Freitag, Oktober 11

Im laufenden Abstimmungskampf zum Gesundheitswesen erinnert manches an die Kontroverse beim Urnengang zur beruflichen Vorsorge. Doch ein knapperer Ausgang ist zu erwarten.

Gute Nachrichten für die SP-Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider: Sie hat im laufenden Abstimmungskampf zur Gesundheitsreform immerhin gut die Hälfte der Nationalratsfraktion ihrer Partei hinter sich. Das war bei früheren Urnengängen schon ganz anders. Baume-Schneider präsentierte am Freitag vor den Medien die Argumente des Bundesrats für die Finanzierungsreform im Gesundheitswesen. Sie scheint auch persönlich engagiert zu sein. Ihr Engagement im Abstimmungskampf könnte eine wesentliche Rolle spielen.

Doch es wird erneut ein schwieriger Abstimmungskampf für die Regierung. Einiges erinnert an die Kontroverse um die Pensionskassenreform: Es geht um ein technisch klingendes Thema mit komplexen Zusammenhängen; offiziell ist eine breite Allianz für die Reform, doch die Begeisterung hält sich auch bei manchen Befürwortern in Grenzen; ein gewerkschaftliches Referendumskomitee schürt durch bewusst irreführende Behauptungen zu den direkten Folgen für die Portemonnaies der Bürger erfolgreich Verunsicherung; die Unsicherheit ist ein fruchtbarer Humus für Nein-Stimmen.

Künftig soll die Finanzierung von Gesundheitsleistungen im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes nach einem einheitlichen Schlüssel erfolgen: 73,1 Prozent zahlt die Grundversicherung der Krankenkassen und damit der Prämienzahler, 26,9 Prozent tragen die Steuerzahler von Kantonen und Gemeinden. Die Kantone könnten ihren Anteil aus eigenem Antrieb auch erhöhen. Der neue Schlüssel soll für ambulante Leistungen, stationäre Leistungen und auch für die Pflege gelten. Zurzeit ist der Anteil der Krankenkassen bei ambulanten Leistungen 100 Prozent, bei stationären Leistungen rund 45 Prozent, und in der Pflege sind es etwa 54 Prozent.

Die Vereinheitlichung des Finanzierungsschlüssels soll Fehlanreize der Akteure lindern. So dass zum Beispiel ein insgesamt teurerer stationärer Eingriff im Spital in der Rechnung der Krankenkassen nicht mehr billiger kommt als die insgesamt günstigere ambulante Behandlung.

Steuerzahler mehr gerupft

Die Linke und die Rechte sind bei dieser Vorlage gespalten. Aus linker Sicht müsste man «eigentlich» für die Vorlage sein. Denn die Reform wird wahrscheinlich den Anteil der Steuerfinanzierung im Gesundheitswesen erhöhen und den Anteil der Prämienfinanzierung senken. Die Prämien werden zwar weiter steigen, aber vermutlich weniger als ohne Reform.

Der vorgesehene neue Verteilschlüssel entspricht dem Durchschnitt der Verteilung für stationär, ambulant und Pflege in der Referenzperiode 2016 bis 2019. Doch seither ist der Anteil der Finanzierung durch die Krankenkassen bis 2022 wegen Verlagerungen von stationär auf ambulant gestiegen und dürfte in Zukunft weiter wachsen. Die Umverteilung zugunsten der Prämienzahler durch die Reform könnte 2032 nach Ende der Übergangsperiode etwa eine bis zwei Milliarden Franken pro Jahr ausmachen.

Zudem dürfte die Reform wegen der Linderung von Fehlanreizen die Verlagerung von stationären zu ambulanten Eingriffen verstärken; dies vor allem, wenn die neue Finanzierung auch zur Veränderung der Tarifstrukturen zugunsten von ambulanten Behandlungen führt.

Ein möglicher politischer Effekt kommt hinzu: Ist ein einheitlicher Verteilungsschlüssel einmal in Kraft, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Vorstösse zur Erhöhung der Steuerfinanzierung kommen – zum Beispiel von rund 27 Prozent auf 30 oder 35 Prozent oder via offensive Volksinitiative auch auf 50 Prozent. Je nach Ausmass künftiger Prämienniveaus könnten solche Vorstösse gute Chancen haben.

