Donnerstag, März 6

Der katalanische Klub feiert einen Torhüter, der bereits zurückgetreten war. Jetzt bricht Szczesny wieder Bestmarken in der Champions League. Dass der Pole raucht, stört weder den Trainer Hansi Flick noch die Fans.

Es klingt wie aus einem dieser alten Hollywood-Sportfilme und wirkt unvorstellbar im Spitzenfussball dieser Tage. Aber Wojciech Szczesny wurde im Oktober buchstäblich vom Strand weg verpflichtet. Nach einer langen Karriere mit über 500 Partien für den FC Arsenal, die AS Roma und Juventus Turin sowie 84 Länderspielen für Polen hatte der 34-jährige Goalie im letzten Sommer die Karriere beendet. So schien es jedenfalls – bis er plötzlich Anrufe aus der Fussball-Traumfabrik Barcelona erhielt.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Als Erstes hatte er in seinem Domizil Marbella den Landsmann Robert Lewandowski am Apparat. Der Barça-Stürmer berichtete von der schweren Knieverletzung des Stammtorhüters Marc-André ter Stegen und fühlte schon einmal vor: Wäre Szczesny bereit, einzuspringen? «Ich war gerade zu Hause am Kochen», sagte der Goalie später der Zeitung «Sport», «und gab erst einmal keine Antwort, es schien irreal.»

An sich war Szczesny glücklich im Ruhestand, sein Engagement bei Juventus war ihm als würdiger Abschluss erschienen. Doch dann begann der Gedanke in ihm zu arbeiten: Kann man zu Barça Nein sagen? Als ihn der Sportdirektor Deco und der Coach Hansi Flick kontaktierten, hatte er sich bereits entschieden: «Sonst hätte ich den Hörer nicht abgenommen.»

Mata - Lloret de Mar (EA SPORTS FC 25 Official Soundtrack)

Barça gewinnt trotz 70 Minuten in Unterzahl – auch dank Szczesny

Am Mittwoch in Lissabon nun verhalf der verhinderte Fussballrentner den Katalanen zu einem Rekord: Noch nie gewann eine Mannschaft ein Champions-League-Spiel nach so langer Unterzahl wie Barcelona beim 1:0 gegen Benfica. In der Anfangsphase war der Innenverteidiger Pau Cubarsí wegen eines Notbremse-Fouls vom Platz geflogen, doch der brillante Spielmacher Pedri sicherte im Mittelfeld einen Rest von Kontrolle, vorn erzwang Raphinha das Tor des Abends, und hinten blockte und faustete Szczesny alles weg.

Barça verbesserte mit 69 Minuten zu zehnt die alte Bestmarke von Juventus aus einem Gruppenspiel gegen Valencia im Jahr 2018. Damals hatte Cristiano Ronaldo einen Platzverweis erhalten. Der Goalie auch damals: Wojciech Szczesny – alias «Tek», wie ihn die Teamkollegen der Einfachheit halber nennen.

Als «Heiligen» und «Talisman» feiern ihn nun die spanischen Medien. Oder wie die Madrider Zeitung «As» schrieb: «Szczesny raucht Benfica weg.» Denn als ob es gälte, die aus der Zeit gefallene Figur des Antihelden abzurunden, ist «Tek» auch ein starker Raucher. 2015 wurde er vom FC Arsenal zu einer Geldstrafe verdonnert, weil er sich nach einer Niederlage in der Garderobe eine Frust-Zigarette angesteckt hatte.

Knapp zehn Jahre später war im Oktober auf – bald wieder gelöschten – Videos nach dem 4:0 von Barça bei Real Madrid zu sehen, wie Szczesny in der Kabine den Qualm einer mutmasslich elektronischen Zigarette ausblies. «Privatsache», verteidigt der Goalie sein Laster. Und ergänzte: «Ich rauche nicht vor Kindern.»

