Die Verbände der Pflegeheime und der Spitex-Dienste sagen das Gegenteil der Gewerkschaften: Die Finanzierungsreform stärke die Stellung der Pflege.
Wer zahlt wie viel? Auf diese alte Frage bringt die Abstimmungsvorlage zum Gesundheitswesen eine neue Antwort. Ob ambulante Gesundheitsleistungen, stationäre Behandlungen im Spital oder Pflegeleistungen: Künftig sollen von allen im Krankenversicherungsgesetz (KVG) geregelten Leistungen 73,1 Prozent zulasten der Krankenkassen gehen. 26,9 Prozent gehen zulasten der Kantone und Gemeinden. Dieser einheitliche Finanzierungsschlüssel bezieht sich auf die Nettokosten – also nach Abzug des Eigenanteils der Patienten. 2022 betrugen die Nettokosten der KVG-Leistungen rund 44 Milliarden Franken.
Die genannten krummen Prozentanteile entsprechen der Kostenverteilung für die Referenzperiode 2016 bis 2019. Gemessen an den aktuellsten Zahlen von 2022 bringt der neue Finanzierungsschlüssel eine Umverteilung zugunsten der Prämienzahler und zulasten der Steuerzahler von rund 500 Millionen Franken (1,2 Prozentpunkte). 2028, dem vorgesehenen Startjahr für den neuen Verteilungsschlüssel, könnte die Entlastung der Prämienzahler etwa 1 bis 2 Milliarden Franken ausmachen.
Mehr ambulante Eingriffe
Der Grund dafür: Der grösste und in absoluten Zahlen am schnellsten wachsende Kostenblock im KVG sind die ambulanten Leistungen, die zurzeit zu 100 Prozent von den Krankenkassen zu zahlen sind. Die Reform bringt für die Prämienzahler eine Entlastung im ambulanten Bereich, welche die Zusatzbelastung im stationären Sektor und in der Pflege deutlich überkompensiert. Bei den stationären Leistungen liegt der Finanzierungsanteil der Krankenkassen zurzeit bei höchstens 45 Prozent. In der Pflege finanzierten die Kassen in der Referenzperiode etwa 54 Prozent der Leistungen.
Der einheitliche Finanzierungsschlüssel soll Fehlanreize beseitigen. Heute können ambulante Leistungen die Krankenkassen teurer zu stehen kommen als stationäre Leistungen, obwohl Letztere insgesamt viel mehr kosten.
Zu den Hauptkritikpunkten der Reformgegner gehört, dass auch die Pflegeleistungen künftig dem einheitlichen Finanzierungsschlüssel unterstellt sind. Das von den Gewerkschaften geprägte Referendumskomitee bringt dazu drei Haupteinwände vor: Die Krankenkassen würden durch die Reform «mehr Macht» bekommen, da sie künftig bei der Aushandlung von Pflegetarifen am Tisch sässen; die Pflege käme unter einen grösseren Kostendruck, und die Krankenkassenprämien würden wegen der Reform stärker steigen.
Neue Tarifverhandlungen
Zurzeit werden die Pflegeleistungen aus drei Quellen finanziert. Da ist zuerst der Eigenbeitrag der Patienten (Maximum festgelegt durch den Bundesrat). Die Grundversicherung der Krankenkasse zahlt einen Beitrag pro pflegebedürftige Person, festgelegt ebenfalls durch den Bundesrat. Und den Rest übernehmen die Kantone.
Mit der Reform sind künftig Tarifverhandlungen für Pflegeleistungen vorgesehen. Am Tisch sitzen die Pflegedienstleister, die Krankenkassen und die Kantone. Wer die künftige Beteiligung der Krankenkassen bei den Tarifverhandlungen als «Machtausdehnung» der Versicherer betrachtet, müsste das Gleiche auch für die Pflegedienstleister sagen.
