Dienstag, Oktober 1

Die Erholung komme im zweiten Halbjahr, liessen vor allem zu Beginn des Jahres viele CEO verlauten. Doch die vollen Lager der Kunden und China lasten noch immer schwer auf dem Geschäftsgang. Die Gewinnwarnungen häufen sich.

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Es ist eines der grossen Themen, die sowohl die Unternehmen als auch Investoren seit vielen Quartalen umtreiben: die vollen Lagerbestände. Ob bei industriellen Vorprodukten, Ersatzteilen oder ganzen Produktionsmaschinen: In zahlreichen Branchen haben die Kunden angesichts diverser Sonderfaktoren – sei es ein vorübergehender Coronaboom, der Krieg in der Ukraine oder die gestörten Lieferketten, die praktisch sämtliche Industriezweige unter Druck setzte – alles gekauft, was sie kriegen konnten.

Das dadurch entstandene Überangebot ist bis heute nicht vollständig verdaut und ist noch immer der Grund, warum bei vielen Unternehmen die Bestellungen der Kunden weiterhin ausbleiben. Letzte Woche fand die Swiss Equities Konferenz des Brokerhauses Stifel in Interlaken statt, wo sich knapp sechzig Schweizer Unternehmen gegenüber Investoren zum Geschäftsverlauf äusserten und Einblicke gewährten.

Unternehmen geben unterschiedliche Signale

Wir selbst waren bei der Konferenz nicht dabei, dem Vernehmen nach gaben die Aussagen der Unternehmensführer bezüglich den Lagerbeständen jedoch ein uneinheitliches Bild ab. Positive Zeichen kamen wohl von Bossard, wo sich der Abbau von Lagerbeständen dem Ende nähern soll. Dass der Schraubenlogistiker – er gilt als Indikator für die Weltkonjunktur – damit vorsichtige Signale einer Talsohle sendet, gibt durchaus Grund zur Hoffnung.

Auch der Halbleiterkonzern Comet soll von sinkenden Lagerbeständen berichtet haben. Positive Signale kamen auch von Geberit. Bereits im ersten Quartal hat der Sanitärtechniker bei seinen Kunden eine vorsichtige Aufstockung der Lagerbestände beobachtet. Diese setzt sich nun offenbar fort.

Doch für allgemeine Euphorie ist es zu früh: Wie zu hören ist, bleibt das Bild negativ beim Landmaschinenhersteller Bucher, beim Industriezulieferer Dätwyler und bei Lem, wo der weiter fortschreitende Lagerabbau besonders in den Bereichen industrielle Automatisierung und erneuerbare Energien für Gegenwind sorgt.

Komax schreckt auf

Nicht an der Swiss Equity Conference präsent war Komax. Doch der Hersteller von Maschinen zur Kabelverarbeitung liess die Börse am gestrigen Dienstag auf ganz offiziellem Wege aufschrecken. Eine Gewinnwarnung offenbarte, dass auch Komax ihre eigene Sonderkonjunktur noch lange nicht verdaut hat. Nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Anfang 2022 mussten viele Hersteller ihre Produktion in andere Länder verlagern und neue Fabriken mit modernen Maschinen ausstatten. Komax war unmittelbarere Profiteurin. In dem gestrigen Update über die Geschäftsentwicklung formulierte das Unternehmen nun erstmals eine Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2024.

Und die sieht nicht gut aus: Der angepeilte Umsatz von etwa 600 Mio. Fr. liegt rund 13% unter den in den letzten Monaten bereits deutlich gesunkenen Konsensschätzungen der Analysten. Der angepeilte «leicht positive Ebit» enttäuschte die Schätzungen ebenfalls.

Problem China

Während wir im Februar aufgrund vorsichtiger Signale einer Erholung im europäischen Automobilsektor noch auf eine Bodenbildung gehofft hatten, hat die Realität mittlerweile auch uns eingeholt. 75% des Umsatzes von Komax hängt an der Automobilindustrie – und hier bleibt eine Wiederbelebung weiterhin aus. Hinzu kommt, dass im wichtigen Markt China die Investitionen ebenfalls ausbleiben.