Risiko erkannt

Auch manche bürgerlichen Befürworter einschliesslich der Kantone sind sich des genannten politischen Risikos bewusst. Bürgerliche Befürworter nehmen dieses Risiko in Kauf, oder sie akzeptieren, dass der Anteil der Steuerfinanzierung zwecks Dämpfung des Prämienanstiegs wachsen wird. Bei gewissen Köpfen in der SVP trägt dieses Risiko indes zur Skepsis gegenüber der Vorlage bei. SVP-Kritiker warnen gleichzeitig aber auch vor höheren Prämien wegen der Reform. Beides kann gleichzeitig nicht stimmen. Die Partei muss entscheiden, was sie will; an der Basis dürfte vor allem die Prämienfrage zentral sein. Die Delegiertenversammlung wird am Samstag die offizielle SVP-Parole fassen.

Das Referendum von links ist nicht leicht zu verstehen. Die Kernparole des Referendumskomitees («höhere Prämien, schlechtere Pflege») entstammt dem gleichen Märchenbuch wie die Hauptparole der Referendumsführer gegen die Pensionskassenreform («mehr Beiträge für weniger Rente»). Doch politisch könnten die Gegner mit ihrer Parole ähnlich erfolgreich sein. Laut der ersten Umfrage des Instituts Leewas für Tamedia stösst vor allem die Behauptung über höhere Krankenkassenprämien auf grosse Resonanz.

Der höhere Finanzierungsanteil der Krankenkassen für die Pflege könnte die Prämienzahler zusätzlich belasten. Doch die Entlastung durch die Reduktion des Finanzierungsanteils bei ambulanten Eingriffen dürfte wegen des viel grösseren Kostenblocks deutlich stärker ins Gewicht fallen. So sind von 2014 bis 2022 die Pflegekosten um total 1,6 Milliarden Franken gestiegen, die Kosten für ambulante Behandlungen dagegen um über 8 Milliarden Franken.

Selbst bei einem prozentual deutlich stärkeren Anstieg der Pflegekosten bis 2032 gäbe es per saldo eine Entlastung für die Prämienzahler. Und wer einen massiven Anstieg der Pflegekosten unterstellt, aber gleichzeitig vor «schlechterer Pflege» warnt, liefert eine unglaubwürdige Fünfer-und-Weggli-Argumentation. Der Zentralvorstand des Verbands der Pflegefachkräfte hatte überdies schon im Januar beschlossen, nicht gegen die Gesundheitsreform zu kämpfen.

Auch die Gewerkschaftsparole «gegen noch mehr Macht der Krankenkassen» wegen der Integration der Pflege in den Verteilungsschlüssel ist vor allem als Nebelpetarde gedacht. Die Kassen selber waren gegen die Integration der Pflege, aber sie hatten offenkundig nicht genug Macht, dies zu verhindern.

Versteckte Agenda?

So wie der Kampf von Gewerkschaftern gegen die Pensionskassenreform eine Fundamentalopposition gegen die berufliche Vorsorge spiegelte, mag auch der Kampf gegen die Gesundheitsreform grundsätzliche Opposition gegen das geltende System illustrieren. Der alte Traum der Linken ist die staatliche Einheitskrankenkasse mit einkommensabhängigen Prämien. Die Reform könnte dagegen alternative Versicherungsmodelle attraktiver machen, weil diese künftig Einsparungen durch Förderung von ambulanten Eingriffen voll den Versicherten weitergeben könnten. Das mag den Wettbewerb der Kassen ein bisschen beleben. Und Wettbewerb ist für gewisse Kreise des Teufels.

Die Pensionskassenreform kassierte im September an der Urne rund 67 Prozent Nein-Stimmen. Eine solche Abfuhr ist bei der Gesundheitsreform kaum zu erwarten. Dies vor allem, weil es manche linke Stimmen für die Vorlage gibt, was sich auch in den eher linkslastigen Medien spiegeln könnte. Doch die Befürworter haben noch eine Menge Überzeugungsarbeit vor sich.

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