Mittwoch, April 30

Anselm Kiefer fand als Erstes in den Niederlanden Anerkennung. Und sein Held war schon als Teenager Vincent van Gogh. Zu Kiefers 80. Geburtstag richtet Amsterdam dem deutschen Berserker der Nachkriegskunst eine Retrospektive gleich in zwei Museen aus.

Anselm Kiefers Werk ist eine monumentale, sperrige und nicht zuletzt auch düstere Materialschlacht. Die erdrückende Last seiner Kunst rührt von der für Kiefer nie vergehenden Vergangenheit her. Tonnenweise hat der deutsche Künstler deutsche Kriegsschuld auf seine Werke geschichtet. Kiefer, das war und ist manchen etwas zu viel. Kein Wunder, braucht es jetzt in Amsterdam für die Retrospektive zum 80. Geburtstag dieses Berserkers der Nachkriegskunst gleich zwei Museen: Dessen riesige Gemälde drohen auch noch die lichtesten Ausstellungsräume zu erdrücken.

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Die Schau erstreckt sich vom Van-Gogh-Museum bis in die Räume gleich nebenan im Stedelijk-Museum. In dessen Sammlung befinden sich bedeutende Werke Kiefers, der als Erstes nicht in seiner Heimat, sondern in den Niederlanden Anerkennung fand. Darum also eine Retrospektive in Amsterdam. Warum aber auch im Van-Gogh-Museum?

Diesen finsteren Giganten der Gegenwartskunst über einen Künstlerstar wie Vincent van Gogh zu vermitteln, ist gewiss eine gute Idee. Anselm Kiefer aber zusammen mit der berühmten wie tragischen Künstlergestalt zu zeigen und damit einem breiteren Publikum zu erschliessen, liegt auch noch aus einem anderen Grund auf der Hand. In Vincent van Gogh hat Anselm Kiefer einen Seelenverwandten gefunden. Das niederländische Künstlergenie war für den Deutschen die grosse Inspirationsquelle. Das macht jetzt die Doppelausstellung in Amsterdam mehr als deutlich.

Sonnenblumen im Blow-up-Format

Anselm Kiefer hat van Gogh oft kopiert. Allerdings immer in Blow-up-Format. So lässt er jetzt auf einem raumhohen Gemälde eine riesige schwarze Sonnenblume ihren Kopf über die Besucher hängen. Daneben öffnet sich auf einem monumentalen Querformat ein weites, ödes Feld, das von einer staubigen Landstrasse durchfurcht wird. Man wähnt sich unter der sengenden Sonne von Südfrankreich, wo van Gogh seine halluzinierenden Landschaften auf die Leinwand gebannt hatte. Mit markanten, schwarzen Spuren von Ölfarbe im Himmel-Grund aus Blattgold tönt Kiefer die Krähen an, die bei van Gogh über einem leuchtend goldenen Kornfeld einen delirierenden Totentanz vollführen.

«Die Krähen» heisst das riesige Bild von 2019 bei Kiefer. «Krähen über Weizenfeld» lautet der Titel des im selben Raum gezeigten Gemäldes von van Gogh. Es soll sein letztes Werk gewesen sein, bevor er sich am 27. Juli 1890 eine Kugel in die Brust schoss.

Daneben sind ein paar zerschlissene Schuhe zu sehen – ein kleines Bild von magisch beseelter Präsenz, das fast wie ein Porträt anmutet. Es ist wohl das Schuhwerk einer Bäuerin, von van Gogh gemalt 1886 noch ganz im Stil seiner holländischen Periode, die von Braun-, Grau- und Schwarztönen bestimmt war. Jetzt in der Kiefer-Schau glaubt man in diesen geschundenen Schuhen unweigerlich das Resultat langer und strapaziöser Erkundungen in den schrundigen Weiten von Anselm Kiefers rauer Landschaftsmalerei zu erkennen.

Van Gogh hat sich für seine Kunst aufgerieben. Er ist selber verblüht wie eine Sonnenblume – oder verglüht wie es einst dem Gestirn beschieden sein wird, dem der Name dieser Pflanze seine Reverenz erweist. Ein anderes kleines Bild – «Sunflowers gone to seed» von 1887, fast schon ein symbolisches Selbstporträt – nimmt das tragische Ende vorweg. Es zeigt die welkenden, abgeschnittenen Köpfe von Sonnenblumen: die Vergänglichkeit des Lebens. Für Vincent van Gogh wie auch für Anselm Kiefer symbolisiert die Sonnenblume den ewigen Zyklus der Natur.

Dazu Kiefer: «Die Sonnenblume steht mit den Gestirnen in Verbindung, denn sie wendet ihren Kopf zur Sonne hin. Und in der Nacht ist sie geschlossen. Sie explodiert in phantastischem Gelb: Und das ist bereits der Punkt ihres Niedergangs. Deshalb sind Sonnenblumen ein Symbol unserer Condition d’être.» Unter seiner riesigen Sonnenblume von 1995 hat sich der Deutsche selber in der Totenstellung wiedergegeben, in der die Seele des Yogi eins wird mit der Natur.