Zudem sehen wir immer mehr das Risiko, das die chinesische Konkurrenz Komax im Reich der Mitte den Rang ablaufen könnte. Die Luzerner dürften sich der China-Problematik bewusst sein, per 1. Juli wird Komax 56% der chinesischen Hosver übernehmen. Dabei handelt es sich gemäss Komax um den in China führenden Hersteller von Maschinen für die Verarbeitung von Hochvoltkabeln, die in Fahrzeugen mit Elektroantrieb benötigt werden.

Für ZKB-Analyst Bernd Laux erfolgt die Akquisition in China reichlich spät. Er interpretiert die Gewinnwarnung als Reset in Folge struktureller Probleme und bezeichnet die Mittelfristziele (bis 2028 ein Umsatz zwischen 1 Mrd. und 1,2 Mrd. Fr.) als mittlerweile «obsolet». Allerdings dürfte dieses Ziel ohnehin nicht mehr im Aktienkurs eingepreist sein. Optimistischer äussert sich Vontobel-Analyst Arben Hasanaj, der positiv hervorhebt, dass mit dem Update «endlich Klarheit aufkommt». Angesichts der negativen Stimmung spricht er sogar von einem «Befreiungsschlag».

Dass die Gewinnwarnung von Komax nicht völlig aus dem Nichts kam, zeigt die vergleichsweise milde Kursreaktion von –3,5% – allerdings haben die Aktien seit Anfang Jahr bereits fast 30% eingebüsst. Bevor nicht klar ist, welche Rolle Komax künftig in China und in der Autoindustrie allgemein spielen wird, heisst es abwarten.

Gewinnwarnungen häufen sich

Auch in Deutschland machen die vollen Lager noch immer zahlreichen Unternehmen zu schaffen. Bei Sartorius sind die Lagerbestände der Kunden aus der Pharmaindustrie durch das Hamstern während des Pandemie-Booms weiterhin hoch. Bei den Valoren wird seit rund zwei Jahren jeder Erholungsversuch gnadenlos verkauft. Heute Mittwoch erschüttert zudem eine Gewinnwarnung des Wechselrichterherstellers SMA Solar die Aktien. Auch hier der Grund: hohe Lagerbestände bei den Kunden.

Bereits am Montag schockte der Medizintechnikkonzern Carl Zeiss Meditec die Börse mit einer Gewinnwarnung. Das Unternehmen, das u. a. Instrumente für die Augenuntersuchung und Intraokularlinsen herstellt, leidet vor allem unter dem Abbau von Lagerbeständen in China. Zusätzlicher Gegenwind kommt nun durch die langsamer als erwartet verlaufende Einführung der neuen staatlichen Vergabesysteme für Intraokularlinsen in China. Für das laufende Geschäftsjahr rechnet man nur noch mit rund 2 Mrd. € Umsatz, zuvor wurden bis zu 2,15 Mrd. angepeilt. Auch in den USA scheinen die Bestellungen auszubleiben, wo das Management ein «härteres Investitionsklima» wahrnimmt.

Das ist insofern bemerkenswert, als dass von Konkurrent Alcon bei der Ergebnispräsentation von vor rund vier Wochen derartige Stimmen nicht zu vernehmen waren. Deren Aktien haben trotz der Hausse in den vergangenen Wochen und Monaten auf die Gewinnwarnung von Carl Zeiss Meditec kaum reagiert. Das Kursminus von über 20% bei den Deutschen dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass das Management bis zuletzt Optimismus versprühte. Die Analysten wurden mit ihren Schätzungen folglich auf dem falschen Fuss erwischt.

Festzuhalten bleibt: Der Lagerabbau bei Kunden ist noch nicht ausgestanden. Viele Unternehmen hoffen offiziell weiterhin auf eine Besserung im zweiten Halbjahr. Es würde nicht überraschen, wenn in den nächsten Wochen und Monaten weitere Enttäuschungen folgen. Momentan zeigt sich die Schwierigkeit, mit der Anlegerinnen und Anleger vor allem bei zyklischen Werten konfrontiert sind. Die Visibilität ist naturgemäss schlecht, zeigt sich jedoch eine Besserung, reagiert die Börse in der Regel meist schnell.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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