Dienstag, Oktober 8

Der Schweizer Nahrungsmittelriese ist eigentlich auf Beständigkeit getrimmt. Die Absetzung von Konzernchef Mark Schneider zeigt, dass bei Nestlé etwas aus dem Lot geraten ist.

Nestlé ist kein Unternehmen wie jedes andere. Der Schweizer Konzern gilt als Supertanker in der globalen Firmenwelt. Das liegt einerseits daran, dass Nestlé der grösste Nahrungsmittelhersteller der Welt ist. In diesem Geschäft ändern sich die Dinge nicht von einem Tag auf den anderen. Es braucht langfristige Arbeit, um Marken aufzubauen und zu pflegen. Man muss den Kurs halten.

Anderseits ist Nestlé ein Supertanker, weil es für die Schweiz in mancher Hinsicht das wichtigste Unternehmen ist. Kein hiesiger Konzern ist, gemessen an der Bewertung an der Börse, wertvoller als Nestlé. Die Schweizerinnen und Schweizer müssen sich allein deshalb dafür interessieren, wie es beim Konzern aus Vevey läuft, weil das Unternehmen grosses Gewicht im Schweizer Aktienindex SMI hat – und damit Bestandteil der Pensionskassenvermögen der meisten ist.

Bruch mit der Tradition

Diese gewisse Behäbigkeit spiegelte sich bis jetzt auch in der Personalpolitik des Unternehmens. Bei Nestlé war es in den vergangenen Jahrzehnten Usus, dass ein Konzernchef viele Jahre im Amt bleibt – und danach ins Verwaltungsratspräsidium aufsteigt, nochmals für viele weitere Jahre. So war es bei den prägenden Konzernlenkern Peter Brabeck-Letmathe und Paul Bulcke. Letzterer ist seit 1979 im Unternehmen und amtiert heute noch als Präsident.

Es ist deshalb ein Bruch mit der Tradition, den Nestlé nun begeht. Der Konzernchef Mark Schneider ist überraschend vom Verwaltungsrat unter Paul Bulcke abgesetzt worden und wird ersetzt durch den Lateinamerika-Chef Laurent Freixe. Gewiss, Schneider war insofern ein Novum für Nestlé, als mit ihm im Jahr 2017 erstmals seit langem ein Manager von aussen als Konzernchef geholt worden war. Schneider durfte mithin auch siebeneinhalb Jahre wirken, und mit dem 62-jährigen Franzosen Freixe folgt auf ihn nun ein Nestlé-Urgestein.

Kurssturz als Schock

Dennoch ist eine solche Absetzung für Nestlé ungewöhnlich. Sie wirft die Frage auf, ob beim Nahrungsmittelriesen etwas grundsätzlich im Argen liegt. Bis noch vor einem Jahr war Schneider gelobt worden, weil er die Geschäfte von Nestlé konsequent umgebaut hatte, zukunftsträchtige Sparten wie Kaffee, Tierfutter und Gesundheitsprodukte stärkte sowie Innovationen und das Thema Nachhaltigkeit forcierte.

Erst ab vergangenem Herbst tauchten vermehrt schlechte Nachrichten auf. Im Wassergeschäft musste das Unternehmen eingestehen, dass es in Frankreich und in der Schweiz jahrelang illegale Reinigungsmethoden für natürliches Mineralwasser verwendet hatte. Im Vitamingeschäft gab es einige operative Schwächen, die ungewohnt für Nestlé waren. Vor allem liess aber das Wachstum zu wünschen übrig: Konkurrenten vermochten dem erfolgsverwöhnten Konzern Marktanteile abzunehmen.

Sein Amt gekostet haben dürfte Schneider letztlich der Aktienkurs des Unternehmens. Im vergangenen Herbst tauchte er unter die Marke von 100 Franken und erholte sich seither nicht mehr. Ein Schock war für die Nestlé-Führungsspitze die Reaktion auf das Halbjahresergebnis vor einem Monat: Der Aktienkurs brach um 5 Prozent auf unter 90 Franken ein. Die Zahlen waren nicht schlecht, aber Nestlé hatte die eigenen Voraussagen nicht eingehalten. Intern wurde der Kurssturz als Vertrauensverlust unter den Anlegern interpretiert. Es machte sich der Eindruck breit, dass der Nestlé-Konzern feststeckt.

Hoffnungen ruhen auf einem Urgestein

Für den Verwaltungsrat war Schneider nicht mehr der richtige Mann, um den Konzern aus diesem Tief herauszuführen. Vom Urgestein Freixe, der fast alle Märkte und Regionen des Konzerns aus dem Effeff kennt, wird nun erwartet, dass er den Konzern wieder auf Wachstum trimmt. Er soll weniger mit verspielten Produktinnovationen glänzen und stattdessen mit den starken Nestlé-Kernmarken Verkaufserfolge in den Läden liefern. Gemessen wird Freixe vor allem an einem werden: ob sich der Aktienkurs langfristig erholt.

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