Mit der Kritik, wonach die Reform die Macht der Krankenkassen ausdehne und die Pflege dadurch mehr unter Druck komme, können die Verbände der Pflegedienstleister nichts anfangen. «Wir erwarten genau das Gegenteil», sagt Marianne Pfister, Co-Geschäftsführerin der Spitex Schweiz: «Die Reform stärkt unsere Position.» Im jetzigen System bewegen sich die Krankenkassen laut Pfister kaum, sondern «sie stellen sich einfach auf den Standpunkt, dass die Kantone oder Gemeinden die Restfinanzierung übernehmen sollen». Künftig sässe die Pflege mit den Kantonen und den Versicherern in der neuen Tariforganisation, «und die Krankenkassen müssen nun Verantwortung für die Gesamtfinanzierung übernehmen».
Eine externe Evaluation der Pflegefinanzierung von 2018 im Auftrag des Bundes sowie eine Aufdatierung von 2024 durch das Bundesamt für Gesundheit deuteten darauf hin, dass die Restfinanzierung durch die Kantone zum Teil als ungenügend empfunden wird. «Seit 2012 weist die stationäre Pflege Deckungslücken zwischen 160 und 460 Millionen Franken pro Jahr auf», betont Curaviva, der Branchenverband von Alters- und Pflegeheimen. Die Reform ermögliche es, «die Finanzierung zu stabilisieren, und verleiht den Leistungserbringern eine aktive Verhandlungsrolle».
Santésuisse wollte nicht
Die Krankenkassen sind vom Einbezug der Pflege in die Reform zum Teil nicht erfreut; mit Santésuisse hat einer der beiden Branchenverbände sehr aktiv dagegen gekämpft. Auch dies deutet darauf hin, dass die angebliche Machtausweitung der Krankenkassen als Folge der Reform eine abenteuerliche Geschichte der Gewerkschaften darstellt.
Laut Bundesangaben sieht die Reform für die Kassen «keine zusätzlichen Kompetenzen» vor. Sie bleiben zuständig für die Rechnungskontrollen. Künftig würden sie aber zunächst die gesamte Vergütung der Leistungserbringer zahlen und müssten danach die Beiträge der Kantone einfordern.
Die Kantone und mit ihnen auch der Ständerat machten den Einbezug der Pflege zur Bedingung für ihre Zustimmung zu einer Reform. Sonst hätte es wohl gar keine Reform gegeben. Die beiden Krankenkassenverbände Curafutura (mit Engagement) und Santésuisse (ohne Begeisterung) werten die Abstimmungsvorlage trotz zum Teil skeptischen Stimmen als Verbesserung gegenüber dem Status quo.
Ein zentraler Grund für skeptische Stimmen in der Kassenbranche: Mit dem Einbezug der Pflege in die Finanzierungsreform steigen die Prämien vermutlich stärker als mit einer Reform ohne Einbezug der Pflege – denn die Pflegekosten dürften künftig prozentual überdurchschnittlich wachsen. Dies vor allem wegen der Umsetzung der vom Volk angenommenen Pflegeinitiative.
Zugunsten der Prämienzahler
Doch im Vergleich zu einem Verzicht auf die Reform fahren die Prämienzahler mit der Abstimmungsvorlage zulasten der Steuerzahler wahrscheinlich deutlich besser. Nur wenn die Pflegekosten künftig prozentual ein Vielfaches so stark wachsen würden wie die Kosten für ambulante medizinische Leistungen, könnte sich das Bild umkehren. Das ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich.
Hinzu kommen Sparhoffnungen durch die Beseitigung von Fehlanreizen. Die Verbände der Heime und der Spitex betonen, dass die Fehlanreize im geltenden System nicht nur Spitalbehandlungen beträfen, sondern auch die Pflege. «Heute ist für die Krankenkassen die Pflege im Heim günstiger als die Pflege zu Hause», sagt Marianne Pfister von der Spitex Schweiz: «Benötigt eine Person beispielsweise eine Stunde Pflege pro Tag, bezahlt die Krankenkasse bei der Spitex dafür zwischen 52 und 77 Franken, während sie im Pflegeheim dafür nur 28 Franken 80 bezahlt.» Und dies, obwohl die Gesamtkosten im Pflegeheim viel höher seien.
Die Gesetzesreform verlangt ausdrücklich «kostendeckende Tarife», bezogen auf die Kosten für eine «effiziente Leistungserbringung». Das ist einer der genannten Gründe, weshalb der Berufsverband der Pflegefachleute das Referendum der Dachgewerkschaften nicht unterstützt, sondern Stimmfreigabe beschlossen hat.