Sonntag, November 24

Nach der Wahlniederlage suchen die Demokraten nach Schuldigen. Fast alle Finger zeigen auf Präsident Biden. Er wollte Trump und den Trumpismus besiegen. Stattdessen ebnete er ihm mit seiner Politik und seinem Zaudern den Weg zurück an die Macht.

In Joe Bidens Herzen muss es momentan stockfinster sein. Dieser Wahlkampf war ein einziges Drama. Und die grosse tragische Figur darin ist am Ende der demokratische Präsident. Die Wahlniederlage seiner Vizepräsidentin Kamala Harris ist vor allem auch seine Niederlage. Wobei für ihn spricht, dass er diese – im Gegensatz zu Donald Trump vor vier Jahren – bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl mit Anstand und Fassung trug: «Der Wille des Volkes wird sich immer durchsetzen», sagte Biden am Donnerstag im Rosengarten des Weissen Hauses. Er werde seine Pflicht als Präsident erfüllen und für einen friedlichen Machtwechsel sorgen.

Biden rief die Demokraten dazu auf, den «Kampf um die Seele Amerikas» nicht aufzugeben. «Rückschläge sind unvermeidbar, aber Aufgeben ist unverzeihlich.» Gleichzeitig versuchte er sein Vermächtnis zu verteidigen. Seine Amtszeit sei eine «historische Präsidentschaft» für alle Amerikaner gewesen. Es brauche einfach etwas Zeit, bis die Menschen die grossen Investitionen in die Infrastruktur und erneuerbare Energien spürten. «Wir hinterlassen die stärkste Wirtschaft der Welt.»

«Ein Grund ist seine Arroganz»

Der amerikanische Präsident wollte nicht nach Schuldigen oder Ursachen für die Wahlniederlage suchen. Biden lobte seine Vizepräsidentin Kamala Harris für ihre «inspirierende Kampagne». Sie habe dabei ihren guten Charakter und ihr starkes Rückgrat bewiesen. Ähnlich wie Biden akzeptierte auch sie in einer Rede am Mittwoch die Wahlniederlage. Harris rief ihre Anhänger ebenfalls dazu auf, ihre Hoffnung nicht zu verlieren und weiter zu kämpfen. «Nur wenn es dunkel genug ist, kann man die Sterne sehen», meinte Harris. Wenn es nun in Amerika düster werden sollte, «lasst uns den Himmel mit einer Milliarde glänzender Sterne füllen».

Doch während Biden und Harris ihre Anhänger mit Durchhalteparolen aufmuntern wollen, hat die Suche nach den Schuldigen in ihrer Partei und den Medien längst begonnen. Für die meisten gibt es einen Hauptschuldigen: Biden. «Er hätte nicht zur Wiederwahl antreten dürfen», erklärte Jim Manley, ein früherer Berater des ehemaligen demokratischen Senators Harry Reid, gegenüber «Politico». Selbst nach der desaströsen Fernsehdebatte mit Trump im Juni sträubte sich Biden noch Wochen gegen einen Rückzug aus dem Rennen. Er hatte sich selbst eingeredet, dass nur er fähig sei, die Wahl gegen Trump zu gewinnen. Biden sei ein guter Mann, aber sein Vermächtnis sei nun ruiniert, meinte Manley. «Das Land geht in eine sehr gefährliche Richtung, und ein Grund dafür ist seine Arroganz.»

«Trump hat diese Wahl nicht einfach gewonnen. Die Demokraten haben sie verloren», kommentierte auch der Journalist Ezra Klein von der «New York Times». Der 81-jährige Biden hätte angesichts seiner abgrundtiefen Umfragewerte niemals zur Wiederwahl antreten dürfen. Klein hatte bereits im Februar einen Verzicht des Präsidenten und eine offene Suche nach einem besseren Kandidaten gefordert, der einen «aggressiven Wahlkampf» führen kann. Biden wartete bis kurz vor dem Parteitag im August und empfahl dann Harris als neue Kandidatin. Zu diesem Zeitpunkt blieb den Demokraten nichts anderes mehr übrig, als sich hinter die Vizepräsidentin zu stellen. Harris habe von Biden schlechte Karten bekommen, meint Klein. «Ein populärer Amtsinhaber kann Wahlkampf mit seinem Leistungsausweis führen. Ein Herausforderer kann einen Wandel versprechen. Harris konnte weder das eine noch das andere.»

Ein falsch verstandener Wahlsieg 2020

Im Wahlkampf 2020 hatte Biden angedeutet, dass er aufgrund seines hohen Alters nur eine Amtszeit im Weissen Haus dienen möchte. Er wolle eine Brücke zur nächsten Generation sein, erklärte er. Doch dann hielt er dieses Versprechen nicht ein. Er hätte eine Brücke sein sollen, aber «stattdessen sprengte er die Brücke», sagte der Historiker Douglas Brinkley der «New York Times».

Einige werfen Biden aber nicht nur seinen zu späten Rückzug vor. Sie kritisieren auch eine falsche Politik, die in einer Fehlinterpretation seines Wahlsiegs 2020 gründe. Ihrer Meinung nach wünschten sich die amerikanischen Wähler damals nicht primär eine linke Wirtschafts- und Klimapolitik mit grossen staatlichen Investitionsprogrammen und auch keine lockere Zuwanderungspolitik. Sie stimmten nicht unbedingt für Biden, sondern wollten vor allem Trump für sein chaotisches Management der Covid-Pandemie abstrafen.

Biden aber träumte davon, als «transformativer Präsident» in die Geschichte einzugehen, so wie Franklin D. Roosevelt (F. D. R.) mit seinem «New Deal» in den dreissiger Jahren. Dafür kritisierte ihn die demokratische Kongressabgeordnete Abigail Spanberger bereits 2021 scharf: «Niemand hat ihn gewählt, damit er F. D. R. sei. Man hat ihn gewählt, damit er normal sei und das Chaos beende.»

Als Biden sein Amt antrat, flaute die Pandemie bereits ab, und die Wirtschaft erholte sich. Trotzdem verabschiedeten die Demokraten im März 2021 nochmals ein grosses Konjunktur- und Hilfspaket, das zur steigenden Inflation beitrug. Gleichzeitig vernachlässigte der Präsident das Problem der Zuwanderung. Anstatt angesichts steigender Migrationszahlen die Südgrenze zu Mexiko zu besuchen, reiste er nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine 2022 öfters nach Europa. Erst als es zu spät war, verschärfte Biden die Asylpolitik. So bereitete er Trump und dem Trumpismus selbst den Weg zurück an die Macht.

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