Wie die Sonnenblume hat sich einst auch Kiefer gleichsam der Sonne zugewendet – seiner imaginären Künstler-Sonne van Gogh –, als er sich als junger Mann auf die Spuren seines Idols begab. Van Gogh nämlich war schon sein Held, als Kiefer noch ein Teenager war – 1960 mit fünfzehn fertigte er eine Kopie von van Goghs «Selbstporträt als Maler» von 1887/88 an, gleichsam, um seinen Entschluss zu untermauern, selber Künstler werden zu wollen.

1963 machte er sich als 18-Jähriger mit einem Reisestipendium auf nach Zundert, van Goghs Geburtsort. Von dort pilgerte Kiefer zum Teil per Autostopp über Amsterdam und Paris bis nach Arles, Saint-Rémy-de-Provence und Auvers-sur-Oise, wo van Gogh seine letzten Monate verbrachte. Der Van-Gogh-Trip – Kiefers erste Auslanderfahrung – war eine Art Initiation, erinnerte er sich später. Entstanden war ein Reisejournal mit unzähligen von van Gogh inspirierten Zeichnungen sowie zahlreichen Notizen.

Kiefer war es dabei nicht um den Van-Gogh-Kult des verkannten und leidenden Künstlers zu tun gewesen. Er interessierte sich nicht sonderlich für das emotionale Innenleben des unglücklichen Genies. Denkbar wäre das gewesen, als er sich als angehender Künstler aufmachte, um gleichsam in dessen Fussstapfen zu treten. «Was mich beeindruckte, war die rationale Struktur, die souveräne Konstruktion von van Goghs Bildern in einem Leben, das zusehends seiner Kontrolle entglitt», notierte er in sein Reisetagebuch. Bereits damals wird Kiefer realisiert haben, dass Leben und Werk eines Künstlers zweierlei Dinge sind.

Kunst als das Unmögliche

Was Kiefer bis auf den heutigen Tag an van Gogh fasziniert, ist «diese trotzige Entschlossenheit, das Unmögliche nicht nur zu versuchen, sondern zu erzwingen». Eine solche Fährte verfolgt auch er selber mit äusserster Entschlossenheit und Hartnäckigkeit, wenn man sein immenses Werk und seine Arbeitsweise betrachtet.

Für seine Sisyphusarbeit benötigt Kiefer ganze Fabrikhallen als Ateliers. Solche unterhielt er im Odenwald, dann bei Paris, heute arbeitet er in Südfrankreich. Dort schuftet er wie ein Besessener, wenn er Leinwände mit Farbe bewirft, mit Säure verätzt oder gar mit Flammenwerfern und anderem schwerem Gerät malträtiert. Damit will er vor allem eines demonstrieren: dass Kunst heute nur noch Verletzung, Trümmer, Zerstörung sein kann.

Denn Kiefer hat eine fast unmögliche Hypothek auf seine Schultern geladen: Geboren 1945, als sich der Zweite Weltkrieg in den letzten Monaten befand, gehört er wie sein Lehrer Joseph Beuys oder Gerhard Richter zu jener Generation deutscher Nachkriegskünstler, die sich die von Theodor W. Adorno aufgeworfene Frage stellen, wie man nach der Shoah noch Kunst machen könne. Daher rührt die schiere Unmöglichkeit von Kiefers künstlerischem Tun.

Anselm Kiefer ist der Künstler in Deutschland, der sich wohl am beharrlichsten mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat. In ihm steckt gleichsam eine kriegsversehrte Künstlerseele. Und so sehen denn auch seine Landschaften aus: zerfurchte Einöden, abgebrannte Stoppelfelder. «In meinen Werken können Sie den endlosen Kampf sehen – das ständige Verwerfen von Ergebnissen, die nicht meinen Ansprüchen gerecht werden.»

Kiefer hat einmal gesagt, dass nur der Bilderstürmer ein wahrer Künstler sei. In van Gogh, dem er im Gegensatz zu Picasso oder Matisse die Leichtigkeit des Talents abspricht, sieht er denn auch den um Form und Ausdruck ringenden, verzweifelten Maler, der nach dem Unmöglichen sucht. «In seinem ganzen Leben», so Kiefer, «wollte van Gogh etwas Grosses schaffen. Und scheiterte permanent.»

In Kiefers Augen war auch van Gogh ein Bilderstürmer. Mit Bildern wie etwa den berühmten «Kartoffelessern» gelang ihm viel. Diese dunkel-düsteren Anfänge aber radierte van Gogh später gleichsam aus: nämlich durch das tödlich-gleissende Licht der Sonne seines brillanten Spätwerks. In solchem Furor legen beide, Kiefer wie van Gogh, wenn es um die Sache der Kunst geht, denselben unerbittlichen Ernst an den Tag.

«Anselm Kiefer – Sag mir wo die Blumen sind», Van-Gogh-Museum und Stedelijk-Museum, Amsterdam, bis 9. Juni. Katalog: 32 Euro.

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