Donnerstag, Januar 16

Viola Amherd war die erste weibliche Verteidigungsministerin der Schweiz. Das letzte Jahr stand sie unter Dauerkritik, in den vergangenen Tagen war sie gar mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Zum Abschied kritisiert sie die sich «ausbreitende Gehässigkeit im politischen Diskurs».

Nicht einmal ihren Rücktritt durfte Viola Amherd selbst verkünden. Wenige Minuten bevor die Bundesrätin zu ihrer Rede ansetzen wollte, kam ihr ein Journalist zuvor. Er habe gehört, sie trete heute noch zurück, sagte er – und platzte so mitten in die Medienkonferenz zum neuen Dienstmodell für Armee, Zivilschutz und Zivildienst hinein. Allerdings sei er zu spät gekommen: «Habe ich das verpasst?»

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Er habe nichts verpasst, antwortete die Bundesrätin lächelnd und beantwortete weiter Fragen zum Dienstmodell, als wäre nichts. Ein paar Minuten darauf sagte sie dann doch auf Französisch: «Ich habe heute die Präsidentin des Nationalrates und den Bundesrat informiert, dass ich auf den 31. März 2025 zurücktrete.»

Man könnte die Szene vom Mittwoch als Leak der Leaks von Amherds politischer Laufbahn bezeichnen. Die Verteidigungsministerin wurde im letzten Jahr von Indiskretionen fast schon verfolgt. Sonst erinnerte ihr Auftritt an den Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf. Auch die Bündnerin handelte zuerst in Ruhe ein Geschäft aus der Bundesratssitzung ab, bevor sie danach unvermittelt ihr Ausscheiden aus der Landesregierung verkündigte.

Dass es auch weniger bescheiden geht, zeigte beispielsweise Alain Berset, der die Medien einzig für seine Rücktrittsankündigung zu einem mehr als einstündigen Point de Presse einlud. Amherd benötigte dafür nicht einmal 20 Minuten. Und sie überraschte damit die politische Schweiz. Sogar wichtigste Parteimitglieder wurden dem Vernehmen nach erst am Mittwochmorgen um 9 Uhr informiert, also wenige Stunden vor der Pressekonferenz.

Kein Leben ohne Hauser-Süess

Beobachter rechneten zwar damit, dass Amherd bald zurücktritt. Aber sie gingen davon aus, dass sie noch mindestens bis im Sommer bleibt. Nicht nur, um die Europameisterschaft der Fussballerinnen in der Schweiz mitzuverfolgen – der Spitzensport der Frauen war ihr als Feministin immer ein Anliegen. Nein, vor allem auch, um ihren Kritikern zu trotzen, zuvorderst der SVP: Erst letzten Samstag hat die Partei den Rücktritt der Bundesrätin gefordert. Ein für Schweizer Verhältnisse ungewöhnlicher Schritt.

Häufig reagieren Bundesräte auf Rücktrittsphantasien der Konkurrenz mit Trotz und bleiben erst recht im Amt. Auch rechneten Gegner damit, dass Amherd aller Welt zeigen wolle, dass sie es auch ohne ihre Vertraute Brigitte Hauser-Süess aushalten werde, welche Ende Jahr pensioniert wurde. Jetzt hat Amherd kurz darauf ihren eigenen Rücktritt angekündigt. «Der Zeitpunkt des Rücktritts ist das Einzige, was ein Bundesrat allein bestimmen kann. Ich habe das für mich entschieden», sagte sie auf die Frage eines Journalisten, ob der Zeitpunkt des Rücktritts nach der SVP-Forderung nicht seltsam sei.

Vielleicht hat sie aber auch einfach keine Energie mehr. In letzter Zeit stand die Verteidigungsministerin in Bern zunehmend isoliert da. Zeitweise sah es so aus, als seien ein paar treue Parteikolleginnen und eine Gruppe linker Frauen die Einzigen, die ihr noch die Stange hielten. Anfang Jahr veröffentlichten die Mitte-Frauen ein Communiqué, in dem sie die Erfolge der Magistratin lobten. Sie decken sich mit den Erfolgen, welche die abtretende Verteidigungsministerin am Mittwoch von einem Blatt Papier ablas: deutlich mehr Ressourcen für die Armee, das neue Kommando Cyber, das neue Staatssekretariat für Sicherheitspolitik, die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit oder die erste sicherheitspolitische Strategie der Schweiz.

