Der Diplomat Tae Yong Ho pries jahrzehntelang das Regime in Pjongjang. Dann setzte er sich ab und arbeitet nun für den Erzfeind Südkorea. Porträt eines Mannes, der es in zwei gegensätzlichen Systemen in die Elite schaffte.

In London spielte er die Rolle, die von ihm erwartet wurde. Als Repräsentant Nordkoreas verteidigte Tae Yong Ho in eloquentem Englisch das Atomwaffenprogramm seines Landes. Er pries in Vorträgen die billigen Wohnungen im kommunistischen «Arbeiterparadies», beschuldigte die britische Oberschicht, das Volk hinters Licht zu führen, und beehrte die Kommunistische Partei.

Tae genoss allem Anschein nach das volle Vertrauen seiner Vorgesetzten: Als der Bruder des nordkoreanischen Diktators für ein Konzert mit Eric Clapton nach London einflog, begleitete ihn Tae in die Royal Albert Hall. Ein loyaler Gesandter des Regimes, schien es.

Doch es gab einen zweiten «Mr. Tae», einen, der am repressiven Regime zweifelte und sich trotz seinem privilegierten Status nach einem Leben in der freien Welt sehnte. 2016 setzte sich der Spitzenbeamte im Range eines stellvertretenden Botschafters ab – nach drei Jahrzehnten im Dienst der Kim-Dynastie.

Für nordkoreanische Diplomaten stellt eine Flucht ein schwieriges und hochriskantes Unterfangen dar. Sie werden auf Aussenposten vom eigenen Geheimdienst streng überwacht. Er habe seine Kinder vor dem «miserablen Leben» in Nordkorea bewahren wollen, sagte Tae nach seiner Ankunft in Seoul. Er befreie seine Familie mit seinem Entscheid aus den Ketten der Sklaverei.

«Menschlicher Abschaum»

Ein Überläufer, der Schutz beim Erzfeind sucht – für die kommunistische Führung Nordkoreas ist das ein Albtraum. Sie beschimpfte den bald 62-Jährigen als «menschlichen Abschaum und Clown». Pjongjangs tobende Propaganda beschuldigte ihn der Veruntreuung von Geldern und anderer krimineller Aktivitäten. Zur Strafe sollen in Nordkorea Verantwortliche von Sicherheitsdiensten exekutiert worden sein.

Als Sohn eines Generals, der an der Seite des Staatsgründers Kim Il Sung gegen die japanischen Besetzer kämpfte, stand für Tae Yong Ho ein Platz in Nordkoreas Elite bereit. Er durchlief nach Schuljahren in China – was nur Regimetreuen ermöglicht wird – die Universität für Auslandstudien in Pjongjang, Nordkoreas Kaderschmiede für Diplomaten.

Im Aussenministerium arbeitete er Aussenminister Ri Yong Ho zu, dem Chefunterhändler bei den inzwischen abgebrochenen Gesprächen über das nordkoreanische Atomwaffenprogramm. Auf dem diplomatischen Parkett vertrat er sein Land auch in Dänemark und Schweden. Tae war nicht an der Entscheidungsfindung in Pjongjang beteiligt, aber er nahm wertvolle Einblicke in das Innenleben des Machtapparats mit nach Südkorea.

Aufstieg und Fall als konservativer Politiker

Wie andere nordkoreanische Flüchtlinge dürfte Tae nach seiner Ankunft in Seoul vom Geheimdienst auf Herz und Nieren geprüft worden sein. Es soll vermieden werden, dass sich Spione im Süden einschleusen.

Rund 34 000 Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner schafften es seit dem Ende des Koreakrieges (1950 bis 1953) nach Südkorea. Doch scheitern viele Flüchtlinge am Quantensprung vom kommunistischen Herrschaftssystem in die kapitalistische Freiheit. Manche fühlen sich diskriminiert und versinken in Armut und Depressionen.

Taes Insiderwissen und sein Status verhalfen ihm hingegen zu einem einfachen Start in Südkorea. Er erhielt eine Stelle bei einem regierungsnahen Think-Tank. Zudem arbeitete er mit regierungsunabhängigen Organisationen, die sich um die Nöte der nordkoreanischen Flüchtlinge kümmern. Südkoreas konservative Partei nahm den prominenten Flüchtling mit Handkuss in ihren Reihen auf. Er enttäuschte nicht und erwarb sich den Ruf eines Scharfmachers: Das Regime von Kim Jong Un werde unweigerlich kollabieren, prophezeite der Ex-Diplomat und schrieb ein Buch über das Leben in dem abgeschotteten Land, wo die Bevölkerung hungert und die Nomenklatura Frischfisch aus Japan verspeist und edlen Bordeaux kredenzt.

Als erster Nordkoreaner wurde Tae 2020 in die Nationalversammlung Südkoreas gewählt, später auch in das Leitungsgremium der konservativen Partei. Tae sah sich als lebenden Beweis dafür, dass Nordkoreaner es in ihrer neuen Heimat trotz verbreiteter Diskriminierung an die Spitze schaffen können. In öffentlichen Auftritten plädierte er unter anderem dafür, dass sich der Süden ebenfalls Nuklearwaffen zulegt. Nur so könne der Norden dazu gebracht werden, über die Aufgabe seines Atomwaffenprogramms zu reden.

Sein Glück als Politiker währte indes nur eine Legislativperiode. Er hatte sich mit bizarren Behauptungen zur südkoreanischen Geschichte und nicht untermauerten Anschuldigungen gegen die oppositionellen Demokraten in die Nesseln gesetzt. Auch Korruptionsvorwürfe wurden erhoben. Nach dem Ausschluss aus der Parteiführung verpasste Tae 2024 seine Wiederwahl deutlich.

Dass ihn der konservative Staatspräsident Yoon Suk Yeol nun zum Generalsekretär des Beratungsgremiums für eine friedliche Wiedervereinigung beruft, mutet wie eine Geste für einen scharfzüngigen Gefolgsmann an. Noch nie wurde einem nordkoreanischen Überläufer ein Posten im Range eines Vizeministers anvertraut.

Was Tae Yong Ho in dieser Position bewirken kann, ist indes fraglich. Nordkoreas Herrscher hat das Ziel einer Wiedervereinigung aus der Verfassung verbannt. Südkorea bekam das Etikett «unverrückbarer Hauptfeind» verpasst. Diese Zuschreibung trifft aus Sicht Pjongjangs ohne Zweifel auch auf Tae zu.

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