer. Mit zwei Jahren! Da realisierte ich, dass wir wirklich Vorbilder brauchen. Aber eigentlich will ich nicht über diese Frauenthemen reden. Man zementiert damit Bilder.

Wie meinen Sie das?

Demarmels: Ich finde, dass Medien hier eine wahnsinnig wichtige Rolle spielen. Am Schluss gilt, dass die Wahrnehmung die Realität prägt. Ihr hättet es in der Hand, uns Frauen nicht immer über Frauenthemen zu befragen.

CEO-Frauen: Die Schweiz ist im Rückstand

In den Toppositionen der weltweit grössten, börsenkotierten Unternehmen sind Frauen immer noch eine Minderheit. Weltweit liegt der Anteil der CEO-Frauen bei lediglich 8 Prozent. Das zeigt eine Auswertung des Executive-Search-Unternehmens Heidrick & Struggles von 1221 Unternehmen aus 27 Märkten. Dabei gibt es zwischen den Ländern grosse Unterschiede. Am höchsten ist der Anteil in Australien und Neuseeland mit 15 Prozent, es folgen Schweden (14 Prozent), Singapur, Dänemark und Norwegen (13 Prozent). Das Schlusslicht ist Saudiarabien, wo es keine einzige CEO gibt. Nur knapp davor sind Kanada, Mexiko und die Schweiz mit einem Anteil von 2 Prozent. Gemäss Marion Fengler-Veith, Schweiz-Chefin von Heidrick & Struggles, gibt es in der Schweiz nach wie vor eine gläserne Decke. Neben Ems-Chemie sind Sulzer, Emmi und die Hypothekarbank Lenzburg grössere Firmen mit weiblichen CEO. Dass die Schweiz im Vergleich mit anderen internationalen Märkten so schwach abschneidet, ernüchtert die Headhunterin. «Die Hoffnung liegt auf der jüngeren Generation», so Fengler-Veith.

Wir reden mit Frauen auch über andere Dinge. In diesem Zusammenhang gehört es für uns zum Thema Karriere und Führung dazu. Aber sprechen wir doch über etwas anderes, und zwar über Geld: Im Geschäftsbericht wird für Sie, Frau Demarmels, eine Gesamtvergütung von 1,25 Millionen Franken ausgewiesen. Bei Ihnen, Herr Bernsteiner, sind es 1,92 Millionen. Sind Sie gut bezahlt?

Bernsteiner: Ich habe noch nie eine Diskussion über Geld geführt. Für mich ist es einfach nur ein Mittel, mit dem man sich etwas leisten kann. Wenn der Lohn zum Motivationsfaktor wird, machen wir in der Führung etwas falsch.

Macht Geld nicht zumindest einen Teil der Motivation aus? Ohne Bezahlung würden Sie Ihren Job wohl nicht machen.

Bernsteiner: Als ich zum ersten Mal meine Gesamtvergütung gesehen habe, war ich selbst erstaunt. Mir war die Aufgabe selbst immer viel wichtiger. Aber es gibt eben für jede Branche übliche CEO-Löhne.

Demarmels: Mir war im Leben immer wichtig, meine Freiheit beizubehalten – geistig wie finanziell. Das bedeutet auch, dass man nicht zu hohe Ausgaben aufbaut, um nicht abhängig von einem hohen Lohn zu werden. Nur dann hat man es selbst in der Hand, wie weit man für einen Job geht.

Andere CEO verdienen deutlich mehr als Sie, bei Sergio Ermotti waren es vergangenes Jahr beispielsweise über 14 Millionen Franken. Gibt es bei den Löhnen eine obere Schamgrenze?

Bernsteiner: Da werte ich nicht. Es gibt sicher Gründe, warum bestimmte Personen viel verdienen. Mich interessiert das nicht.

Mit einem hohen Lohn sendet ein CEO aber auch ein Signal an die Belegschaft: Seht her, ich bin so viel besser als ihr.

Bernsteiner: Ob eine Belegschaft Vertrauen in ihren Geschäftsführer hat, ist am Ende eine Charakterfrage und hat mit dem Lohn nichts zu tun.

Demarmels: Ich finde das schon eine spannende Frage, welches Signal ein hoher Lohn sendet. Denn die Schweiz hat ja durchaus einen impliziten Gesellschaftsvertrag, der besagt, dass alle am selben Strang ziehen. Und es ist wichtig, dass sich jeder daran hält, damit wir gemeinsam vorankommen. Nur wenn wir ein wettbewerbsfähiges Land sind, legen wir eine gute Basis für unsere Kinder und Enkel.

Wie kann man gewährleisten, dass sich jeder an diesen Vertrag hält?

Demarmels: Man muss ihn immer wieder in Erinnerung rufen. Auch hier haben die Medien eine grosse Verantwortung, differenziert und faktenbasiert das ganze Spektrum aufzuzeigen. Aber am Ende sind wir alle gefragt, wenn es darum geht, einen gemeinsamen Wertekompass zu schaffen und zu erhalten.

Auf was verzichten Sie als CEO?

Bernsteiner: Ich entscheide, wie ich meine Lebenszeit einsetze. Aus diesem Grund habe ich nicht den Eindruck, auf etwas zu verzichten. Das Einzige, wo ich im Rückblick mehr Zeit hätte investieren können, wäre bei der Familie gewesen, bei den zwei Kindern. Es war aber damals mein Entscheid, das so zu tun, wie ich es getan habe.

