Wegen ihrer Affäre mit Bill Clinton wurde Monica Lewinsky weltbekannt. In den USA galt sie plötzlich als personifizierter Angriff auf die Demokratie. Nun will sie sie retten.
Am 26. Januar 1998 schaute der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in eine Fernsehkamera und sagte: «I did not have sexual relations with that woman.»
Heute weiss praktisch die ganze Welt, dass Bill Clinton damals gelogen hat. Ebenso viele Menschen wissen auch, wer «diese Frau» ist. Etwas allerdings hat sich in den 26 seither vergangenen Jahren geändert. Das nämlich, wofür der Name Monica Lewinsky steht. Galt sie einst als personifizierter Angriff auf die Demokratie, will sie diese nun retten.
Kein Job, kein Frieden
Wer in den späten neunziger Jahren bereits den Windeln entwachsen war, kennt Lewinsky als die junge Praktikantin, die mindestens Oralsex mit dem amerikanischen Präsidenten hatte. Ihm brachte das zwar juristische Unannehmlichkeiten, aber langfristig keinen politischen Schaden ein: Als Clinton das Weisse Haus 2001 nach zwei Amtszeiten verliess, tat er das mit einer der höchsten Sympathieraten überhaupt.
Bei Lewinsky dagegen wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. In Therapie ist sie vielleicht bis heute. Das Praktikum im Weissen Haus war ihr erster Schritt in die Arbeitswelt. Danach allerdings fand sie weder einen Job noch Ruhe. Niemand wollte «America’s Premier Blowjob Queen» anstellen – so nannte sie ein Student in einer 2002 erschienenen HBO-Dokumentation, in der Lewinsky auch selber zu Wort kommt.
«Ich war die labile Stalkerin (ein Ausdruck, der vom Weissen Haus unter den Clintons verbreitet wurde), das dämliche Flittchen, die arme Unschuldige, die es nicht besser wusste», schrieb Monica Lewinsky selbst 2014 in einem Essay für das Magazin «Vanity Fair». Dieser Artikel allerdings markiert den Anfang einer grossen Wandlung.
«Der Missbrauch kam erst im Nachhinein»
Für die Generation nach 1998 ist Monica Lewinsky ein Vorbild. Sie steht für so viele Frauen, die Opfer von einseitigen Machtstrukturen geworden sind. Denn obwohl Lewinsky sich in ihren «Chef» – so nannte sie Clinton in einem Ted-Talk 2015 mehrmals – verliebt hatte und stets das gleiche Mantra wiederholte, dass es nämlich «eine einvernehmliche Beziehung» gewesen sei, so zeigt ihr Beispiel ein gigantisches Machtgefälle: Der mächtigste Mann der Welt hat über 17 Monate eine Affäre mit seiner zu Beginn 22-jährigen Praktikantin. Clinton war 51 Jahre alt.
Als alles auffliegt, versucht er sie erst zu verleugnen und später zu diffamieren. «Der Missbrauch», schrieb Lewinsky in ihrem Essay von 2014, «kam erst im Nachhinein. Als ich zum Sündenbock gemacht wurde, um seine Machtposition zu schützen.»
Dafür entschuldigt hat Clinton, Darling auch des Neunziger-Jahre-Feminismus, sich nie. In einem Interview behauptete er das zwar, als der Moderator ihn aber damit konfrontiert, dass mehrere Quellen dies bestreiten würden, lenkt Clinton ein – er habe mit «ihr» natürlich nie mehr gesprochen. Aber er habe sich mehrmals bei der Nation, ja bei der ganzen Welt – bei allen eben – entschuldigt. Lewinsky sagt, damals hätte sie sich den feministischen Zuspruch, vielleicht sogar einen veritablen Verteidigungsreflex bei feministischen Frauen, sehr gewünscht. Er kam – allerdings erst 17 Jahre später.
Monica Lewinsky, die X-Komikerin
Nach dem Erfolg ihres Ted-Talks 2015 und des «Vanity Fair»-Artikels 2014 begann Lewinsky, sich wieder öfter öffentlich zu äussern. Sie nutzte ihre Bekanntheit, um über Mobbing zu sprechen, um vor der Beschämungskultur zu warnen, die durch das Internet und Social Media noch viel gewaltiger werde. Auf X (vormals Twitter), wo in dicken Lettern auf dem Hintergrundbild ihres Accounts «Grateful AF.» – also «verdammt dankbar» – steht, meldet Lewinsky sich immer wieder selbstironisch zu Wort.
Als etwa ein X-User nach dem schlechtesten Karrieretipp fragte, den man je bekommen habe, antwortet Lewinsky ihm: «Ein Job im Weissen Haus macht sich gut in deinem Lebenslauf.» Als Floridas Senator Marco Rubio sich über einen Artikel ärgerte, den eine Praktikantin geschrieben habe, teilte Lewinsky seinen Post mit dem Kommentar: «Der Praktikantin die Schuld zu geben, ist so neunziger Jahre.»
