Mittwoch, Oktober 30

Die Beschwörung des Lebens in einer einfachen Hütte inmitten der Natur ist ein Topos der meditativen ostasiatischen Literatur. Freilich ist der Rückzug nicht immer freiwillig, wie Bai Juyi, Kamo no Chomei und Matsuo Basho zeigen.

«Mein Leben fühlt sich leicht an», schreibt der japanische Haiku-Dichter Matsuo Basho (1644–1694). Es brauche für ein gutes Dasein wenig mehr als eine spartanische Hütte, so der Laienmönch Kamo no Chomei (1153–1216). Und Bai Juyi (772–846), einer der bedeutendsten Dichter der chinesischen Tang-Zeit, betrachtet die Felsen und Wolken wie ein Wunder ohne Ende. Allen gemeinsam ist der Rückzug aus der Gesellschaft und die stille Kontemplation der Natur. Ihre poetisch-meditativen Aufzeichnungen haben nun in einem schmalen neuen Sammelband zusammengefunden.

Bai Juyi, der die Traditionslinie der Eremitendichter anführt, wurde wegen einer kritischen Äusserung als Lektor der Kaiserlichen Palastbibliothek degradiert und liess sich in der Folge in einer «grasgedeckten Hütte» nieder. Der Rückzug scheint ihm zunächst wie eine Heimkehr nach langer Zeit. Fortan betrachtet er das Spiel des Bambus und der Wolken, lauscht dem Klang des Wasserfalls, der rieselnden Jadeperlen gleicht, sein Geist findet Frieden.

Augen für das Nichts

So weit lesen sich seine Beschreibungen wie die Anleitung zu einem hippen «Retreat». Doch keine plappernde, verstellende Metasprache wummert über allem. Bai Juyi wird nachgesagt, dass er jedes Gedicht einer alten Bäuerin vorgelesen und jedes Wort geändert haben soll, das sie nicht verstand.

Der im Westen für seine Haikus bekannte Basho ist mit gleich zwei Aufzeichnungen vertreten, eine aus der Klause der Illusion, eine zweite aus der des Wahns. Mit fünfzig wurde Basho zu einem «alten Pfirsichbaum mit bitteren Früchten» und warf sein Haus wie eine Schnecke ab. Er hatte genug vom Leben als Haiku-Lehrer, die kommerzialisierte Literaturszene trieb ihn zum Sprung in eine ungesicherte Existenz.

Nun lässt er sich ziellos vom Wind treiben, sitzt auf seinem Affensitz, öffnet die Augen für das Nichts, zerquetscht dabei Läuse und spürt der «Einsamkeit fallender Tropfen» nach, wie sie durch das Grün des Farnkrauts rinnen. Nachts hält er Zwiesprache mit dem Halbschatten über Weisheit und Einfalt: «Verweilt nicht ein jeder im Wahn der Welt?»

Über die Vergänglichkeit sinniert der Dritte, Kamo no Chomei. Das Leben scheint ihm schaumblasengleich auf seichtem Wasser zu treiben. In seiner Klause findet er zwar zu temporärer Ruhe, aber die buddhistische Konsequenz, die er zieht, lautet: sein Herz nicht an Dinge hängen und sich nicht an das Leben in der Zurückgezogenheit klammern.

Alles ist eitel

Die drei Autoren stehen in einer Traditionslinie des universellen Humanismus. Gemeinsam ist ihnen die Nähe zum Buddhismus, die Sozialisation in höfischer Umgebung, sie sind versiert in der Dichtkunst, haben sich indes aus unterschiedlichen Gründen von der Gesellschaft abgewandt.

Erst mit dem Scheitern der weltlichen Hoffnung, in einem Amt erfolgreich zu sein, setzt der (daoistische) Drang nach der Rückkehr zur Natur ein, der (buddhistische) Rückzug aus der Welt. Denn die Tradition bot den Literaten-Beamten nur zwei Positionen an: die Anstellung bei Hof und ein temporäres Eremitendasein.

Der bei ostasiatischen Lyrikern häufig anzutreffende Bescheidenheitsgestus – der nach Laotse nicht etwa daher rührt, dass man sich aus Bescheidenheit zurückstellt, sondern weil durch die eigene Zurückhaltung die Wirkung der Welt von selbst zum Tragen kommt – heisst bei Basho in fast selbstquälerischer Lebensbilanz so: «Ich habe mich angestrengt, doch alles ist eitel und nichtig.»

Was die drei Dichter vereint, ist nicht etwa ein trotziger, eskapistischer Rückzug in Wälder, sie steigen nicht auf Berge, um sich über die anderen zu erheben, ihnen genügen die Betrachtung und der Blick auf die Natur und das Wissen um die Ambivalenz in dieser Welt.

Bai Juyi, Bashô Matsuo, Kamo no Chômei: Die Klause der Illusionen. Aufzeichnungen aus drei Grashütten. Aus dem Japanischen von Ekkehard May, Jörg B. Quenzer, Nelly und Wolfram Naumann; aus dem Chinesischen von Volker Klöpsch. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2022. 128 S., Fr. 26.90.

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