Demarmels: Natürlich verzichtet man als CEO auf sehr viel. Die Frage ist, ob man das als Belastung empfindet. Wenn man gerne macht, was man macht, dann ist die Arbeit eine Freude. Aber ich muss jeden Tag Entscheide treffen, wie ich meine Zeit einteile. Wenn man einmal einen Fehler macht, kann man daraus lernen.

Wie lernt man aus Fehlern?

Demarmels: Ich sitze jeden Abend mit meinem Notepad hin und reflektiere zwei Sachen, die ich besser machen kann, und eine Sache, die ich gut gemacht habe.

Jeden Tag zwei?

Demarmels: Früher überlegte ich sogar jeden Tag bei drei Sachen, was ich besser machen könnte. Ich merkte dann, dass das nicht förderlich ist, sondern schwächt. Jetzt mache ich zwei und eins.

Weil es vorher zu negativ war?

Demarmels: Ja. Das Hirn ist ein Muskel. Man tut gut daran, es positiv zu füttern, nur so entwickelt es sich positiv.

Bernsteiner: Im Austausch mit anderen Menschen bekommt man einen Spiegel vorgehalten. Wenn man das annehmen kann, lernt man automatisch und das Umfeld mit.

Was passiert, wenn Sie nicht weiterkommen, wenn Sie drei Stunden nachgedacht haben, ohne eine Lösung zu finden?

Demarmels: Es gibt einen berühmten Spruch eines Neurologen: Wenn du ein Problem hast, brate dir ein Spiegelei. Man sollte bewusst die Umgebung wechseln, damit sich das Hirn neu einstellen kann. Wenn man drei Stunden lang nicht weitergekommen ist, ist es vielleicht auch eine Aufgabe für das Team. «Be humble enough to ask» – seid demütig genug, um zu fragen.

Bernsteiner: Wenn ich nicht weiterkomme, schreibe ich es auf, schlafe darüber und gehe dann noch einmal dahinter.

Und wenn es dann immer noch nicht geht?

Bernsteiner: Dann kann man Fachexperten fragen.

Schieben Sie unangenehme Aufgaben manchmal auf?

Demarmels: Immer wieder.

Warum?

Demarmels: Man sagt, am frühen Morgen soll man den Frosch essen und die unangenehmen Sachen zuerst machen. Das ist nicht mein Ansatz. Ich glaube, dass das Hirn am Morgen am frischesten ist. Darum mache ich zuerst die grossen, wichtigen Sachen, für die ich Ruhe brauche. Am Abend arbeite ich enger getaktet.

Wie schaffen Sie es, sich diese längeren Ruhephasen freizuschaufeln?

Demarmels: Ich bin am besten, wenn ich Zeit zum Denken habe und voll eintauchen kann. Darum blockiere ich bewusst Halbtage dafür. Umgekehrt gebe ich mir enge Zeitfenster, um mich herauszufordern. Es ist ein Spass, wenn ich für diese Sache fünfzehn Minuten habe, für die nächste zehn und die dritte dreissig Minuten.

Bernsteiner: Unangenehm gibt es bei mir nicht. Es gibt einfach Aufgaben.

Wie ist es mit Entlassungen?

Bernsteiner: Wenn das Unternehmen in einem Talbereich umdisponieren muss, dann ist das so. Das ist eine Aufgabe. Ich habe keine negative oder positive Liste, sondern eine To-do-Liste. Bei dieser muss man priorisieren und sich fragen, was am wichtigsten und dringlichsten für das Unternehmen ist. Entsprechend formuliere ich meine Agenda.

Aufschieben gibt es nicht?

Bernsteiner: Natürlich gibt es Tage, an denen man für gewisse Aufgaben nicht so motiviert ist, so ist der Mensch, das darf man auch zeigen. Wichtig ist einfach, dass man aufsteht und weitermacht.

Jetzt haben wir viel gefragt. Haben Sie noch eine Frage?

Bernsteiner: Ich würde die Frage gerne an Lorena geben, die Emmi-Praktikantin, die heute dabei ist. Was interessiert euch junge Generation?

Lorena: Mich würde interessieren, was für Sie Erfüllung bedeutet.

Bernsteiner: Freiheit. Freiheit erfüllt mich.

Zu den Personen

Markus Bernsteiner, CEO von Stadler Rail

Markus Bernsteiner, Jahrgang 1966, ist seit 1999 beim Zugbauer Stadler Rail tätig. Seit Anfang 2023 leitet er das Unternehmen, nachdem sich der «Bahnpatron» Peter Spuhler in den Verwaltungsrat zurückgezogen hat. Bernsteiner ist gelernter Maschinenmechaniker und Vater von zwei Kindern.

Ricarda Demarmels, CEO von Emmi

Ricarda Demarmels ist 44 Jahre alt und stammt aus Graubünden. Seit 2023 leitet sie die Emmi-Gruppe, den grössten Milchverarbeiter der Schweiz, wo sie sich für eine wertschätzende Kultur einsetzt. Demarmels, Mutter von zwei kleinen Kindern, war schwanger, als sie 2019 als Finanzchefin zu Emmi kam.

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