Holcim darf das Geschäft in Nordamerika abtrennen. Strippenzieher Jenisch muss jetzt beweisen, dass sein Kalkül aufgeht.

Manchmal fällt eine Trennung leicht. Die Aktionäre des Zementriesen Holcim haben kein Problem damit, einen der grössten Schweizer Konzerne aufzuspalten – obwohl die Geschäfte in den vergangenen Jahren gut liefen und sich der Aktienkurs innert drei Jahren verdoppelt hat. Doch die Anleger wollen mehr. Deshalb haben sie jetzt beschlossen, das Nordamerikageschäft abzuspalten und Holcim auf diese Weise fast zu halbieren.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Rekordhohe 1044 Aktionäre waren am Donnerstag an die Generalversammlung in Zug geströmt, um über die grösste Zäsur in Holcims Geschichte seit der Fusion mit der Konkurrentin Lafarge vor zehn Jahren abzustimmen. 99,8 Prozent von ihnen votierten dafür. Applaus brandete auf, als das Ergebnis auf dem grossen Bildschirm in der Bossard-Arena aufleuchtete. Normalerweise wird hier Eishockey gespielt, aber bei Holcim kam an diesem Tag niemand ins Rutschen.

Holcim hat endlich Rückenwind

Auch Verwaltungsratspräsident Jan Jenisch nicht, der sich für die «hervorragende Unterstützung» bedankte. Er darf den Support persönlich nehmen: Jenisch war nicht nur eine der treibenden Kräfte hinter dem Spin-off, mit dem Holcim knapp 40 Prozent seines Umsatzes abgibt.

Er wird bei Amrize, wie das neue Unternehmen heissen wird, auch alle Fäden in der Hand halten. Jenisch übernimmt sowohl die Rolle als CEO wie auch als Chairman bei dem Konzern, der im Juni an der New Yorker Börse kotiert werden soll und die Zentrale in Chicago haben wird.

Es geht den Holcim-Aktionären nicht mehr um Grösse. Der Zusammenschluss mit Lafarge, eine Hochzeit unter Riesen, blieb hinter den Erwartungen zurück – sowohl unternehmerisch wie auch an der Börse. Der Aktienkurs schwand dahin. Als Jenisch 2017 vom Bauchemiekonzern Sika zu Holcim stiess, musste er den Zementhersteller als CEO wieder auf Kurs bringen.

Jenisch interessiert sich nicht für «Empire-Building», wie er gerne betont, sondern für den «Shareholder Value», den Wert für die Aktionäre. Nach einer längeren Durststrecke trug sein Umbau, bei dem sich Holcim unter anderem aus schlechter rentierenden Märkten verabschiedete, endlich Früchte. Seit Anfang 2023 ziehen die Aktien wieder an – und das besonders schnell, seit Jenisch den Spin-off ankündigte. Mittlerweile stehen die Valoren fast bei 100 Franken.

Das Nordamerikageschäft bringt einen Umsatz von 11,7 Milliarden Dollar auf die Waage. Amrize wird der führende Baustoffanbieter in den USA sein, längst wird das Portfolio um Dachmaterialien und andere Bauprodukte erweitert. Allerdings: Grössere Konzerne in anderen Branchen haben kein Problem damit, ein USA-Geschäft dieser Dimension unter dem eigenen Dach zu führen. Rein operativ existiert auch für die Schweizer kein zwingender Grund.

Bei Amrize geht es um die Aktien

Doch die Amrize-Story ist eine Aktien-Story: Es gibt bisher keinen Baustoffriesen, der sich auf die USA fokussiert, dort beheimatet und kotiert ist, in Dollar nach amerikanischer Rechnungslegung rapportiert und somit ganz auf dortige Investoren ausgerichtet ist. Amrize will diese Lücke füllen und als US-Unternehmen einen eindeutigen «Investment Case» bieten.

Zugestimmt hat der Abtrennung auch Thomas Schmidheiny, zentrale Figur hinter dem Aufstieg der früheren «Holderbank» und mit einem Anteil von noch rund 6 Prozent der grösste Einzelaktionär.

Für die Anleger ist es einen Versuch wert. Zwar wird Holcim keine Anteile an der neuen Gesellschaft halten – aber die Holcim-Aktionäre werden es sehr wohl. Sie erhalten die Amrize-Aktien als Sachdividende entsprechend ihrer bestehenden Holcim-Papiere. Das ist nicht wenig: Der neue Konzern hat einen Buchwert von 9,2 Milliarden Franken. Obendrein wird er seinen Sitz in Zug und eine zweite Kotierung in der Schweiz behalten. Somit müssen Schweizer Anleger nicht fürchten, unter die lästigen Auflagen des US-Steuerrechts zu fallen.

Jan Jenisch ist vom Potenzial des nordamerikanischen Marktes so überzeugt, dass er die Geschicke von Amrize als CEO und Verwaltungsratspräsident in Personalunion führen will – und dafür Holcim, Sika und die Schweiz hinter sich lässt. Diese Machtfülle an der Konzernspitze ist in den USA üblicher als in Europa. Dennoch mahnt die Anlagestiftung Ethos, sie dürfe nur vorübergehend sein, und kritisiert, dass es bei Amrize keine Anzeichen für eine künftige Trennung gebe.

Jenischs Vergütung sorgt für Kritik

Auch bei Holcim hatte Jenisch das Doppelmandat während eines Jahres inne. Der 59-jährige Deutsche hält wenig von formalen Beschränkungen und will am geschäftlichen Erfolg und am Aktienwert gemessen werden. Das Kursplus gibt ihm gute Argumente. Ausserdem hat Holcim seit 2020 die Dividende pro Jahr um durchschnittlich 12 Prozent erhöht. Die Aktionäre hoffen, dass Jenisch daran in den USA anknüpfen kann. Auch Ethos hält die Abspaltung für strategisch sinnvoll und sieht langfristiges Wertschöpfungspotenzial.

Steigende Aktienkurse bedeuten für Manager oft steigende Gehälter. So wie bei Jenisch: Für seine Leistung von 2020 bis einschliesslich 2024 erhielt er Aktienoptionen, die in diesem Jahr übertragen wurden. Diese Optionen sind knapp 37 Millionen Franken wert, wie Ethos berechnet hat – deutlich mehr als Jenisch’ ausgewiesene Vergütung von 5,1 Millionen Franken für das vergangene Jahr. Die Auswirkungen solcher Optionsprogramme auf die tatsächliche Vergütung seien unkontrollierbar, kritisierte Ethos-Geschäftsführer Vincent Kaufmann an der Generalversammlung.

Dennoch akzeptierten die Aktionäre die Pläne für künftige Vergütungen. Holcim gab ihnen zuletzt keinen Grund zur Klage: 2024 kletterte der wiederkehrende Betriebsgewinn (Ebit) erstmals über 5 Milliarden Franken. Künftig werden sich Amrize und Holcim, seit einem Jahr geführt von CEO Miljan Gutovic, ein Rennen um die besten Zahlen liefern. «Welche Firma ist die bessere? Das wird die Zeit zeigen», sagte Jenisch. Aber seine Vorliebe scheint klar.

Exit mobile version