Montag, Februar 24

Die Regierungen in Athen haben seit den Krisenjahren tiefgreifende Reformen umgesetzt. Der Erfolg kann sich sehenlassen. Doch strukturelle Probleme bleiben bestehen.

Es muss eine besondere Genugtuung für Panagiotis Lafazanis gewesen sein. Als Deutschland Ende 2023 auf einen Schlag 60 Milliarden Euro im Haushalt fehlten, weil das Verfassungsgericht die Umwidmung von Corona-Geldern für den Klimaschutz verboten hatte, empfahl der frühere griechische Energieminister der Regierung in Berlin den Verkauf von Nordseeinseln.

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Der schadenfreudige Ratschlag war eine Retourkutsche aus einem Land, das sich während der Staatsschuldenkrise viele schulmeisterliche Belehrungen aus Berlin hatte anhören müssen. Dazu gehörte auch der Vorschlag, griechische Inseln zu veräussern, um die leeren Kassen zu füllen.

«NZZ Pro» – geopolitische Einordnung im Überblick

Kurzgefasst: Griechenland erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch viele Bürger spüren ihn noch nicht.

Geopolitische Einschätzung: Das Land profitiert von Reformen und vom EU-Krisenfonds für Aufbau und Resilienz. Es bleibt aber strukturell anfällig.

Blick voraus: Ohne höhere Investitionen und Produktivitätssteigerungen droht ein Griechenland ein Rückschlag.

Der bissige Kommentar steht aber auch für ein neues Selbstbewusstsein in der politischen Klasse Athens. Während Deutschland schon seit zwei Jahren in der Rezession steckt, weist Griechenland ein überdurchschnittliches Wachstum auf. Von Oktober 2023 bis September 2024 expandierte die griechische Volkswirtschaft um 3,7 Prozent. Für dieses Jahr werden 2,1 Prozent prognostiziert.

Auch andere Indikatoren stimmen zuversichtlich. Die Arbeitslosenquote ist erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt wieder im einstelligen Bereich, und das Verhältnis von Schulden zum BIP ist innerhalb von drei Jahren von mehr als 200 auf unter 160 Prozent gesunken.

Das sind immer noch sehr hohe Werte. Doch wichtiger ist, dass die Richtung stimmt. Das Magazin «Economist» kürte Griechenland Ende letzten Jahres zur dritterfolgreichsten Volkswirtschaft in der OECD. Das einstige Krisenland ist zu einem Vorbild geworden. Für das reformmüde Deutschland forderte die «FAZ» derweil kürzlich eine externe Aufsicht durch eine Troika – wie dazumal für Griechenland.

Solide Haushaltspolitik

Was ist dran an der griechischen Erfolgsgeschichte, und was steckt dahinter? Erst einmal, natürlich, die tiefgreifenden Reformen. Das Land, das sich einst durch statistische Tricksereien die Mitgliedschaft im Euro-Raum erschlichen hatte, präsentiert sich heute als haushaltspolitischer Musterknabe.

Griechenland erwirtschaftet zuverlässig einen Primärüberschuss. 2024 lag dieser bei 8,63 Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt sind dabei Rückzahlungen von Schulden. Nach den drastischen Ausgabenkürzungen und Erhöhungen der Abgaben, die vor allem in den ersten Jahren der Krise verfügt worden sind, setzt die Regierung heute primär auf die Verbreiterung der Steuerbasis.

Neben der Schaffung einer schlagkräftigen Behörde für den Kampf gegen die einst allgegenwärtige Steuerhinterziehung trägt dazu auch die gezielte Digitalisierung des Zahlungsverkehrs bei. Die Summe der elektronisch bezahlten Taxirechnungen ist allein im vergangenen Jahr um knapp 200 Prozent gestiegen. Bei Kinderbetreuungsangeboten lag der Wert sogar bei 433 Prozent. Dies erhöht die Einnahmen bei der Mehrwertsteuer und der Gewinnsteuer von Unternehmen.

Anerkennung durch Rating-Agenturen

Die solide Haushaltspolitik hat eine Rückkehr auf die Kapitalmärkte ermöglicht. Seit 2024 attestieren alle grossen Rating-Agenturen griechischen Staatsanleihen wieder Investitionsstatus. Dies senkt die Kreditkosten. «Heute kann Griechenland zu günstigeren Konditionen Geld aufnehmen als Italien», sagt der Athener Wirtschaftsprofessor Antonis Bartzokas. «Das Land geniesst wieder Vertrauen.»

Eine zentrale Rolle kommt dabei dem konservativen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis zu. Zwar setzte auch sein linker Vorgänger Alexis Tsipras, dessen Regierung der eingangs zitierte Minister Lafazanis angehörte, die Sparvorgaben der Troika gewissenhaft um. Der frühere McKinsey-Berater Mitsotakis setzt aber auch gezielt auf Wachstumsimpulse, etwa durch die Digitalisierung der notorisch ineffizienten Bürokratie oder die Senkung der Unternehmenssteuern.

Und nicht zuletzt sind die griechischen Banken dank einer Bereinigung ihrer Bilanzen wieder handlungsfähig und können ihrer wichtigsten Aufgabe nachkommen: der Kreditvergabe. Das verbesserte Klima macht das Land für Investoren wieder attraktiver. Der IT-Konzern Microsoft baut Datenzentren, der Pharmariese Pfizer hat in Thessaloniki eine Forschungsabteilung eröffnet. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieser Leuchtturmprojekte ist zwar gering. Die Regierung feiert sie dennoch als grossen Erfolg.

