Donnerstag, Januar 16

Eine positive Bilanz und ein bisschen Demut: Die Verteidigungsministerin gibt sich als treue Dienerin des Staates, die ihr Bestes gegeben hat. Doch ihre Leistung ist durchzogen.

Am Samstag forderte die SVP an ihrer traditionellen Kadertagung im «Bad Horn» ihren Rücktritt. Viola Amherd, seit sechs Jahren Vorsteherin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), beschäftige sich lieber mit Gender-Themen in der Armee als mit deren Ausrüstung. Das Verteidigungsdepartement und die Armee brauchten eine neue Führung. Schlussfolgerung: «Abtreten, Frau Bundesrätin Amherd. Und zwar schnellstmöglich.»

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Vier Tage später gibt Viola Amherd tatsächlich ihren Rücktritt bekannt. Neun Tage nachdem bereits der Präsident ihrer Mitte-Partei, Gerhard Pfister, seinen Rücktritt angekündigt hatte. Das kann Zufall sein oder auch nicht. Aber es passt zu ihr. Die 62-jährige Oberwalliserin liess sich noch nie gern in die Karten blicken.

Grad zleid? Nicht Amherd

In der Schweiz sind Rücktrittsaufforderungen selten, und sie sind verpönt. Werden Magistraten zum Rücktritt aufgefordert, regen sich die harmoniebedürftigen Eidgenossen in der Regel auf und solidarisieren sich mit den Kritisierten. Die bleiben dann gerne grad zleid länger, und die Kritiker können sich ärgern.

Doch Viola Amherd ist nicht der Typ, der etwas aus Trotz macht. Sie ist auch nicht der Typ, der etwas aus Trotz nicht macht. Sie ist der Typ, der sich etwas vornimmt und es dann durchzieht. Sie wollte Bundesrätin werden und wurde es. Sie will nicht mehr Bundesrätin sein und tritt nun zurück. Mag das Timing noch so ungünstig wirken, mag es aussehen wie ein seltsames Spiel zwischen dem ewigen Bundesratsanwärter Pfister und ihr – Viola Amherd lächelt auch das mit ihrem Sphinx-Lächeln weg.

Offenbar stimmt, was man sich im Politbetrieb schon lange erzählt: Sie wollte ihre Politkarriere mit dem Bundespräsidium von 2024 krönen und sich dann in den Ruhestand zurückziehen. In die Freiheit, die ihre langjährige politische Beraterin Brigitte Hauser-Süess bereits seit Dezember geniesst. Die Bundesrätin hatte das Mandat ihrer Begleiterin noch um ein halbes Jahr verlängert. Länger war nicht möglich, und viel länger will offenbar auch Viola Amherd nicht bleiben. Bereits in der Frühlingssession im März sollen Neuwahlen stattfinden.

Meisterin der kleinen Wege

Die Walliserin entstammt demselben Kosmos wie Alt-Bundesrat Pascal Couchepin oder der frühere SP-Präsident Peter Bodenmann. Aber sie ist weder ein Silberrücken noch eine Saftwurzel. Als sie 2018 als Nachfolgerin der Sonnenkönigin Doris Leuthard in den Bundesrat gewählt wurde, war sogar ihr Parteipräsident erstaunt. Die Notarin aus Brig hatte nicht zu den Favoriten gezählt. Man hielt sie für zu wenig direkt, zu wenig führungsstark und zu farblos.

Doch Viola Amherd weiss, wie sie ihre Ziele erreicht: selten über die Hauptstrasse, meist über kleine Gässchen und verschlungene Wege. Sie wollte die Schweiz näher an die EU heranführen und nutzte das Bundespräsidium und ihre guten Kontakte zur EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, um die Landesregierung zum Abschluss der bilateralen Gespräche zu drängen. Sie wollte, dass die neutrale Schweiz ihre Sicherheitspolitik internationalisiert, und brachte den Bundesrat dazu, dass er im vergangenen November die Teilnahme der Schweiz an einer Krisenmanagementübung der Nato bewilligte. Sie wollte, dass sich die Schweiz wieder vermehrt auf die Tradition der Guten Dienste besinnt, und organisierte im Juni gemeinsam mit Aussenminister Ignazio Cassis die Bürgenstock-Konferenz zum Frieden in der Ukraine.

Die aussenpolitische Bilanz der in der Bevölkerung sehr beliebten Bundesrätin lässt sich sehen. Innenpolitisch sieht es anders aus. Als Verteidigungsministerin hätte Viola Amherd eine führende Rolle im Bundesrat einnehmen können, aber das tat sie nicht. Für die Probleme der Armee, die vor der grössten Herausforderung seit dem Kalten Krieg steht, schien sie sich nie mit demselben Feuer zu engagieren wie für die Europapolitik.

