Donnerstag, Oktober 3

Die Europäische Handelskammer in China rechnet mit den Beschlüssen des dritten Plenums der Kommunistischen Partei ab. Immer mehr Unternehmen überdenken ihr China-Engagement.

Die Erwartungen bei den ausländischen Firmen waren gewaltig, als sich im Juli mehr als 300 Delegierte der Kommunistischen Partei zum sogenannten dritten Plenum trafen. An der Konferenz werden jeweils die grossen Linien der chinesischen Wirtschaftspolitik für die kommenden zehn Jahren aufgezeigt.

Jetzt, gut zwei Monate nach dem Treffen, zieht die Europäische Handelskammer in China (EUCCC) Bilanz. Und sie fällt nicht gut aus. «Wir hatten auf eine präzisere Sprache bei den Beschlüssen gehofft», sagte der EUCCC-Präsident Jens Eskelund bei der Präsentation des jährlich erscheinenden Positionspapiers der Kammer am Mittwoch in Peking. Vor allem das klare Bekenntnis zum Privatsektor fehle, so Eskelund.

Doch das ist nicht alles. Statt dafür zu sorgen, dass sich der am Boden liegende private Konsum erholt, will Chinas Führung vor allem das verarbeitende Gewerbe stützen. «Die Entscheidungen des dritten Plenums fördern Investitionen in die Industrie als entscheidenden Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung», heisst es in dem Positionspapier der EUCCC. Damit würden in Sektoren Produktionskapazitäten aufgebaut, in denen es ohnehin schon gewaltige Überkapazitäten gebe.

Chinas Konsumenten streiken

Tatsächlich wäre eine Stimulierung des privaten Konsums eine wichtige Massnahme, um den stotternden Konjunkturmotor wieder auf Touren zu bringen. Denn Chinas Konsumenten streiken. Die Wertverluste ihrer Häuser und Wohnungen, die Angst ihren Job zu verlieren und sinkende Einkommen sorgen dafür, dass die Chinesinnen und Chinesen ihr Geld zusammenhalten.

Im Juli sank das Verbrauchervertrauen auf ein neues Rekordtief. Nur noch 39 Prozent der Chinesen glauben, dass es ihnen finanziell besser geht als vor fünf Jahren. Vor der Pandemie und dem Ausbruch der Immobilienkrise waren es noch 77 Prozent gewesen.

Die Beschlüsse des dritten Plenums halten wenig bereit, das den privaten Verbrauch ankurbeln könnte. Das Abschlussdokument erwähnt lediglich ein Programm, im Rahmen dessen die Menschen alte Hausgeräte und Autos zurückgeben können und im Gegenzug kostengünstige, vom Staat subventionierte, Neugeräte und -fahrzeuge erwerben können. Insgesamt hat die Regierung für das eigenwillige Vorhaben 300 Milliarden Yuan, umgerechnet rund 42 Milliarden Dollar, reserviert.

Ein Tropfen auf den heissen Stein

Doch das von den Machthabern in Peking erdachte Programm ist wegen des geringen Umfangs bestenfalls ein Tropfen auf den heissen Stein. Schlimmstenfalls führt es zum Aufbau von Kapazitäten für die Fertigung von Produkten, die später niemand braucht.

Die schleppende Konjunktur ist denn auch eine der Hauptursachen, warum immer mehr europäische Firmen ihr China-Engagement überdenken oder zumindest genau unter die Lupe nehmen.

«Wir stehen an einem Wendepunkt», sagt EUCCC-Präsident Eskelund. Die Risiken, in China zu investieren seien in der Wahrnehmung der europäischen Unternehmen inzwischen grösser als die Aussichten auf Erfolg.

Bei den meisten europäischen Firmen herrscht Katerstimmung, nicht nur wegen der Wirtschaftskrise. Der nach wie vor schwierige Marktzugang, die Diskriminierung ausländischer Firmen bei öffentlichen Ausschreibungen und immer neue Sicherheitsgesetze machen den Firmen das Leben schwer.

Das Geschäften in China wird schwieriger

68 Prozent der von der EUCCC befragten Firmen geben an, das Geschäften in ihrer Branche sei im vergangenen Jahr schwieriger geworden. Zwei Jahre zuvor sagten dies erst 60 Prozent, und im Jahr 2018 48 Prozent.

Die Folge sind rückläufige Profite. Mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, die Gewinne ihrer China-Aktivitäten fielen geringer aus oder lägen nur noch gleichauf mit denjenigen ihrer weltweiten Aktivitäten. In der Vergangenheit war das Reich der Mitte für viele Firmen die Hauptquelle für stetig sprudelnde Profite.

Dazu kommt: Immer mehr Unternehmen repatriieren ihre in China erwirtschafteten Gewinne in die Heimat, statt sie in ihre Kapazitäten in China zu reinvestieren.

Private Unternehmen haben kein Vertrauen

Neben der Kaufzurückhaltung der Verbraucher ist das fehlende Vertrauen der privaten Firmen eine Ursache für die schwächelnde Konjunktur. In den vergangenen Jahren haben die chinesischen Behörden mit immer neuen Vorschriften und Gesetzen die Handlungsspielräume der privaten Unternehmen eingeengt. In den Augen der KP-Führung waren die Chefs der Firmen zu mächtig geworden.

Dabei stand der Privatsektor in der Vergangenheit für die Schaffung eines Grossteils der neuen Arbeitsplätze. Die Firmen bezahlten viele Steuergelder und galten als Innovationstreiber.

Die Beschlüsse des dritten Plenums erwähnen zwar, der Markt solle «eine entscheidende Rolle bei der Allokation von Ressourcen» spielen. Gleichzeitig hebt das Abschlussdokument aber die herausragende Stellung der Staatsunternehmen hervor. Staatliche Firmen, heisst es, müssten «besser, stärker und grösser» werden.

Chinas Staatsunternehmen sollen nach dem Willen der Regierung in Schlüsselindustrien tätig sein und gleichzeitig für soziale Wohlfahrt sorgen. «Diese Doppelmission ist einer der Hauptgründe dafür, dass die totale Faktorproduktivität in China stagniert», schreibt die EUCCC in ihrem Positionspapier. «Gleichzeitig lässt die Dynamik des privaten Sektors nach.»

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