👀 https://t.co/lrr5eCeCsA
— Monica Lewinsky (she/her) (@MonicaLewinsky) May 21, 2021
an internship at the white house will be amazing on your resume. 😳
— Monica Lewinsky (she/her) (@MonicaLewinsky) July 14, 2019
Mit den Jahren wurden Lewinskys Posts immer politischer. Gegen Trump, für das Recht auf Abtreibung, pro Biden-Administration. Seit neustem ist nun sie, die einst als Feindin der Demokratie im Allgemeinen und als personifizierter Angriff auf die Demokratische Partei im Spezifischen galt, das Gesicht einer Kampagne, die die Amerikaner an die Wahlurnen bringen soll. Lewinskys Argument: «Wenn Sie sich die nächsten vier Jahre beschweren wollen, müssen Sie wählen gehen.»
Diesen Punkt macht Lewinsky mal in feurigem Rot, mal in eleganter Business-Mode – einem schwarzen Kleid vor amerikanischer Grossstadt-Skyline –, mal im schwarzen Ledermantel. Initiiert hat die Kampagne – es könnte kaum besser zu Lewinskys Biografie passen – ein Modelabel aus Los Angeles namens Reformation. Man bewirbt mit dem bekannten Gesicht gleichzeitig eine neue Business-Kollektion und den Urnengang. Letzteres gemeinsam mit der unabhängigen Polit-Plattform Vote.org. Auf deren Website steht: «Monica ermutigt Frauen seit langem, ihre Stimme zu nutzen und sich stark zu fühlen. Da ist es nur logisch, dass sie uns hilft, dasselbe zu tun.»
Seit eine vom Modemagazin «Vogue» in Auftrag gegebene Studie 2020 ergab, dass die Mehrheit der modeinteressierten Leserinnen es befürworten, wenn die Labels sich mit sozialen und politischen Themen auseinandersetzen, geschieht das auch mit grosser Regelmässigkeit. Reformation animiert nun bereits zum dritten Mal in Folge zum Wählen und ergänzt seine Fotokampagne mit Tipps zur Stimmabgabe und einer Spende von 25 000 Dollar an Vote.org.
Auf den Bildern ist Lewinsky mächtig inszeniert – in doppeltem Sinne. Und das kommt an. «Queen», schreibt etwa jemand auf Instagram unter den Post mit Lewinsky, dazu ein Feuer-Emoji. Oder: «Monica, die Kampagne und du seid unglaublich!»
Die Macht der eigenen Geschichte
Als der Tag von Lewinskys schlagartiger und ungewollter Berühmtheit sich zum 25. Mal jährte, notierte sie für «Vanity Fair» 25 Dinge, die sie in den vergangenen 25 Jahren gelernt habe. Darunter auch ein Zitat von Salman Rushdie. «Diejenigen, die keine Macht über die Geschichte haben, die ihr Leben beherrscht, denen die Macht fehlt, ihre Geschichte neu zu erzählen, sie zu überdenken, sie zu dekonstruieren, Witze darüber zu machen und sie zu ändern, wenn sich die Zeiten ändern, sind wirklich machtlos; weil sie keine neuen Gedanken denken können», sagte Rushdie, nachdem die Fatwa gegen ihn ausgesprochen worden war.
Auch Lewinsky ist es gelungen, das eigene Narrativ zurückzugewinnen. Das liegt daran, dass sie nach langer Therapie selber mit, wie sie sagt, «der Sache» abschliessen konnte. Es gelingt ihr nun, wie ihre Posts auf X zeigen, über die öffentliche Beschämung von damals Witze zu machen. Es liegt aber auch daran, dass die Zeiten sich ganz offensichtlich geändert haben.
Denn nicht nur mit der Dokumentation von 2001 hatte Lewinsky versucht, das Narrativ zumindest mitzuprägen. Bereits 1999 war die Biografie «Monica’s Story» von Andrew Morton erschienen. Darin legte der britische Journalist und Autor Lewinskys Sicht der Dinge dar. Viel geholfen hatte es damals allerdings nicht. Wenn, dann lässt sich mit der Biografie vor allem zeigen, welche Position die ehemalige Praktikantin plötzlich hatte: Morton war nämlich auch der Biograf von Prinzessin Diana.
Seit #MeToo hat die breite Öffentlichkeit sich daran gewöhnt, auch einmal den Opfern zuzuhören, statt bloss den Ausreden und Ausflüchten der Täter Gehör zu schenken. Das hat es Lewinsky überhaupt möglich gemacht, sich die Macht über die eigene Geschichte wieder zu erkämpfen. Die neue Kampagne, mit der sie nun so vielen Amerikanern wie möglich zu einer Stimme verhelfen will, indem sie sie an die Urne schickt, heisst denn auch ganz simpel: «You’ve got the power».