Dass die Wirtschaft brummt, zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Weil nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, hat die Regierung die Grundlage für eine Sechstagewoche geschaffen. Bereits davor gab es ein Programm, um illegal eingereiste Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Geringe Produktivität

Trotz der eindrücklichen Bilanz und dem vielen Lob, das Griechenland gerade aus dem Ausland erhält, ziehen zurückhaltendere Beobachter eine gemischte Bilanz. Für die guten Zahlen gebe es auch konjunkturelle und somit nicht sonderlich nachhaltige Gründe, sagt der Politbeobachter und Publizist Nick Malkoutzis.

Griechenland habe sehr stark vom EU-Krisenfonds für Aufbau und Resilienz profitiert. Gemessen an der Grösse der Volkswirtschaft habe das Land überdurchschnittlich viele Gelder erhalten. Diese laufen aber 2026 aus – und damit auch die davon ausgehenden Impulse. «Strukturell hat sich bisher wenig verändert», sagt Malkoutzis.

Griechenland sei noch immer eine stark konsumgetriebene Volkswirtschaft, sagt auch der Ökonomieprofessor Bartzokas. Mit 69 Prozent sei der private Konsum im Vergleich zum BIP nirgends im Euro-Raum höher. Um die Produktivität zu erhöhen und in der Breite wettbewerbsfähiger zu werden, müsse dringend mehr investiert werden. Der EU-Krisenfonds biete hierfür eine einmalige Gelegenheit, die aber auch genutzt werden müsse.

Fremdenverkehr und Bauindustrie

Tatsächlich waren die wichtigsten Treiber des griechischen Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren die traditionell dominanten Bereiche Tourismus und Bauindustrie, wo es noch immer Nachholeffekte nach der Pandemie gibt.

In der ersten Jahreshälfte 2024 machten Immobilienkäufe durch Ausländer mehr als 50 Prozent der Direktinvestitionen aus. Die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr hatten bereits im Oktober das Niveau des Vorjahres überschritten und dürften für 2024 bei etwa 22 Milliarden Euro liegen. Ob diese Wachstumsraten auf lange Sicht aufrechtzuerhalten sind, ist aber umstritten.

Jens Bastian sieht in der grossen Abhängigkeit vom Fremdenverkehr ein Klumpenrisiko. Der selbständige Wirtschaftsberater war lange Zeit in Athen als Finanzanalyst für eine griechische Bank tätig. «Ein Ereignis wie die gegenwärtige Erdbebenserie um Santorin kann die gesamte Saison gefährden. Mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Folgen.»

Makroökonomische Kennzahlen sind laut Bastian wichtig und im Falle Griechenlands tatsächlich sehr positiv. Es gebe aber strukturelle Probleme und Defizite, die nicht abgebildet würden. «Trotzdem gehören sie zu einem umfassenden Urteil über die Reformfähigkeit des Landes dazu.»

Keine Antwort auf langfristige Herausforderungen

Hierzu zählt der deutsche Griechenland-Experte die offensichtlichen Dysfunktionalitäten in der Verwaltung und in den staatsnahen Betrieben, die trotz allen Reformen fortbestehen. Auf besonders tragische Weise sind sie beim schweren Zugunglück vor zwei Jahren bei Tempi zutage getreten, mit dessen Aufarbeitung die Regierung sich weiterhin schwertut.

Aber auch der Klimawandel stelle eine grosse Herausforderung für das Land dar, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Sicht. Die jährlich wiederkehrenden Waldbrände werden zunehmend zu einem Problem für den Tourismus. Die Überschwemmungen vor anderthalb Jahren in Thessalien wiederum haben in der Landwirtschaft riesige Schäden angerichtet.

«Trotzdem spricht man kaum über Klimawandel und die Notwendigkeit, sich diesem anzupassen», sagt Bastian. Die äusserst ungünstigen demografischen Prognosen für das überalterte Land spielten in der öffentlichen Debatte ebenfalls keine Rolle. «Das sind schwere politische Versäumnisse.»

Aufschwung ist bei der Bevölkerung noch nicht angekommen

Wie blickt die breite Bevölkerung auf den wirtschaftlichen Leistungsausweis des Landes? «Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen dem gegenwärtig sehr positiven internationalen Bild und der Selbstwahrnehmung», sagt der Publizist Malkoutzis. Das habe weniger mit den genannten strukturellen Problemen zu tun als mit der persönlichen Situation der meisten Griechen. «Der Aufschwung ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen.»

Tatsächlich ist das Einkommensniveau im Schnitt noch immer gut 20 Prozent tiefer als vor der Krise, während die Preise stark angestiegen sind. Innerhalb der EU ist die Kaufkraft nur in Bulgarien geringer. 2009 lag Griechenland noch im europäischen Mittelfeld.

Dies relativiere auch die Vergleiche mit Deutschland, die wegen der Vorgeschichte zwar attraktiv seien und deshalb in internationalen Medien gerne angeführt würden, für den griechischen Durchschnittsbürger aber wenig Aussagekraft hätten, sagt Malkoutzis. «In wirtschaftlicher Hinsicht würden die meisten Griechen noch immer gerne mit den Deutschen tauschen.» Beim Wetter gilt das nicht.

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