Die Schweiz liess es sich seit dem Fall der Berliner Mauer mit der Friedensdividende gutgehen. Bei der Verteidigungsfähigkeit wurde seit 1991 nur noch gespart. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine soll die Armee nun wieder kriegstauglich gemacht werden; doch die politische Schweiz streitet sich darüber, wie viel Geld die Armee wofür und in welcher Zeit braucht.

Viola Amherd hätte der Politik schon lange einen Plan vorlegen sollen, der aufzeigt, wie das gelingen kann, doch sie hielt das für überflüssig und musste dazu gezwungen werden. Noch Anfang Dezember beschied sie Kritikern, die eine politische Gesamtstrategie forderten, die Planung liege schon lange vor: Es gebe verschiedene Grundlagenberichte, die Armeebotschaft und das sogenannte «Schwarze Buch» der Armee. «Man muss die Papiere nur lesen.»

Mit derselben Nonchalance pflegte ihr Departement auch auf Berichte über die vielen Pannen in der Armee zu reagieren. Ob die Medien über Finanz- oder IT-Probleme schrieben, Amherd und ihr Umfeld reagierten immer abwehrend. Erst wenn es nicht mehr anders ging, pflegte die Departementschefin an die Öffentlichkeit zu treten, um dann von «Missverständnissen» zu reden.

Als das öffentliche Radio und Fernsehen im Februar vergangenen Jahres von einem «Milliardenloch in der Armee» berichtete, sagte sie, es gebe keines, und überliess es dem Armeechef Thomas Süssli, den Sachverhalt zu erklären. Der sprach dann von einem Liquiditätsengpass, was ihr auch nicht genehm war.

Amherd weiss, dass die Armee mehr Geld braucht, wenn sie – um den Armeechef Süssli zu zitieren – ihre Fähigkeitslücken schliessen soll und wieder glaubwürdig werden will. Doch Amherd wählte auch bei der Armeefinanzierung nicht den direkten Weg, sondern kleine Hintergässchen.

Als der Bundesrat Anfang 2023 gegen den Willen des Parlaments beschloss, das Armeebudget erst per 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen und nicht schon per 2030, tat Amherd lange so, als trage sie den von der Finanzministerin geprägten Entscheid mit.

Es dauerte allerdings nicht lange, bis sie durchblicken liess, dass sie persönlich dafür wäre, die Armee schneller mit mehr Geld auszustatten. In einem Zeitungsbeitrag schrieb sie unverblümt, die Schweiz müsse jetzt in die Gesamtverteidigung investieren.

Amherd gibt sich selbst die Note 5

Viola Amherd hatte das VBS unfreiwillig übernommen. Doch sie blieb. Von Anfang an machte sie klar, dass sie eine offenere Armee wollte, eine frauenfreundlichere, eine transparentere, eine ohne Skandale. Sie brachte den neuen Kampfjet durch die Volksabstimmung und liess ein neues Staatssekretariat für Sicherheitspolitik gründen.

Nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga hätte sie Ende 2022 das Umwelt- und Verkehrsdepartement übernehmen können, doch sie schlug einen Wechsel aus. Sie parierte weiterhin jedes Leak, jede Panne und jede politische Dummheit mit robustem Charme, doch ihre Bilanz als Verteidigungsministerin besserte sie nicht auf.

Kurz vor Weihnachten hat sie einen Brief der Finanzdelegation der Bundesversammlung erhalten. Die Parlamentarier äussern sich darin besorgt über mehrere IT-Schlüsselprojekte im VBS. Angesichts eines Gesamtvolumens von 19 Milliarden Franken seien die zunehmenden Verzögerungen, steigenden Risiken und unzureichenden Ressourcen beunruhigend, schreiben sie.

Ist die Verteidigungsministerin ebenfalls beunruhigt? An der Medienkonferenz gab sie zu, dass nicht «alles perfekt gelaufen» sei. Allerdings habe sie auch «ein paar wichtige Pflöcke» eingeschlagen. In ihrem Abschiedsbrief an die Nationalratspräsidentin schrieb sie von 25 Jahren in einer Exekutivfunktion, vom Stab, den sie an unverbrauchte Kräfte weitergeben wolle, vom Respekt vor den Institutionen und von einer Aufgabe, die sie nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt habe. Sie schreibt von herausfordernden Zeiten mit sich überlappenden Krisen, der Wichtigkeit der Sicherheitspolitik und ihrer Dankbarkeit, dass zahlreiche wichtige Projekte im VBS von Bundesrat, Parlament und Bevölkerung gutgeheissen worden seien.

Sie sagt kein falsches Wort, aber auch keines, das bleibt. Sie gibt sich selbst die Note 5, bevor ihr die Journalisten und Politiker eine 4,5 geben können.

Die lächelnde Sphinx bleibt sich auch beim Abschied treu.

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