Den Barça-Anhängen macht das sowieso nichts aus, sie verehren den stets humorvoll wirkenden Szczesny nur umso mehr als einen von ihnen. Lange gehörte dazu ein gewisses Augenzwinkern: Als der Goalie Anfang Januar im Supercup-Final gegen Real (5:2) vom Platz flog, witzelten die Fans, er habe eben schnell eine rauchen müssen. Szczesny, so dachten sie, würde ja sowieso nur hin und wieder in zweitrangigen Wettbewerben zwischen den Pfosten stehen, damit ter Stegens eigentlicher Ersatz Iñaki Peña geschont werden kann.

Szczesny war das ebenfalls recht. Er sei gekommen, um Barças jungem Team mit seiner Routine zu helfen, sagte er. Keinesfalls wolle er Peña verdrängen: «Wenn mir jetzt einer sagt: ‹Tek›, du wirst die ganze Saison auf der Bank sitzen, aber Iñaki helfen, und wir gewinnen Titel, würde ich das glücklich unterschreiben.»

Nur einer sah das anders: Hansi Flick. Nachdem Szczesny seine Sperre nach der roten Karte abgesessen hatte, stellte ihn der Trainer zur allgemeinen Überraschung erneut ins Tor – fortan auch in der Liga und sogar in der Champions League. Selbst nach einer teilweise surrealen Darbietung beim 5:4 im Gruppenspiel gegen Benfica, als Szczesny unter anderem mit seinem eigenen Verteidiger Alejandro Balde kollidierte, hielt Flick am Polen fest. «Mit ihm haben wir noch nicht verloren», lautete seine lakonische Begründung.

Das klang nach Garderoben-Psychologie für Einsteiger, doch Flicks Instinkt sollte ihn nicht trügen. Szczesny wurde mit jedem Spiel sicherer, schüttelte quasi den letzten Rest Strandsand ab, zeigte den harten Arbeiter hinter der lässigen Fassade, reaktivierte die Automatismen des Torhüterspiels. Mit ihm eroberte Barça in der spanischen Liga die Tabellenführung zurück und ist nun wettbewerbsübergreifend seit vierzehn Partien ungeschlagen. Zwölfmal gewann der katalanische Klub, achtmal stand die Null.

Szczesny glaubt, sein bestes Spiel im Barça-Trikot komme erst noch

In Lissabon, am Ort des Slapsticks aus der Gruppenphase, kulminierte das «Tek»-Comeback nun auf der wohl grösstmöglichen Bühne: im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League. Acht Paraden zählten die Statistiker. Bereits nach 18 Sekunden entschärfte Szczesny mit den Händen einen Flachschuss von Kerem Aktürkoglu, dem er sich später bei einer Kopfballchance wie ein Handballgoalie in den Weg stellte.

In der zweiten Halbzeit besass er dann die Geistesgegenwart, nach einem Schuss von Fredrik Aursnes den Abpraller mit dem Fuss wegzukicken. Und hatte Glück, als der Videoschiedsrichter nach seinem elfmeterwürdigen Foul an Aktürkoglu eine Abseitsposition in der Situation zuvor entdeckte. Die letzte Parade zeigte er in der 94. Minute bei einem Gewaltschuss von Renato Sanches.

«Enorm» und «formidabel» nannte Flick Szczesnys Leistung in dieser Saison: «Wir haben einen phantastischen Torhüter.» Und auch der Captain Raphinha, der bereits neun Tore in ebenso vielen Champions-League-Partien erzielt hat, freute sich mit. Der brasilianische Stürmerstar sagte: «Ich habe ‹Tek› bei Fantasy Football in meinem Team.» Als Szczesny nach dem Match gefragt wurde, ob das sein bestes Spiel im Barça-Trikot war, grinste er und sagte: «Das kommt erst noch.»

In seiner ersten Karriere konnte Szczesny nie die Champions League gewinnen. Vielleicht in der zweiten? Als Cristiano Ronaldo dem Goalie bei dessen offizieller Verabschiedung in Polen begegnete, frotzelte der frühere Juventus-Teamkollege: «Du musstest erst zurücktreten, um bei einem ganz grossen Klub zu landen.»

Exit mobile version