Als Bundespräsidentin konnte die glühende Europäerin im Jahr 2024 auf dem Bürgenstock oder bei den EU-Verhandlungen aussenpolitisch glänzen. Doch es gelang ihr nicht, als Verteidigungsministerin innenpolitisch die Führungsrolle zu übernehmen, die angesichts der geopolitischen Lage nötig wäre. Im Bundesrat stand sie dem undurchdringlichen Viererblock aus SVP und FDP gegenüber, mit Finanzministerin Karin Keller-Sutter liegt sie dem Vernehmen nach im Clinch. Und im Parlament lief sie nicht nur mit Finanzierungsideen für die Armeenachrüstung auf, sondern sah sich auch zunehmender Kritik an ihren Führungskompetenzen, ihrer Strategie und ihrem Finanzmanagement ausgesetzt. Dies nicht zuletzt wegen diverser Indiskretionen aus ihrem Departement und der Armee.

Amherd gelang es nicht, die Bedenken zu zerstreuen. Stattdessen reagierte sie je länger, je unsouveräner. Auf Kritik an der teilweise verwirrenden Kommunikation ihres Departements antwortete sie an einer Medienkonferenz lapidar: «Wir sind immer froh um gute Ratschläge.» Als bürgerliche Parlamentarier bemängelten, es fehle eine bundesrätliche Gesamstrategie für die Armee, erklärte sie in einem Interview: Man müsse die vorhandenen Papiere nur lesen. Es schien fast, als ob der Bundesrätin die Lust am politischen Verhandeln vergangen sei. Als würde sie gar nicht mehr versuchen, Mehrheiten zu finden oder Kritiker zu überzeugen.

Amherd selbst liess am Mittwoch durchaus eine gewisse Politikmüdigkeit durchblicken. Zwar sagte sie, sie habe schon viele «Medienkampagnen» erlebt und habe diese bis anhin «gut überstanden». Auch müsse «man» Kritik «immer ernst nehmen». Aber: Die «wachsende Polarisierung», «die sich ausbreitende Gehässigkeit im politischen Diskurs» und die vermehrte «Durchsetzung von Partikularinteressen durch reine Machtausübung» mache ihr Sorgen. Es sei Aufgabe der Politik und der Medien als vierte Gewalt, dagegenzuhalten.

Vielleicht haben ihr die Konflikte um die Nachrüstung der Armee mehr zugesetzt, als sie zeigt. Eigentlich hat Amherd schon viele Kämpfe hinter sich. Als Feministin am linken Rand der Mitte hatte es die Politikerin im konservativen Wallis nicht einfach. Als sie 2018 als Bundesratskandidatin gehandelt wurde, gab es Gegenwind aus den eigenen Reihen. Einflussreiche Mitte-Politiker hatten sich bis zum Schluss nicht mit ihrer Rolle angefreundet, ja schienen ihre Arbeit sogar zu torpedieren.

Am linken Rand

Amherd fand Unterstützung in ihrem Netzwerk aus Politikerinnen der ehemaligen CVP-Frauen rund um Hauser-Süess. Es ist vielleicht eine Ironie des Schicksals, dass sie als Feministin die erste Vorsteherin des männlich dominierten Departements Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) wurde. Die Juristin hatte keine Rekrutenschule absolviert und zuvor auch keine Berührungspunkte mit der Armee – ein Hintergrund, der einer Politikerin den Einstieg in die Sicherheitspolitik nicht unbedingt vereinfacht.

Vor ihrer Bundesratskarriere hatte sich Amherd eher für soziale Themen engagiert. Im Wallis arbeitete sie in den 1990er Jahren als Scheidungsanwältin und Notarin. Daneben war sie Stadträtin von Brig und kandidierte 2005 erfolgreich als Nationalrätin. Auf dem nationalen Politparkett setzte sie sich für den Schutz von Kindern und Jugendlichen ein. Sie reichte Vorstösse zu Kinderprostitution, Sorgerechtsvereinbarungen oder Jugendschutz im Internet ein.

Wie alle Bundesräte vor ihr übernahm sie die Rolle als Verteidigungsministerin nicht freiwillig: Das VBS gehört zu den unbeliebten Departementen. Bis Ende 2021 galt es dazu noch als relativ bedeutungslos. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurde das VBS plötzlich zu einem Schlüsseldepartement, die Nachrüstung der Armee gehört zu einem der Kernanliegen der Bürgerlichen.

Sie fliehe nicht vor den Herausforderungen, die das VBS und die Armee in der geopolitischen Lage meistern müssten, sagt sie auf die Frage eines Journalisten. In den letzten 30 Jahren sei kein Verteidigungsminister so lange im Amt gewesen wie sie. Tatsächlich haben Amherds Vorgänger aus der SVP, Ueli Maurer und Guy Parmelin, bei der ersten Gelegenheit das Departement gewechselt. Amherd blieb. Jetzt geht sie.

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